Wirkung von Anti-Aging-Mitteln fragwürdig
Drei Ansätze, die im Ruf stehen, Alterungsprozesse zu verlangsamen, haben sich als wirkungslos erwiesen. Für ihre Untersuchung entwickelten Forschende ein neues Verfahren, mit dem sich die Alterung von Organismen messen lässt.
In einer neuen Studie haben Forschende drei Behandlungsansätze unter die Lupe genommen, mit denen sich nach bislang gängiger Meinung der Alterungsprozess verlangsamen lässt. Bei ihrer Erprobung an Mäusen erwiesen sich diese Behandlungen jedoch als weitgehend wirkungslos, was den vermeintlichen Einfluss auf das Altern angeht. „Es gibt keine innere Uhr des Alterns, die man mit einem einfachen Schalter regulieren könnte – zumindest nicht in Form der hier untersuchten Behandlungen“, bilanziert Dr. Dan Ehninger vom DZNE, der Initiator der Studie. Das Team hat die Entwicklung eines neuen Analyseansatzes vorangetrieben, um Einflüsse auf Alterungsprozesse messbar zu machen.
An der Studie, deren Ergebnisse jetzt im renommierten Fachjournal Nature Communications veröffentlicht wurden, waren Forschende vom DZNE, Helmholtz Munich und dem Deutschen Zentrum für Diabetes (DZD) beteiligt. „Wir haben für unsere Interventionen drei Regulatoren gewählt, bei denen viele Expertinnen und Experten davon ausgehen, dass sie das Altern verlangsamen“, erläutert Prof. Dr. Martin Hrabě de Angelis, Leiter des Institutes für Experimentelle Genetik und Direktor der German Mouse Clinic am Helmholtz Munich, der mit seinem Team ebenfalls das Projekt vorangetrieben hat. Eine von ihnen ist das intermittierende Fasten – auch Intervallfasten genannt -, bei dem die aufgenommenen Kalorien reduziert werden. Nummer zwei setzt an einem zentralen Knotenpunkt des Zellstoffwechsels (mTOR) an, der auch Ziel des vermeintlichen „Anti-Aging-Medikaments“ Rapamycin ist. Nummer drei wiederum greift in die Freisetzung des Wachstumshormons ein. Ähnliche Behandlungsverfahren werden auch von Menschen angewandt, ohne dass ihre Wirksamkeit in Bezug auf das Altern allerdings ausreichend nachgewiesen ist.
Für die Erprobung mit den Mäusen entwickelten die Wissenschaftler eine neue Antwort auf die Frage, wie man das Altern misst. „Viele Forscherinnen und Forscher haben in den vergangenen Jahrzehnten die Lebensspanne als indirektes Maß für das Altern herangezogen“, erläutert Dan Ehninger, der leitender Wissenschaftler am DZNE ist. Wie alt werden also beispielsweise Mäuse – und wie lässt sich diese Lebensspanne verlängern? „In der Forschung wird auf dieser Grundlage bis heute angenommen, dass sie langsamer altern, wenn sie nur länger leben. Das Problem ist aber, dass Mäuse ebenso wie viele andere Organismen nicht an genereller Altersschwäche sterben, sondern an sehr speziellen Krankheiten“, so Ehninger. Bis zu 90 Prozent der Mäuse sterben beispielsweise an Tumoren, die sich in hohem Alter in ihrem Körper bilden. „Wenn man jetzt also das ganze Genom auf Faktoren untersucht, die Mäuse langlebig machen, dann müsste man eigentlich solche Gene finden, die die Tumorentstehung unterdrücken – und nicht solche, die bei generellen Alterserscheinungen eine Rolle spielen.“
Für ihre Studie wählten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deshalb einen Ansatz, bei dem nicht die Lebensspanne im Mittelpunkt steht, sondern eine umfassende Untersuchung der altersabhängigen Veränderung verschiedenster Körperfunktionen. „Man kann sich das so vorstellen wie eine komplette Erhebung des Gesundheitszustands“, sagt Martin Hrabě de Angelis: „Der Gesundheitscheck ergibt ein Kompendium aus hunderten Faktoren, die sehr viele Bereiche der Physiologie abdecken“ – eine exakte Zustandsbeschreibung also im Moment der Untersuchung. Genau das haben die Forscher bei den Mäusen gemacht, die den drei Behandlungsansätzen zugeführt wurden, die vermeintlich das Altern verlangsamen. Über verschiedene Lebensabschnitte hinweg wurden sie untersucht und verglichen: Wie stark ändern sich in welcher Lebensphase üblicherweise die Parameter? Und: Ändern sie sich langsamer, wenn die Mäuse mit einer der drei Behandlungen versorgt werden? Mit diesem Studiendesign lässt sich zielgenau feststellen, ob sich der natürliche Alterungsprozess aufhalten lässt und mit ihm die Verschlechterung der körperlichen Funktionen.
Das Ergebnis war eindeutig: Zwar konnten die Forschenden einzelne Fälle feststellen, in denen alte Mäuse jünger aussehen, als sie in Wirklichkeit sind – „aber dieser Effekt kam nicht durch eine Verlangsamung des Alterns zustande, sondern durch altersunabhängige Faktoren“, sagt Dan Ehninger. „Die Tatsache, dass eine Behandlung bereits in jungen Mäusen – vor dem Auftreten von Alterserscheinungen – ihre Wirkung entfaltet, belegt, dass es sich um kompensatorische, allgemein gesundheitsfördernde Effekte handelt und nicht um ein Ansetzen an Alterungsmechanismen.“
Die Teams vom DZNE und dem Helmholtz Diabetes Center haben sich jetzt das nächste Ziel vorgenommen: Sie wollen weitere Behandlungsansätze untersuchen, mit denen sich nach Meinung von Experten die Alterung verlangsamen lässt. Die Hoffnung der Forschenden: Durch die neue Untersuchungsmethode ergibt sich ein umfassenderes Bild auf mögliche Behandlungsansätze und ihre Wirksamkeit.
Über das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE): Das DZNE ist ein von Bund und Ländern gefördertes Forschungsinstitut, das bundesweit zehn Standorte umfasst. Es widmet sich Erkrankungen des Gehirns und Nervensystems wie Alzheimer, Parkinson und ALS, die mit Demenz, Bewegungsstörungen und anderen schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Gesundheit einhergehen. Bis heute gibt es keine Heilung für diese Erkrankungen, die eine enorme Belastung für unzählige Betroffene, ihre Familien und das Gesundheitssystem bedeuten. Ziel des DZNE ist es, neuartige Strategien der Vorsorge, Diagnose, Versorgung und Behandlung zu entwickeln und in die Praxis zu überführen. Dafür kooperiert das DZNE mit Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen im In- und Ausland. Das Institut ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und zählt zu den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung.
Originalpublikation
Deep phenotyping and lifetime trajectories reveal limited effects of longevity regulators on the aging process in C57BL/6J mice.
Xie, K., Fuchs, H., Scifo, E. et al.
Nat Commun 13, 6830 (2022).
DOI: 10.1038/s41467-022-34515-y