Jede Insel zählt: Neuer Review-Artikel über die Verbesserung der Auswirkungen der Forschung an menschlichen Pankreasinseln
Die detaillierte Charakterisierung menschlicher Pankreasinseln ist der Schlüssel zur Aufklärung der Pathophysiologie aller Formen von Diabetes mellitus, einschließlich der häufigsten Form, dem Typ-2-Diabetes (T2D). Der Zugang zu Pankreasinseln ist jedoch begrenzt, und Pankreasgewebe für die Inselgewinnung kann entweder von verstorbenen oder hirntoten Organspendern oder von Patienten, die sich einer Pankreatektomie unterziehen, gewonnen werden. Hinzu kommt, dass unterschiedliche Protokolle für die Gewinnung von Inselzellen deren molekulare Profile und Funktion erheblich beeinflussen.
Diese Faktoren in Verbindung mit der Heterogenität der Individuen führen zu analytischen Herausforderungen, um echte Krankheitspathologie oder Unterschiede zwischen menschlichen Spendern von experimentellem Rauschen zu unterscheiden. Diese und andere Themen werden in einem neuen Übersichtsartikel behandelt, den ein Team renommierter Expert:innen, darunter Prof. Michele Solimena vom Paul-Langerhans-Institut Dresden und dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung, in der Zeitschrift „Nature Metabolism“ veröffentlicht hat.
Weltweit sind mehr als 500 Millionen Menschen von Diabetes mellitus betroffen, was eine zunehmende Belastung für die Lebenserwartung und Lebensqualität der Patient:innen sowie eine wachsende Herausforderung für die Gesundheitssysteme bedeutet. Die Krankheit selbst resultiert letztlich aus der Unfähigkeit der Betazellen der Bauchspeicheldrüse, genügend Insulin zu produzieren, um den Stoffwechselbedarf zu decken.
Daher ist die Erforschung der Pankreasinseln von entscheidender Bedeutung, um Mittel zur Vorbeugung der Krankheit oder zur Behandlung der Ursachen für das Versagen der Betazellen zu finden. Zu diesem Zweck stellen mehrere akademische und kommerzielle Einrichtungen auf der ganzen Welt menschliche Pankreasinseln für die Forschung zur Verfügung, und immer mehr Daten zur Charakterisierung dieses wichtigen Miniorgans für die Diabetesforschung werden verfügbar. Es bleiben jedoch kritische Fragen zur Bedeutung und Genauigkeit der metabolischen Phänotypisierung dieser Spender und zu den Verfahren der Inselentnahme und der anschließenden Analyse.
„Wir haben den Artikel in der Absicht geschrieben, einen Überblick über den Stand der Forschung zu geben, die Herausforderungen hervorzuheben und Maßnahmen vorzuschlagen, die den Fortschritt im Verständnis von T2D beschleunigen und damit die pandemische Ausbreitung verlangsamen könnten“, sagt Prof. Michele Solimena, Sprecher des Paul-Langerhans-Instituts Dresden (PLID) des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) und zusammen mit Prof. Anna Gloyn korrespondierender Autor dieses Perspektivartikels.
Quellen für Pankreasinseln, ihre Beschaffung und damit verbundene Einschränkungen
„Menschliche Pankreasinseln können aus verschiedenen Quellen gewonnen werden, und sowohl die Quelle als auch die angewandte Entnahme-Methode haben einen Einfluss auf die Informationen, die gewonnen werden können.
Während zum Beispiel Gewebeproben aus Autopsien für die histologische Untersuchung der Morphologie oder Morphometrie der Inselzellen nützlich sind, fehlen ihnen funktionelle Daten und sie liefern nur begrenzte molekulare Informationen“, fährt Prof. Michele Solimena fort. In den letzten Jahren wurden die meisten Informationen über die menschlichen Inselzellen und die insulinproduzierenden Betazellen innerhalb der Insel entweder aus Inselzellen gewonnen, die von hirntoten Organspendern isoliert wurden, oder, in jüngerer Zeit, aus chirurgischen Proben pankreatektomierter Patienten.
Diese lebenden Spender, von denen sich die meisten aufgrund eines duktalen Adenokarzinoms der Bauchspeicheldrüse einer Pankreatektomie unterzogen haben, können vor der Operation metabolisch phänotypisiert werden, während ihre detaillierte familiäre, klinische und pharmakologische Vorgeschichte verfügbar ist. Die Pankreasinseln in den chirurgischen Proben können dann mittels Laser-Capture-Mikrodissektion für die Erstellung von Multi-omics-Profilen entnommen und hinsichtlich ihrer Physiologie und morphologischen Merkmale in frischen Gewebeschnitten oder fixierten Schnitten charakterisiert werden.
Obwohl die Daten über die klinische und familiäre Vorgeschichte von hirntoten Spendern eher begrenzt sind, sind die von diesen Spendern isolierten Inselchen für die Forschung weiterhin von großer Bedeutung. Dieser Ansatz beinhaltet die Resektion der gesamten Pankreasdrüse und ermöglicht so den enzymatischen Aufschluss und die Isolierung vieler Inseln, die dann für umfangreiche bildgebende, funktionelle und biomedizinische Studien, die auch genetische und pharmakologische Störungen einschließen, an viele Labors verteilt werden können.
Datenanalyse, -integration und -verbund – Was ist mit FAIRness?
Die Erforschung der Physiologie und Pathophysiologie der menschlichen Inselzellen ist von großer Bedeutung. Um die Möglichkeiten zu erhöhen, kausale Mechanismen für die Entstehung von T2D aufzudecken, und das Potenzial zu erhöhen, diese vor dem Ausbruch der Krankheit anzugehen, sind Änderungen an den derzeitigen operativen Modellen erforderlich. Dazu gehören die Verfügbarkeit zusätzlicher Inselquellen, leistungsfähigere und zuverlässigere technologische Plattformen für die standardisierte Erzeugung quantitativer Inseldaten sowie die Umsetzung transparenterer und koordinierterer Interaktionsmodelle für die gemeinsame Nutzung von Proben und die Integration von Datensätzen. „Wir glauben, dass die FAIR-Prinzipien, d.h. Findability, Accessibility, Interoperability und Reusability, für zukünftige Studien von enormer Bedeutung sind“, erklärt Michele Solimena.
Derzeit haben nur wenige internationale Teams unabhängige Biorepositorien mit Multi-Omic-Daten über menschliche Inseln eingerichtet, und viele andere bestehende Kohorten erfüllen diese Grundprinzipien noch nicht. „Dies ist unserer Meinung nach ein enormer Verlust für die Forschung, da diese Sammlungen einzeln für die meisten Analysen zu wenig aussagekräftig sind, gemeinsam jedoch das Potenzial haben, das Verständnis der Krankheitsheterogenität und der Diabetespathogenese erheblich voranzubringen“, so Solimena.
„Mit unserem perspektivischen Artikel wollten wir die aktuelle wissenschaftliche Situation in Bezug auf die Möglichkeiten beleuchten, die mit der Verwendung von Pankreasinseln für das Verständnis von T2D verbunden sind, gleichzeitig aber auch deren Grenzen im Auge behalten. Die Verfügbarkeit zusätzlicher Inselquellen, leistungsfähigerer und zuverlässigerer technologischer Plattformen für die standardisierte Generierung quantitativer Inseldaten sowie die Implementierung transparenterer und koordinierterer Interaktionsmodelle für die gemeinsame Nutzung von Proben und die Integration von Datensätzen bieten neue Möglichkeiten, solche kausalen Mechanismen aufzudecken und noch vor dem Ausbruch der Krankheit zu bekämpfen. Dies ist besonders aktuell in Anbetracht der jüngsten Identifizierung verschiedener Prädiabetes- und T2D-Cluster, die für eine präzisere molekulare Taxonomie sprechen, einschließlich derjenigen der Inselzellen“, schließt Michele Solimena.
Original-Publikation:
Anna L. Gloyn, Mark Ibberson, Piero Marchetti, Alvin C. Powers, Patrik Rorsman, Maike Sander, Michele Solimena. Every Islet Matters: Improving the Landscape for Human Islet Research. Nature Metabolism 4, pages 970–977 (2022). DOI: 10.1038/s42255-022-00607-8