Sensor-Armband misst umfassend Umwelteinflüsse und verbessert so die Behandlung von Lungenkrankheiten

Ob Feinstaub oder giftige Gase – von Geburt an sind Menschen dauerhaft verschiedenen äußeren Umwelteinflüssen ausgesetzt. Diese externen Faktoren, in ihrer Gesamtheit als Exposom bezeichnet, wirken sich nachhaltig auf die menschliche Gesundheit aus. In einem europäischen Forschungsprojekt wird nun untersucht, inwieweit das Exposom den Verlauf von Lungenkrankheiten beeinflusst. Mikroelektronik-Expert*innen vom Fraunhofer IZM entwickelten ein Sensor-Armband, mit dem über 40 Substanzen selbst in schwächster Konzentration identifiziert werden können. Die gesammelten Daten zeigen die entsprechenden Einflüsse auf das Krankheitsbild und eröglichen die Ableitung personifizierter Behandlungsmethoden.

Atemwegserkrankungen schränken die Lebensqualität von Betroffenen stark ein und fordern jährlich schätzungsweise sieben Millionen Sterbefälle. Die dafür verantwortlichen Ursachen sind unterschiedlicher Natur. Unabhängig davon, ob sie erblich bedingt oder durch den Lebensstil ausgelöst werden, spielt auch das Exposom eine ausschlaggebende Rolle. Es handelt sich dabei um eine kombinierte Größe interner und externer Einflüsse, wie etwa die Umgebungsluft, Sonneneinstrahlung, Schadstoffe oder auch die Ernährung. Die Erforschung dieser vielfältigen Faktoren ist noch nicht ausgereift: Bekannt ist lediglich, dass die Wirkung dieser Variable für den Krankheitsverlauf von Atemwegserkrankungen nicht zu unterschätzen ist. Daher hat das multidisziplinäre Konsortium im europäischen Projekt REMEDIA es sich zum Ziel gesetzt, den Pool aus Umweltparametern und Biomarkern zu untersuchen und die konkrete Relevanz für Atemwegskrankheiten zu bestimmen.

Im Fokus stehen hierbei zwei Erkrankungen: Die Mukoviszidose (kurz: CF für cystische Fibrose), eine Stoffwechselerkrankung, welche die Funktionsfähigkeit von Organen erheblich beeinträchtigen kann, sowie die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), die in den meisten Fällen durch regelmäßigen Tabakkonsum ausgelöst wird. Beide Krankheiten können zwar behandelt werden, gelten jedoch als unheilbar und senken die Lebenserwartung der Betroffenen bisweilen enorm. Obwohl CF und COPD ähnliche Krankheitsverläufe aufweisen, variieren die Ursachen des Ausbruchs, was eine parallele Betrachtung für die Forschung interessant und auch nötig macht. Klar ist zudem, dass bei beiden Krankheiten nicht alle Symptome auf die Genetik bzw. das Rauchen zurückgeführt werden können; vielmehr spielen weitere, bisher unbekannte Faktoren eine maßgebliche Rolle. Um diese identifizieren und zuverlässige Informationen zu Korrelationen aufbereiten zu können, müssen Daten gesammelt und pathologisch interpretiert werden.

Für die technische Realisierung der Messungen entwickelt das Konsortium nun zwei neuartige Geräte: einen Sensor, der über die ausgeatmete Luft im Körper vorhandene Biomarker misst, und einen weiteren Sensor für die Ermittlung der vielfältigen Umwelteinflüsse, die auf Patient*innen einwirken. Das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM ist für die Entwicklung und den Aufbau des umweltbezogenen Toolkits verantwortlich. Das Forschungsteam um die Gruppenleiterin Christine Kallmayer wird von der Vision geleitet, ein hochminiaturisiertes und damit tragbares Design mit höchster Messgenauigkeit zu verbinden: „Die Konzentration der relevanten Gase in der Luft ist extrem niedrig, weswegen die Sensoren hochgradig sensibel konzipiert sein müssen. Gleichzeitig muss das Gesamtgerät klein und portabel bleiben, weil die Patient*innen es dauerhaft tragen sollen. Als Kompromiss haben wir ein elektronisch integriertes Armband entworfen, auf dem die schmale Toolbox angebracht ist.“ Damit soll eine Messung nicht nur in der Einheit „parts per million“, sondern auch in ppb, also einem Milliardstel einer bestimmten Menge („parts per billion“), realisiert werden.

Noch vor dem Aufbau widmeten sich die Forschenden zunächst einer ausgiebigen Testphase: Aus der Vielzahl handelsüblicher Sensoren galt es solche zu finden, die den hohen Anforderungen von Genauigkeit und kleiner Baugröße entsprechen. Sobald sich die beste Option herauskristallisiert hatte, entwickelten sie die energieeffiziente Schaltung, welche die Messdaten aus dem Sensor live in die Außenwelt überträgt, und integrierten die Sensoren in das dehnbare Armband. Weitere Sensorik, Controller, ein GPS-Modul, eine winzige Antenne, eine SD-Karte und der Akku wurden in einer handygroßen Box verbaut, die am Armband befestigt wird. Um das Design kompakt zu halten, miniaturisierten die Forschenden die Bauelemente und entschieden sich bei den Schaltungen für den Aufbau eines System-in-Package, in dem mehrere integrierte Schaltungen in einer Chip-Verkapselung gestapelt sind.

Im ersten Projektjahr eruierte das Konsortium Anforderungen an die Messsysteme und erstellte einen Katalog mit rund 40 relevanten Größen, die Gase wie CO, O3, NO2, CO2, SO2, VOC, die Luftfeuchtigkeit, den Luftdruck, die Staubpartikelbelastung, den Indikator für Luftqualität, aber auch Lichtverhältnisse, die Temperatur sowie den Lärmpegel einschließen. Genau diese breitgefächerte Erfassung der Parameter stellte für die technische Umsetzung eine Hürde dar, da die einzelnen Werte aufgrund ihrer unterschiedlichen Partikelgrößen üblicherweise mittels verschiedener Technologien gemessen werden. Die Entscheidung fiel schließlich auf elektrochemische und MOS-Sensoren (Metaloxidation Semiconductor), die zusätzlich mit dynamischem Laserscattering kombiniert wurden. Diese Herangehensweise in Verknüpfung mit algorithmischer Auswertung löste auch die Schwierigkeit sogenannter querempfindlicher Sensoren, die fälschlicherweise auf mehrere Substanzen reagieren.

In den nächsten Projektstufen soll der Messprozess in der Realität erprobt werden: Dabei werden Patient*innen das Armband unter den individuellen Bedingungen ihres Alltags und in ihrer lokalen Umgebung testen. Die Informationen über die Umwelt der Patient*innen sollen anschließend auf der integrierten SD-Karte zusammenlaufen und durch die am Fraunhofer IZM entwickelte Software auf einem Endgerät sichtbar werden. Nach Abschluss der Datensicherung werden die Projektpartner*innen die Exposome der Patient*innen in atmosphärischen Simulationskammern replizieren, so dass ein Abgleich der experimentellen Daten mit den realen Messwerten durchgeführt werden kann. Des Weiteren werden mittels künstlicher Intelligenz und Machine Learning prognostische Modelle konzipiert, um präventive Therapien je nach Einzelfall zusammenstellen zu können. Mit Hilfe der quantifizierbaren Untersuchung relevanter Wirkfaktoren ergibt sich somit nicht nur ein großer Mehrwert für die Medizin – auch aus technischer Perspektive ist das Sensor-Armband aufgrund seiner Baugröße, Mobilität und vor allem Performance bei extrem niedriger Konzentration der Gase als Vorreiter zu betrachten.

Das europäische Netzwerk für menschliche Exposomen ist das weltweit größte Netzwerk von Projekten, in denen die Auswirkung der Umweltexposition auf die menschliche Gesundheit erforscht wird. Es verbindet neun Forschungsprojekte, die im Rahmen von Horizont 2020, dem Rahmenprogramm der EU für Forschung und Innovation, mit über 100 Millionen Euro gefördert werden. Durch neue Erkenntnisse zu besseren Präventionsmaßnahmen werden die Ergebnisse aus diesem Netzwerk nicht nur dazu beitragen, das Ziel des europäischen »Green Deal« voranzutreiben, sondern auch die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung vor Umweltverschmutzung und
-zerstörung zu schützen.

Weitere Informationen zu allen im Projekt Beteiligten und weiteren Projektinhalten finden Sie hier: https://h2020-remedia.eu/.
(Text: Olga Putsykina)