Aufbau des Zellskeletts: Molekulare Wirkmechanismen zentraler Signalgeber aufgeklärt
Krankheitserreger nutzen das Zytoskelett für ihre Zwecke – die neuen Erkenntnisse liefern mögliche Ansatzpunkte für künftige Therapien
Salmonellen, Shigellen, Listerien und viele weitere Krankheitserreger machen sich das Proteinskelett unserer Körperzellen zunutze, um die Zellen zu infizieren und sich weiterzuverbreiten. Wie wird der Aufbau des Zellskeletts genau gesteuert? Die Antwort auf diese Frage liefert neue Möglichkeiten im Kampf gegen Erreger von Infektionskrankheiten. Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung von HZI-Wissenschaftler:innen hat die molekularen Mechanismen eines für den Aufbau des Zytoskeletts zentralen Signalmoleküls aufgeklärt. Die aktuelle Studie ist im Fachmagazin Science Advances erschienen.
Im Inneren unserer Körperzellen befindet sich ein weit verzweigtes Gerüst, das sogenannte Zytoskelett. Es stabilisiert die Zelle mechanisch und ist auch maßgeblich an ihrer Bewegung beteiligt, etwa während der Embryonalentwicklung oder wenn Immunzellen ausschwärmen, um Krankheitserreger unschädlich zu machen. Zudem spielt das Zytoskelett für Transportprozesse innerhalb der Zelle und über die Zellmembran hinweg eine zentrale Rolle. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Krankheitserreger das Zytoskelett auch für ihre Zwecke verändern und nutzen können, etwa um in Zellen hineinzugelangen, sich durch sie hindurchzubewegen oder benachbarte Zellen zu infizieren. „Wenn wir die Funktionsweise des Zytoskeletts und die dahinterstehenden grundlegenden molekularen Mechanismen besser verstehen, können wir auch gezielter gegen Krankheitserreger vorgehen“, sagt Prof. Klemens Rottner, der die Arbeitsgruppe „Molekulare Zellbiologie“ am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig leitet.
In einer aktuellen im Fachmagazin Science Advances erschienenen internationalen Studie, die unter der Leitung von Prof. Baoyu Chen der Iowa State University, USA, entstand, und an der das HZI-Forschungsteam um Klemens Rottner maßgeblich mitwirkte, konnten weitere Details um die Aktivierung des sogenannten WAVE-Komplexes aufgedeckt werden. Dieser Protein-Komplex ist an die Innenseite der Zellmembran angelagert und funktioniert wie eine Art Schaltzentrale: Wird er aktiviert, sorgt er für einen lokalen Aufbau sogenannter Aktinstrukturen (auch Lamellipodien genannt), die wichtige Bestandteile des Zytoskeletts darstellen. Das Aktinzytoskelett ist kein starres Gerüst, sondern ein hochdynamisches Netzwerk: Es ist einem ständigen Auf- und Abbau unterworfen, was der Zelle Beweglichkeit und eine flexible Form verleiht.
Dass der für den Aufbau des Aktinzytoskeletts verantwortliche WAVE-Komplex durch Bindung des Signalgebers Rac 1 – er gehört zu den sogenannten GTPasen – aktiviert wird, war bereits bekannt. „Und dass noch eine weitere GTPase namens Arf1 mit der Aktivierung des WAVE-Komplexes in Zusammenhang steht, wusste man ebenfalls“, sagt Rottner. „Mit unserer Studie wollten wir herausfinden, wo genau Arf1 am WAVE-Komplex ansetzt und was sich auf molekularer Ebene in Bezug auf den Aktivierungsprozess abspielt.“ Mithilfe biochemischer und strukturbiologischer Verfahren, die an der Iowa State University durchgeführt wurden, und zellbiologischer Untersuchungen unter Anwendung der sogenannten CRISPR-Cas9-Methode, die am HZI stattfanden, sowie unter Einbeziehung diverser Expertisen an der Stony Brook University, Mayo Clinic und der University of Pittsburgh (USA), konnte das Forschungsteam die Bindungsstelle von Arf1 am WAVE-Komplex ausmachen und seine aktivierende Funktion charakterisieren.
„Am WAVE-Komplex gibt es insgesamt drei Signalgeber-Bindungsstellen: Zwei für Rac1 – die waren bekannt – und eine für Arf1. Diese konnten wir mithilfe unserer Untersuchungen genau identifizieren. Sie liegt zwischen den beiden Rac1-Bindungsstellen“, sagt Rottner. Weiterhin konnten die Forschenden zeigen, dass Arf1 nur an den WAVE-Komplex bindet, wenn zuvor Rac1 an eine der beiden Bindungsstellen gebunden hat, und zwar an der sogenannten D-Stelle. „Dadurch wird die Struktur des WAVE-Komplexes so moduliert, dass Arf1 überhaupt erst andocken kann. Dieser Effekt wird in der Proteinbiochemie Allosterie genannt“, erklärt Rottner. Außerdem fanden die Forschenden heraus, dass der WAVE-Komplex am besten aktiviert wird, wenn alle drei Bindungsstellen der Signalgeber belegt sind. In ihrer Studie konnte das Team also zeigen, dass Arf1 neben Rac1 ebenfalls ein wichtiger Signalgeber und für die optimale Funktion des WAVE-Komplexes notwendig ist.
Diese grundlegenden molekularen Zusammenhänge der GTPase Arf1 sind auch für die angewandte Infektionsforschung interessant. „Aus verschiedenen Studien ist bereits bekannt, dass die Zellinvasion pathogener Bakterien – etwa Salmonellen – mit einer vermehrten Aktivierung der GTPase Arf1 einhergeht. Das führt zu einem beschleunigten Aufbau des Aktinzytoskeletts, was den Erregern den Zelleintritt erleichtert“, sagt Rottner. „Arf1 könnte daher ein vielversprechender Ansatzpunkt sein, um künftig gegen solche Krankheitserreger vorzugehen.“ Eine gezielte Hemmung von Arf1 könnte den Aufbau des Aktinzytoskeletts kurzzeitig abbremsen und auf diese Weise den Erregern den Zelleintritt erschweren oder auch gänzlich verwehren. Rottner: „Wir hoffen, dass wir mit unserer Studie zur Entwicklung neuer Ideen und Ansätze in der angewandten Infektionsforschung beitragen können.“
Originalpublikation:
Sheng Yang, Yubo Tang, Yijun Liu, Abbigale J. Brown, Matthias Schaks, Bojian Ding, Daniel A. Kramer, Magdalena Mietkowska, Li Ding, Olga Alekhina, Daniel D. Billadeau, Saikat Chowdhury4, Junmei Wang, Klemens Rottner, Baoyu Chen: Arf GTPase activates the WAVE regulatory complex through a distinct binding site. Science Advances 2022; https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.add1412
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Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
Wissenschaftler:innen am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen in Braunschweig und an anderen Standorten in Deutschland bakterielle und virale Infektionen sowie die Abwehrmechanismen des Körpers. Sie verfügen über fundiertes Fachwissen in der Naturstoffforschung und deren Nutzung als wertvolle Quelle für neuartige Antiinfektiva. Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) betreibt das HZI translationale Forschung, um die Grundlagen für die Entwicklung neuartiger Therapien und Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten zu schaffen. www.helmholtz-hzi.de