Bewegungsarmut: Risikofaktor für Demenz, oder eher ein frühes Symptom?
Original Titel:
Physical inactivity, cardiometabolic disease, and risk of dementia: an individual-participant meta-analysis.
MedWiss – Ist Bewegungsarmut Ursache oder doch eher ein frühes Symptom von Demenzerkrankungen? Experten analysierten dazu Daten von einer halben Million Teilnehmern in einer Meta-Analyse. Körperliche Inaktivität war demnach kein Auslöser für die spätere Demenzerkrankung. Inaktive litten aber häufiger unter Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Bedeutung von Bewegung bleibt also unbestritten.
Dass Bewegung wichtig ist, ist inzwischen Jedem klar. Aber wie kritisch ist körperliche Untätigkeit als Risikofaktor für eine Demenzerkrankung? Und welche Rolle spielen Herz-Kreislauf-Erkrankungen in diesem Zusammenhang? Bei solchen Fragen wird in der Forschung häufig der Begriff ‚reverse causation bias‘ in die Diskussion geworfen: direkt übersetzt wäre das etwa eine rückwirkende Effekt-Verzerrung. Bedeuten tut dies: körperliche Inaktivität mag eine Ursache einer Demenz sein, könnte aber auch nur im Rückblick so erscheinen – und in Wahrheit eigentlich ein Symptom, also eine Folge, der beginnenden Demenzerkrankung sein. Bei der Erforschung von Zusammenhängen kann eine solche Fehlinterpretation häufig nicht klar ausgeschlossen werden.
Bewegungsarmut als Risiko oder frühes Symptom von Demenz?
Experten analysierten daher nun viele beobachtende Studien gemeinsam. Diese zusammenfassende Analyse wird Meta-Analyse genannt. Die Studien sollten die körperliche Aktivität oder Inaktivität erfasst und Diagnosen wie Demenz, Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen aufgezeichnet haben. Die Forscher ermittelten 19 Studien, in denen die gesundheitliche Entwicklung größerer Bevölkerungsgruppen beobachtet wurde – also sogenannte prospektive, observierende Kohortenstudien.
Gesamtanalyse von Beobachtungsstudien zu Sport, Gesundheit und Demenzrisiko
Die gesamte Studienbevölkerung umfasste 404 840 Menschen im durchschnittlichen Alter von 45,5 Jahren. Etwas mehr als die Hälfte (57,7 %) waren Frauen. Sämtliche Teilnehmer litten zu Beginn der Studien nicht unter einer Demenzerkrankung. Bei allen wurde anfänglich die körperliche Aktivität ermittelt. Die jeweilige Studiendauer und die Zahl der Teilnehmer ergaben zusammen 6 Millionen beobachtete Lebensjahre, die in solchen Studien Personenjahre genannt werden. In diesen gesamten Jahren wurden 2 044 Fälle von Demenzdiagnosen festgestellt. Speziell für die Alzheimerkrankheit ergab sich eine Häufigkeit von 1 602 in 5,2 Mio. Personenjahren.
Körperlich mehr und wenig aktive Menschen im Langzeitvergleich
Wie hing nun die körperliche Inaktivität mit einer Demenzdiagnose zusammen? Dazu ermittelten die Forscher, ob es in den Jahren direkt vor der Demenzdiagnose (weniger als 10 Jahre) einen statistischen Zusammenhang zwischen Demenz und Unsportlichkeit gab. Dieser Zeitraum wird als eine präklinische Phase der Demenz verstanden, in der manche Symptome eventuell bereits spürbar sind und die Krankheit häufig bereits im Gange ist, die Symptome aber noch nicht so ausgeprägt sind, dass eine Diagnose gestellt wird. Die Daten zeigten, dass tatsächlich körperliche Inaktivität in diesem Zeitraum häufiger mit einer Demenzerkrankung generell und speziell auch mit der Alzheimerkrankheit assoziiert war. Die sogenannte Risikorate (engl. hazard ratio) von 1,36 (Alzheimer) und 1,40 (generell Demenz) gab an, dass Inaktivität deutlich häufiger als Sportlichkeit von einer solchen Diagnose gefolgt war. Um zu erfassen, ob die Inaktivität Symptom der Krankheit oder Teil der Ursache war, verglichen die Forscher diese Werte mit der körperlichen Aktivität in den vorhergehenden Jahren, also mindestens 10 Jahre vor einer Diagnose. In diesem Zeitraum sahen sie aber keine Unterschiede zwischen Demenzrisiken von körperlich aktiven und inaktiven Teilnehmern (Risikorate 1,01 und 0,96).
Eher inaktiv in den 10 Jahren vor der Demenzdiagnose – präklinisches Symptom?
Stattdessen zeigte sich ein anderer Zusammenhang: körperliche Inaktivität war durchgehend mit erhöhtem Risiko für Diabetes (Risikorate 1,42), koronare Herzkrankheit (Risikorate 1,24), und Schlaganfall (Risikorate 1,16) assoziiert. Auch bei den Menschen, bei denen Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor einer Demenz auftraten, hing die körperliche Inaktivität vor der präklinischen Phase der Demenz nicht klar mit der Demenzdiagnose zusammen – hier war allerdings eine Tendenz zu sehen, die auf eine größere Bedeutung von Bewegung zur Demenzvorbeugung bei Herz-Kreislauf-Erkrankten deutet.
Wenig Bewegung birgt Risiken für Stoffwechsel und Herz-Kreislauf-System
Entsprechend deuten diese Ergebnisse auf eine typische Schwierigkeit im Verständnis von Beobachtungsdaten: zeitliche Abfolgen lassen nicht immer auf Ursachen und Folgen schließen. Körperliche Inaktivität war, nach dieser Analyse, weniger ein Auslöser für die spätere Demenzerkrankung, sondern vielmehr ein frühes Symptom. Zu wenig Bewegung machte sich allerdings deutlich gesundheitlich bemerkbar: Inaktive litten häufiger unter Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen – und bei diesen Erkrankungen ist die Bedeutung von Bewegung als Teil von Vorbeugung und Therapie unbestritten.
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