Bestrahlung gegen Herzrhythmusstörungen
Kooperation zwischen Strahlentherapie und Kardiologie: MHH-Experten erzielen Erfolge mit innovativer Behandlungsmethode
Strahlentherapie – die meisten Menschen denken dabei an die Behandlung einer Krebserkrankung. An der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) werden jetzt Strahlen eingesetzt, um Patientinnen und Patienten mit Herzrhythmusstörungen zu helfen. Mit Hochpräzisionsbestrahlung aus Linearbeschleunigern wird genau die Stelle im Herzmuskel behandelt, die für die Rhythmusstörung verantwortlich ist. Das Verfahren ist relativ neu und wird in Deutschland nur in wenigen Kliniken durchgeführt. Es eignet sich für Betroffene, die sehr schwer erkrankt sind und bei denen die herkömmlichen Therapiemethoden nicht ausreichen. Bei der Behandlungsmethode arbeiten Experten der Klinik für Strahlentherapie und Spezielle Onkologie unter der Leitung von Professor Dr. Hans Christiansen und der Klinik für Kardiologie und Angiologie unter der Leitung von Professor Dr. Johann Bauersachs eng zusammen.
In Deutschland werden jedes Jahr rund 400.000 Menschen wegen Herzrhythmusstörungen in eine Klinik eingewiesen. Eine häufige Form der Erkrankung ist die sogenannte ventrikuläre Tachykardie, bei der die Rhythmusstörungen von Narbenarealen im Herzmuskel ausgehen. Für die Behandlung gibt es mehrere Möglichkeiten. Dazu gehören Medikamente, die Implantation eines Defibrillators, der bei Kammerflimmern durch Schockabgabe den Herzrhythmus wieder reguliert, sowie die Katheterablation. Bei einer Ablation werden die vernarbten Herzmuskelbereiche über spezielle Katheter verödet. „Dennoch gibt es Patientinnen und Patienten, die trotz der insgesamt sehr guten Behandlungsmöglichkeiten weiterhin lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen haben“, erklärt Professor Dr. David Duncker, Leiter des Hannover Herzrhythmus Centrums (HHC) der Klinik für Kardiologie und Angiologie.
Immer wieder löste der Defibrillator aus
Einer der Betroffenen ist Gerd W. Aufgrund einer Herzinsuffizienz, auch Herzschwäche genannt, leidet er seit 2006 an Herzrhythmusstörungen. „Damals bekam ich Bypässe und mir wurde ein Defibrillator implantiert. Zunächst lief alles gut. Nach einigen Jahren setzten die Rhythmusstörungen jedoch spürbar ein“, erinnert sich der 55-Jährige aus der Region Hannover. 2019 und 2021 hatte er so schwere Störungen, dass der Defibrillator auslöste. Die körperlich und psychisch stark belastenden Zwischenfälle ereigneten sich immer wieder, so dass weitere Medikamente zur Stabilisierung des Herzrhythmus hinzukamen. Wenig später wurde die erste Katheterablation durchgeführt. Doch es ging weiter. Im September 2021 erlebte er die bis dato schwerste Herzrhythmusstörung – wie ein Sturm löste der Defibrillator einen Schock nach dem anderen aus, um das Herz wieder in den richtigen Rhythmus zu bringen. Jedes Auslösen des Defibrillators brachte Gerd W. wieder auf die Intensivstation. „Nach einer zweiten Katheterablation und einer zwischenzeitlichen Rehabilitation habe ich mich gedanklich immer mehr mit einer Hochpräzisionsbestrahlung beschäftigt“, sagt Gerd W. Nach einer ausführlichen interdisziplinären Beratung durch Dr. Roland Merten, Oberarzt der Klinik für Strahlentherapie und Spezielle Onkologie und die Spezialisten des Hannover Herzrhythmus Centrums der Klinik für Kardiologie und Angiologie, entschloss er sich, das Verfahren anwenden zu lassen.
„Bei der Katheterablation können nicht alle Bereiche des Herzmuskels erreicht werden. Da kann die Hochpräzisionsbestrahlung ihre Vorteile ausspielen“, erläutert Dr. Stephan Hohmann, Oberarzt Rhythmologie am Hannover Herzrhythmus Centrum. Die Hochpräzisionsbestrahlung mithilfe eines Linearbeschleunigers ist bisher vor allem zur Behandlung von Tumoren, beispielsweise Hirnmetastasen, bekannt. „Wir können die hochenergetische Strahlung mit millimetergenauer Präzision auf den gewünschten Zielpunkt bringen. So wird der Effekt auf das kranke Gewebe maximiert und das umliegende Gewebe geschont“, erklärt Professor Dr. Hans Christiansen, Direktor der Klinik für Strahlentherapie und Spezielle Onkologie. Bei der Hochpräzisionsbestrahlung gegen Herzrhythmusstörungen trifft die Strahlung exakt auf die für die Störungen verantwortlichen vernarbten Herzmuskelareale und sorgt für einen Umbau des Gewebes. Die Strahlung kann aus vielen verschiedenen Winkeln und in unterschiedlich hoher Dosis auf das Areal treffen. Der bildgeführte Eingriff dauert zwar nur wenige Minuten, muss in der Klinik für Strahlentherapie auf der Basis der 3-D-Bilddaten aus der rhythmologischen Katheteruntersuchung aber aufwändig vorbereitet werden. Ein Medizinphysiker benötigt etwa einen Tag, um am Rechner ein 3-D-Modell zu konstruieren, mit dessen Hilfe die Strahlung genau das gewünschte Ziel erreicht. Und die medizinisch-technischen Assistentinnen müssen die Patientinnen und Patienten millimetergenau platzieren.
Alle Patientinnen und Patienten profitierten von Verfahren
Die Hochpräzisionsbestrahlung gegen Herzrhythmusstörungen ist ein einmaliger und schmerzloser Vorgang. „Da es sich im Gegensatz zur Katheterablation um ein nichtinvasives Verfahren handelt, eignet es sich auch für Patientinnen und Patienten, die zu krank für einen invasiven Eingriff sind“, stellt Professor Duncker fest. Die Kardiologen und die Strahlentherapeuten der MHH haben das neue Behandlungsverfahren interdisziplinär bisher bei fünf Patientinnen und Patienten angewendet und sind damit eines der erfahrensten Zentren in Europa. „Alle haben davon profitiert. Wenn die Rhythmusstörungen auch nicht immer vollständig verschwanden, so konnten die Häufigkeit und die Stärke doch deutlich reduziert werden. Das ist ein Riesengewinn für die Betroffenen“, erklärt Professor Duncker.