Lange und gesund Leben: Alternsforscher untersuchen die genauen Funktionen extrem seltener Genvarianten
Das stetig fortschreitende Alter des Menschen ist der Hauptrisikofaktor für viele schwere Krankheiten, darunter Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz. Jedoch gibt es auch Menschen, die ein außergewöhnlich hohes Alter erreichen und dabei vielen altersbedingten Krankheiten entkommen – oder erst spät im hohen Alter daran erkranken. Aber was unterscheidet diese Personen von anderen? Genau daran forscht Dr. Joris Deelen (Foto) vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln. „Die Langlebigkeit von bestimmten Menschen scheint in ihren Genen zu liegen. Wir haben verschiedene Genvarianten gefunden und wollen jetzt herausfinden, wie sie die Funktion ihres Gens beeinflussen. Langfristig ist es unser Ziel, Medikamente oder Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln, damit viel mehr Menschen gesünder altern“, sagt Deelen. Was er und sein Team bisher herausgefunden haben, stellt der Wissenschaftler in seiner Keynote beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG) vor, der vom 12. bis 15. September in Frankfurt am Main stattfindet.
Konkret geht es darum herauszufinden, welche Funktion die Genvarianten in langlebigen Menschen haben. „Wir wollen genetische Varianten identifizieren, dann charakterisieren und anschließend im Zusammenhang mit der menschlichen Langlebigkeit untersuchen“, erklärt Deelen. Viele Vorgänge im Körper werden mit zunehmendem Alter fehlreguliert, sodass das Risiko für Krankheiten steigt. „Wenn wir also auf diese Vorgänge abzielen, könnten wir die Gesundheit im Alter verbessern. Das Altern ist nämlich nur teilweise vererbbar. Bei genetischen Studien haben wir festgesellt, dass die Lebensdauer, die Gesundheitsspanne oder die Langlebigkeit nur bedingt mit sehr häufigen genetischen Varianten zusammenhängen. Dafür aber vermutlich mit denen, die selten und sehr individuell vorkommen“, sagt Deelen.
Gesund im Alter: Drei Schritte sollen Funktionen der Genvarianten entschlüsseln
Um die Funktionen einzelner Genvarianten, die nachweislich das Altern beeinflussen, genauer zu entschlüsseln, sind Untersuchungen im Labor nötig, für die Joris Deelen und sein Team nun einen Fahrplan entwickelt haben. In einem ersten Schritt werden die Genvarianten in den langlebigen Familien identifiziert. Diese werden dann durch Laborarbeit in einem weiteren Schritt in einzelne Zelllinien eingebracht und charakterisiert. „Die Untersuchung in einer rein künstlichen In-vitro-Umgebung – also in der Petrischale statt in einem lebenden Organismus – hat für uns den Vorteil, dass wir die Zellen unter kontrollierten Bedingungen studieren können“, erklärt Deelen. „Hier konzentrieren wir uns auf Eigenschaften der Zellen, die uns vielleicht etwas über die Gesundheitsspanne eines gesamten Organismus verraten.“ Erst danach werden diese Varianten in lebenden Organismen untersucht – in diesem Fall an Mäusen.
Rare Grundlage: Extrem seltene Genvarianten außergewöhnlich lang lebender Menschen
Joris Deelen und sein Team haben nun einen Weg gefunden, wie sie neue Erkenntnisse zur Gesundheitsverbesserung im Alter finden können. Grundlage für jetzt anstehende Forschungsarbeiten sind aber immer nur ganz seltene Genvarianten, die in außergewöhnlich langlebigen Individuen oder menschlichen Familien vorkommen. „Genau diese Personen ausfindig zu machen und dann konkret die entsprechenden Genvarianten zu identifizieren, ist eine große Herausforderung“, sagt Deelen. „Es könnte auch sein, dass einige Varianten, wenn wir sie gefunden haben, nur schwer zu charakterisieren sind. Das liegt dann daran, dass die Genregion, in der die Genvariante aufritt, nicht vorkommt in den Modellorganismen, mit denen wir arbeiten“, beschreibt Deelen die Herausforderungen. Trotzdem ist er zuversichtlich: „Ich glaube, dass wir in den kommenden Jahren deutlich mehr Erkenntnisse darüber haben, wie genetische Varianten zu einem gesünderen Alterungsprozess beisteuern können. Und vielleicht haben wir dann einen weiteren Hinweis darauf, was medizinisch zu tun ist, damit das Alter nicht immer der Hauptrisikofaktor für schwere Krankheiten sein wird“, sagt Joris Deelen.
Zur Person:
Der Niederländer Dr. Joris Deelen ist Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln. Deelen und sein Team beschäftigen sich mit der Genetik und mit Biomarkern des menschlichen Alterns. Von 2003 bis 2014 studierte Deelen biomedizinische Wissenschaften an der Universität Leiden in den Niederlanden und arbeitete als Postdoktorand am Leiden University Medical Center unter der Leitung von Eline Slagboom. Im Jahr 2016 wechselte er in die Abteilung von Institutsdirektorin Linda Partridge am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln. Anfang April 2020 gründete er seine eigene Forschungsgruppe „Genetics and Biomarkers of Human Ageing“. Seine Forschung an Genvarianten in langlebigen Menschen wird seit 2022 durch das European Research Council der Europäischen Kommission finanziell gefördert.