Falsche Ernährung macht depressiver
Original Titel:
Glycemic index, glycemic load, and depression: a systematic review and meta-analysis.
MedWiss – Wie stark ein Nahrungsmittel den Blutzucker ansteigen lässt, wird mit dem glykämischem Index (GI) und der glykämischer Last (GL) beschrieben. Ob Nahrungsmittel mit unterschiedlichem Effekt auf den Blutzucker Einfluss auf das Depressionsrisiko haben, ermittelten Experten im systematischen Forschungsüberblick. Je nach Studienart fand sich dabei kein klarer Zusammenhang (Querschnittsstudien), oder aber ein erhöhtes Risiko mit hohem GI (Kohortenstudien). Klinische Studien fanden, dass eine hohe GL depressive Symptome verstärken kann. Die Ernährung spielt demnach durchaus eine Rolle, die aber weiter genauer zu klären ist.
Bei der Entwicklung von Depressionen spielen viele verschiedene Akteure mit. Dazu zählen neben genetischen Veranlagungen auch Umweltfaktoren, die Entwicklungsschritte des Gehirns und beeinflussen. In den vergangenen Jahren wurde eine Zunahme depressiver Erkrankungen in verschiedensten Ländern festgestellt. In mehreren Studien wurde dabei ein Zusammenhang zwischen der Ernährung und dem Depressionsrisiko ermittelt. Im Blickpunkt standen dabei der glykämische Index (GI) und die glykämische Last (GL). Welche Rolle diese beiden Faktoren bei Depressionen spielen könnten, beschrieben nun Wissenschaftler in einer systematischen Literaturübersicht und vergleichenden Analyse der Ergebnisse (Meta-Analyse).
Welche Rolle spielen Nahrung und Blutzucker bei Depressionen?
Der glykämische Index beschreibt den Effekt eines Nahrungsmittels auf die Höhe des Blutzuckers. Wie hoch steigt der Blutzucker nach dem Verzehr von 50 g Glucose (Traubenzucker)? 50 g Glucose erreichen den höchsten Wert und dienen als Vergleichswert (GI 100). Im Vergleich dazu treibt die entsprechende Menge des einen Lebensmittels den Blutzucker ähnlich stark in die Höhe (z. B. Weißbrot mit GI 70), andere Lebensmittel erreichen dagegen weniger Veränderung des Blutzuckers (z. B. Vollkornbrot mit GI 50). Um denselben Anstieg des Blutzuckers zu erreichen, müsste man aber deutlich mehr Weißbrot als Traubenzucker essen, und natürlich noch mehr Vollkornbrot. Um diesen Umstand gerercht zu werden, bestimmen Wissenschaftler zusätzlich die glykämische Last eines Lebensmittels. Auch dieser Wert beschreibt den Effekt von kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln auf den Blutzucker, berücksichtigt dabei aber, wieviel verwertbare Kohlenhydrate ein Lebensmittel enthält. Denn Nahrungsmittel haben unterschiedliche Mengen an Kohlenhydraten. Beispielsweise besteht ein Traubenzuckerbonbon komplett aus Kohlenhydraten, ein Apfel dagegen nur zu einem viel geringeren Teil, neben beispielsweise Ballaststoffen und Wasser. Wenn die gleiche Menge Apfel und Bonbons verzehrt werden, ist die glykämische Last des Apfels damit viel niedriger als die des Bonbons: 10 g Bonbon lassen den Blutzucker in die Höhe schießen, 10 g Apfel aber nicht.
Glykämischer Index und Glykämische Last beschreiben Nahrungseffekte auf den Blutzucker
Die Experten durchsuchten zu diesem Thema die Forschungsliteratur und ermittelten systematisch Studien aus den medizinwissenschaftlichen Datenbanken Pubmed, Embase, ISI Web of Knowledge, Scopus und Google Scholar. Für den abschließenden Überblick der Datenlage ermittelten sie elf Veröffentlichungen: zwei sogenannte Kohortenstudien, sechs Querschnittsstudien und drei klinische Studien. Von diesen Arbeiten konnten bis auf eine Querschnittsstudie und eine klinische Studie alle zusammenfassend analysiert werden.
In den Querschnitts-Untersuchungen wurden je zwischen 140 und 87 618 Teilnehmer (insgesamt 101 389 Teilnehmer in 6 Studien) analysiert. In den Kohortenstudien wurden 85 500 Teilnehmer berücksichtigt. Die klinischen Studien untersuchten zwischen 40 und 82 Teilnehmern (insgesamt 164 Teilnehmer in drei Studien). Bei der gemeinsamen Betrachtung aller Querschnittsdaten zeigte sich kein klarer Zusammenhang zwischen glykämischem Index oder glykämischer Last und dem Depressionsrisiko. Anders sah dies jedoch bei der Analyse der Kohortenstudien aus: hier deutete sich an, dass eine Ernährung mit erhöhtem glykämischem Index mit einem erhöhten Risiko für Depressionen einherging. Um bei unseren vorherigen Beispielen zu bleiben, könnte das Depressionsrisiko niedriger mit Vollkornbrot als mit Weißbrot sein. In den klinischen Studien fand sich zudem ein Anstieg depressiver Symptome nach Ernährung mit Lebensmitteln mit hoher glykämischer Last. Beispielsweise führt eine Banane zu stärkerem Anstieg des Blutzuckers bei gleicher Portionsgröße als ein Apfel – sie hat eine höhere GL. Der Apfel wäre demnach der Banane vorzuziehen.
Vergleich tausender Menschen: Nahrung eventuell Verstärker, nicht Auslöser von Depression?
Zusammenfassend zeigte sich demnach in reinen Querschnittsstudien kein klarer Zusammenhang zwischen glykämischem Index oder glykämischer Last und dem Risiko, an Depressionen zu erkranken. Allerdings kann offenbar ein hoher glykämischer Index das Risiko erhöhen (Kohortenstudien) und eine hohe glykämische Last Probleme verstärken (klinische Studien). Die Ernährung spielt demnach durchaus eine Rolle – eventuell, wenn andere Risikofaktoren wie Veranlagung und Entwicklung bereits die Möglichkeit einer depressiven Erkrankung bieten, beziehungsweise wenn die Erkrankung bereits vorliegt. Die Experten sehen weiteren Forschungsbedarf – sowohl in den reinen Zusammenhängen zwischen Ernährung und Depression als auch in den möglichen zugrundeliegenden Mechanismen.
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