Seelische Belastung und Essverhalten in der Pandemie
Befragung: 35 Prozent haben seit Beginn der Corona-Pandemie zugenommen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) haben untersucht, ob sich Ernährungsverhalten und Körpergewicht von Erwachsenen nach mehr als zwei Jahren Pandemie verändert haben. Es zeigt sich: 35 Prozent der Befragten haben seit dem Beginn der Pandemie teilweise erheblich an Gewicht zugenommen. Allerdings haben auch 15 Prozent der Erwachsenen seit Beginn der Corona-Krise zum Teil deutlich abgenommen.
„Veränderung in eine aus gesundheitlicher Perspektive unvorteilhafte Richtung“
Die Mehrheit der Befragten, rund zwei Drittel, gibt an, dass sich ihr Ernährungsverhalten seit Beginn der Pandemie nicht grundlegend verändert hat. Jedoch geben Befragte, die sich durch die Corona-Situation belastet gefühlt haben, häufiger an, dass sich ihr Ernährungsverhalten verändert hat. „Die Veränderung geht in eine aus gesundheitlicher Perspektive unvorteilhafte Richtung“, sagt Hans Hauner, Professor für Ernährungsmedizin an der TUM und Leiter des EKFZ.
35 Prozent aller Befragten geben an, dass sie im Vergleich zu der Zeit vor der Corona-Pandemie zugenommen haben – im Durchschnitt 6,5 Kilogramm und damit mehr als vor einem Jahr. Eine Gewichtszunahme berichten vor allem Befragte mit einem höheren Ausgangsgewicht, mit weniger Bewegung als vor der Corona-Pandemie sowie diejenigen, die sich im vergangenen Jahr durch die Pandemie seelisch belastet gefühlt haben.
Ein knappes Drittel aller Befragten gibt an, mehr und häufiger zu essen. Dabei handelt sich dann meist um Lebensmittel wie Süßwaren, süße Backwaren, Knabberartikel oder Fastfood. Diese ungünstige Speisenwahl war bei den Erwachsenen, die sich psychisch belastet fühlten, auffällig häufiger als bei den Personen ohne Stressbelastung. Die psychische Belastung geht zwar mit einer Änderung des Essverhaltens einher, allerdings ernähren sich der Umfrage zufolge auch 20 Prozent der seelisch belasteten Befragten gesünder als vorher.
Anstieg gewichtsabhängiger und lebensstilbedingter Krankheiten zu befürchten
„Leider haben es viele Menschen in der Corona-Pandemie nicht geschafft, ihr Gewicht im Griff zu behalten“, sagt Ernährungsmediziner Hauner. Er befürchtet, dass es dadurch in den kommenden Jahren zu einem Anstieg gewichtsabhängiger und lebensstilbedingter Krankheiten kommen wird. „Es ist damit zu rechnen, dass wir demnächst einen Anstieg der Neuerkrankungen von Typ 2 Diabetes sehen werden.“
Hauner empfiehlt als kurzfristige Gegenmaßnahme, die Menschen über diese Zusammenhänge aufzuklären und bei Wunsch konkrete Hilfe anzubieten. „Viele Menschen mit einem Gewichtsproblem benötigen Hilfe von außen. Die Gesundheitspolitik könnte Kampagnen auf den Weg bringen, um Menschen zu motivieren und zu unterstützen.“
15 Prozent der Befragten haben an Gewicht verloren
15 Prozent der Befragten haben ihr Gewicht reduziert – im Mittel um 7,9 Kilogramm. „Das deckt sich mit den Ergebnissen anderer Studien“, erklärt Prof. Martina de Zwaan, Leiterin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover. „Dies kann auf eine gesündere Lebensweise hindeuten: Das Leben war weniger hektisch, die Menschen hatten mehr Zeit, selbst zu kochen und sich mit gesunder Ernährung zu beschäftigen.“
Auffällig ist, dass ein hoher Anteil der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren (19 Prozent) und der Teilnehmenden mit einem Body-Mass-Index von weniger als 20 (18 Prozent) abgenommen haben. „Es gibt auch Studien, die deutlich zeigen, dass während der Pandemie Essstörungen zugenommen haben“, sagt de Zwaan. Dies wird auf die geringere Möglichkeit, Sport zu treiben, den Verlust von gewohnten und haltgebenden Strukturen, die soziale Isolation, generelle Unsicherheit, eine Zunahme von Depressivität und psychischer Belastung, aber auch auf einen möglicherweise vermehrten Konsum sozialer Medien und damit verbundene Konfrontation mit Schlankheitsidealen und Gewichtsstigmata, zurückgeführt.
Aufgrund der unterschiedlichen Verhaltensmuster in der Corona-Pandemie raten beide Experten zusätzlich zu besserer Aufklärung und zu individuellen Lösungen durch Ernährungsberatung.
Mehr Informationen:
Die Studie wurde finanziert durch die Else Kröner-Fresenius-Stiftung (EKFS). Die gemeinnützige Stiftung widmet sich der Förderung medizinischer Forschung und unterstützt humanitäre Projekte. Bis heute hat sie rund 2.300 Projekte gefördert. Mit einem jährlichen Fördervolumen von aktuell über 60 Millionen Euro ist sie die größte Medizin fördernde Stiftung Deutschlands. www.ekfs.de
Das Else Kröner Fresenius Zentrum für Ernährungsmedizin (EKFZ) an der TUM ist eine international renommierte Forschungseinrichtung auf dem Gebiet der Ernährungsmedizin. Das Zentrum besteht aus dem Lehrstuhl für Ernährungsmedizin, dem Lehrstuhl für Molekulare Ernährungsmedizin und der Professur für Pädiatrische Ernährungsmedizin. Das interdisziplinäre Team nutzt Knowhow aus Medizin, Ernährungs-, Sport- und Gesundheitswissenschaften für Forschung und Lehre und engagiert sich zudem stark im Public-Health-Bereich. www.ekfz.tum.de
Präsentation der Umfrage-Ergebnisse
Mitschnitt des EKFZ-Expertengesprächs zu den Umfrage-Ergebnissen