Alzheimerforschung: gefährlichen Verbindungen auf der Spur
Der 21. September ist weltweit einer Krankheit gewidmet, die Erinnerungen löscht, geistige Fähigkeiten und Persönlichkeiten langsam zerstört: Alzheimer. Molekularbiologin Prof. Dr. Susanne Aileen Funke erforscht an der Hochschule Coburg neuartige Ansätze, um mittels biotechnologischer Methoden Grundlagen für mögliche Therapien zu schaffen. Im Interview zum Welt-Alzheimertag erklärt sie den Stand der Wissenschaft.
Was passiert im Kopf, wenn ein Mensch an Alzheimer erkrankt?
Prof. Dr. Susanne Aileen Funke: Eines der Hauptmerkmale der Alzheimer-Krankheit sind Eiweißablagerungen im Gehirn. Wir wissen, dass dabei zwei körpereigene Proteine mit sich selber aggregieren, sich also auf spezielle Art zusammenballen. Das ist zum einen das Amyloid-beta-Peptid: Es bildet so genannte Oligomere, das sind Makromoleküle, aus denen später so genannte Fibrillen entstehen. Das sind im Grunde winzige Protein-Fasern, die sich zwischen den Nervenzellen als Plaques ansammeln. Zum anderen gibt es noch das Tau-Protein. Es bildet ebenfalls Oligomere und Fibrillen, diese verklumpten Proteine lagern sich aber als so genannte Tangles in den Hirnzellen ab.
Viele Menschen stellen sich die Krankheit so vor, dass wir verkalken – und man nur die Ablagerungen entfernen müsste. Vergangenes Jahr wurde in den USA vorläufig ein Medikament zugelassen, dass die Verklumpungen abbaut. Aber der Hersteller stellte den Vertrieb wieder ein…
Aducanumab war unter Wissenschaftler:innen sehr umstritten und in der EU war das Medikament nicht zugelassen. Es reduziert zwar die Plaques, aber den Patient:innen ging es dadurch nicht deutlich besser. Zudem gab es teilweise starke Nebenwirkungen. Alzheimer ist eine sehr komplexe Erkrankung. Es ist offensichtlich, dass die Eiweißablagerungen damit zusammenhängen. Aber wir wissen nicht, warum es dazu kommt. Und wir kennen den konkreten Auslöser der Krankheit nicht – möglicherweise sind es mehrere, vielleicht auch sehr viele Auslöser, die zusammenwirken. Heute geht man davon aus, dass die festen, großen Ablagerungen vielleicht nicht einmal das Problem sind, sondern die kleineren löslichen Aggregate: Die Oligomere können im Gehirn umherdiffundieren und an verschiedene Rezeptoren binden. Sie können sich von einer Zelle in die nächste fortpflanzen. Deswegen werden vermehrt Ansätze gesucht, um die Oligomere zu bekämpfen.
Was ist Ihr Ansatz?
An der Hochschule Coburg erforschen wir sehr kleine Eiweiße, die an Tau oder dessen Aggregate in jeglicher Größe andocken sollen, damit diese Tau-Moleküle sich nicht mit anderen Tau-Proteinen verbinden und nicht die gefährlichen Oligomere oder Fibrillen bilden. Unter anderem haben zwei unserer Doktorandinnen, Dr. Isabelle Aillaud und Dr. Marwa Malhis, erfolgversprechende Ansätze entwickelt. Im Reagenzglas zeigte sich, dass unsere Peptide verhindern, dass sich die gefährlichen Verbindungen bilden – oder sie sorgen dafür, dass gefährliche Verbindungen in ungefährliche umgewandelt werden. Außerdem konnten wir auch bereits in Zellkulturen positive Auswirkungen zeigen. Um zu prüfen, ob unsere Peptide das Potenzial haben, zu einem Therapeutikum entwickelt zu werden, sind eine Reihe weiterer Untersuchungen nötig. Wir sind jetzt dabei, Fördergelder für weitergehende Arbeiten zu akquirieren und ich habe einen großen Kreis an Kooperationspartner:innen in der Wissenschaft. Wir bleiben dran!
Ist absehbar, wann es Heilung für diese Krankheit gibt?
Unsere Arbeit in Coburg ist einer von vielen Beiträgen. Die Wissenschaft leistet große Arbeit, weltweit wird in diesem Bereich wahnsinnig viel geforscht und viel Geld investiert. Bisher waren die klinischen Studien leider nicht besonders erfolgreich. Aber es läuft viel – ob da in den nächsten fünf Jahren das Therapeutikum der Zukunft dabei ist, kann noch niemand sagen.
Interview: Natalie Schalk
19. September 2022