Unterschätzte Bedeutung von Ernährung und Hörminderung für die Demenzentwicklung
Das Thema Demenz wird in den Gesundheitsmedien immer präsenter; dabei werden zunehmend auch die sogenannten modifizierbaren Demenz-Risikofaktoren thematisiert. Dazu gehören mit unterschiedlich starkem Einfluss z. B. Rauchen, Depression, soziale Isolation, Bluthochdruck, Adipositas, Diabetes mellitus oder Alkoholkonsum. Auch Schwerhörigkeit – obwohl besonders einfach zu beheben – gehört dazu. Eine aktuelle Studie belegt den großen Nutzen von Hörgeräten bei der Demenzprävention [1]. Auf einen anderen, bislang zu wenig berücksichtigten Faktor weist eine weitere Studie hin – den Verzehr hochprozessierter Lebensmittel [2].
Die Zahl demenzkranker Menschen nimmt weltweit zu – in Deutschland leben heute ca. 1,6 Mio. Demenzkranke (diese Zahl umfasst alle Demenzen, nicht allein die Alzheimer-Demenz) – und bis 2050 werden es schätzungsweise 2,8 Mio. sein [3]. Dies liegt nicht nur an der sich verändernden Altersstruktur der Gesellschaft bzw. der zunehmenden Lebenserwartung. Neben genetischer Veranlagung und dem Alter per se sind schon lange verschiedene beeinflussbare Risikofaktoren bekannt, die langfristig zum Verlust kognitiver Fähigkeiten bzw. zur Entwicklung einer Demenz beitragen. Umgekehrt kann die konsequente Vermeidung aller bekannten modifizierbaren Risikofaktoren nachweislich über 30% der Demenzfälle verhindern [4, 5]. Neue Daten rücken nun zwei bislang wenig bekannte – und dabei jedoch sehr einfach zu korrigierende – Faktoren in den Fokus der Demenzprävention: Dies sind ein schlechtes Hörvermögen und eine ungesunde Ernährung bzw. zu große Mengen hochprozessierter Nahrungsmittel.
Hörminderung und Hörverlust sind signifikant mit dem Rückgang kognitiver Fähigkeiten und der Demenzinzidenz assoziiert. Ob im Umkehrschluss der Einsatz von Hörhilfen (Hörgeräte oder Cochlea-Implantate) positive Effekte auf die Kognition haben, untersuchte nun eine große Metaanalyse [1]. Von 3.243 gescreenten Studien wurden insgesamt die Daten von 137.484 Teilnehmenden aus 31 randomisierten oder Beobachtungsstudien ausgewertet. Die Dauer des Follow-ups betrug bis zu 25 Jahre. Das Ergebnis zeigte, dass die Verwendung von Hörhilfen verglichen mit Teilnehmenden ohne entsprechende Geräteversorgung langfristig mit einem signifikanten, um 19% niedrigeren Risiko für jede Art des kognitiven Abbaus einherging (HR 0,81). Außerdem belegten elf Studien (n=568) eine Assoziation zwischen hörverbessernden Maßnahmen und einer Verbesserung kognitiver Scores um 3% bereits bei kurzfristigen Kontrollen kognitiver Tests.
Die zweite Studie [2] untersuchte die Assoziation von Demenzentwicklung und dem Verzehr sogenannter hochprozessierter Lebensmittel. Darunter fallen solche mit einem hohen Grad an industrieller Verarbeitung, d. h. mit Zusatzstoffen, die in frischer Nahrung nicht enthalten sind. Zum einen sind das die typischen „Ready-to-eat“- und „Ready-to-heat“-Produkte, aber auch Süßwaren, Softdrinks oder Fertigsaucen fallen in diese Kategorie. Obwohl Zusammenhänge zwischen dem Verzehr ultraprozessierter Lebensmittel und dem Risiko für kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen beschrieben sind, war bisher nur wenig bekannt über die Bedeutung für die Kognition.
Beamte aus sechs brasilianischen Städten im Alter zwischen 35 und 74 Jahren nahmen an der multizentrischen, prospektiven longitudinalen Kohortenstudie (2008 bis 2017) teil. Zu Beginn erhielten sie Fragebögen zu ihren Ernährungsgewohnheiten. Individuen mit extrem niedriger oder hoher Kalorienzufuhr (<600 oder >6000 kcal/Tag) und Personen mit Einnahme von Medikamenten, die kognitive Tests beeinflussen könnten, wurden ausgeschlossen. Die tägliche Aufnahme hoch-prozessierter Nahrung wurde prozentual zur Gesamtzufuhr ermittelt und in Quartilen eingeteilt. Kognitive Veränderungen wurden im Verlauf durch unterschiedliche Sprach- und Gedächtnistests evaluiert. Insgesamt 10.775 Teilnehmende einer ethnisch gemischten Population mit einem mittleren Alter von 51,6±8,9 Jahren (zu Studienbeginn) wurden analysiert; 54,6% waren weiblich und 56,6% hatten mindestens einen College-Abschluss. Während einer medianen Nachbeobachtungszeit von 8 (6-10) Jahren hatten Teilnehmende mit einem Verzehr von hochprozessierter Nahrung oberhalb der ersten Quartile (gegenüber denjenigen, deren Verzehrmenge in der ersten Quartile lag) einen signifikanten, um 28% schnelleren Rückgang globaler kognitiver Fähigkeiten (p=0,003) und einen um 25% schnelleren Verlust von Exekutivfunktionen (p=0,01).
„Dass Demenzprävention überhaupt möglich ist, ist bisher in unserer Gesellschaft noch gar nicht richtig angekommen – nicht bei jedem Einzelnen, besonders nicht in jungen Altersgruppen, auch nicht bei allen Ärztinnen und Ärzten“, erklärt DGN-Generalsekretär Prof. Dr. Peter Berlit. „Hirngesundheit ist ein extrem wichtiges Thema – für uns alle. Wir sollten konsequent die bekannten Demenz-Risikofaktoren vermeiden. Wie die aktuellen Studien zeigen, ist der positive Effekt, den Hörhilfen zur Korrektur von Schwerhörigkeit und eine gesunde, frisch zubereitete Kost auf unsere kognitive Gesundheit haben, sehr hoch. Wir möchten daher die Bevölkerung auf diese Präventionsmaßnahmen, die im Alltag leicht umzusetzen sind, hinweisen.“
Literatur
[1] Gonçalves NG, Ferreira NV, Khandpur N et al. Association Between Consumption of Ultraprocessed Foods and Cognitive Decline. JAMA Neurol 2022 Dec 5. doi: 10.1001/jamaneurol.2022.4397. Online ahead of print. PMID: 36469335
[2] Yeo BS, Song HJ, Toh EM et al. Association of Hearing Aids and Cochlear Implants With Cognitive Decline and Dementia: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Neurol 2022 Dec 5. doi: 10.1001/jamaneurol.2022.4427. Online ahead of print.
[3] Website: https://www.nationale-demenzstrategie.de/Broschüre: https://www.nationale-demenzstrategie.de/fileadmin/nds/pdf/2020-07-01_Nationale_Demenzsstrategie.pdf
[4] Livingston G, Huntley J, Sommerlad A et al. Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission. The Lancet Commissions 2020; 396: 10248, p413-446, August 08, 2020
[5] Hoffmann CM, Nianogo RA, Yaffe K et al. Importance of Accounting for Regional Differences in Modifiable Risk Factors for Alzheimer’s Disease and Related Dementias: The Case for Tailored Interventions. J Alzheimers Dis 2022 Jul 30 doi: 10.3233/JAD-220278. Online ahead of print.