Gesichtsschmerzen druckvoll behandelt
Vor über 50 Jahren wurde die Druckkammer (DK) des LKH-Univ. Klinikum Graz erstmals hochgefahren: Während damals der Herzfehler eines Babys chirurgisch korrigiert wurde, kommt heute die in der DK durchgeführte Hyperbare Sauerstofftherapie (HBO) u. a. in der Schmerztherapie zum Einsatz. Wie bei Cristina Simionescu, die unter massiven Gesichtsschmerzen (Trigeminusneuralgie) litt. Dank einer dualen Behandlung aus neurochirurgischem Eingriff und HBO-Therapie ist die Wahlgrazerin nach Jahren schmerzfrei. Die Spezialtherapie war in dieser Form eine echte Österreichpremiere. Alle Expert*innen sind zuversichtlich, dass die Kombibehandlung auch anderen Trigeminusneuralgie-Patient*innen helfen kann. Allerdings: Für wen sie passt, muss immer im Einzelfall entschieden werden, betonen die Mediziner*innen.
„Bitte eintreten!“, hieß es für Cristina Simionescu am 23. Dezember 2022 zum letzten Mal, als sich für sie die Tür der Druckkammer des Uniklinikum Graz öffnete. Gut ein halbes Jahr lang hatte sich die Pensionistin in die massive Stahlkammer begeben, um den unerträglichen Schmerzen, die ihr die Trigeminusneuralgie seit Jahren verursacht, den Garaus zu machen. Dank der Hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO für Hyperbare Oxygenation), die sie dort erhalten hat, und einem neurochirurgischen Eingriff, der nach zwei Zyklen in der Kammer Mitte August vorgenommen wurde, ist die Wahlgrazerin heute schmerzfrei. „Ich habe mein Leben wieder. Es kann sich niemand vorstellen, wie furchtbar die Schmerzen waren. Es war, als würde mir jemand blitzartig, heftige Stromstöße verpassen“, erzählt Simionescu. Da sich im Zuge der Behandlung außerdem gezeigt habe, dass auch andere Beschwerden – konkret jene, die sie aufgrund ihrer Multiplen Sklerose (MS) hatte – zurückgingen, habe sie mit der HBO-Therapie auch nach der dualen Behandlung der Trigeminusneuralgie weitergemacht, so die Patientin. Sie lebt seit Jahrzehnten mit MS.
Ein MS-Schub 2018 war auch der Auslöser der Trigeminusneuralgie. „Dabei handelt es sich um Gesichtsschmerzen, die entlang des fünften Hirnnervs, also des Nervus trigeminus, auftreten. Ursächlich für die typische Trigeminusneuralgie ist meist ein Blutgefäß, das an den Nerv an jener Stelle andockt, an der er vom Hirnstamm austritt. Wird nun Druck ausgeübt – beispielweise, weil das Gefäß pulsiert –, kann es zu Entladungen am Nerv kommen und diese verursachen die oft wirklich unerträglichen Schmerzen. Zusätzlich dazu kann auch die MS Schmerzen verursachen“, erklärt Stefan Wolfsberger, Vorstand der Univ.-Klinik für Neurochirurgie des Uniklinikum Graz. Behandelt wird die Trigeminusneuralgie bei MS u. a. medikamentös oder mittels Thermokoagulation, bei der der Nerv mit Hitze behandelt wird, um Schmerzfreiheit zu erzielen. Von Dauer ist das Ergebnis meist nicht. Bei Cristina Simionescu kamen die Schmerzen nach gut einem halben Jahr zurück. Auch die medikamentöse Therapie funktionierte bei ihr nicht wirklich. „Es war ein auf und ab, denn zum Teil vertrug ich die Medikamente nicht. Außerdem haben sie sich letztlich negativ auf meine MS ausgewirkt. Sie wurde wieder schlimmer, die Gesichtsschmerzen leider auch. Ich war verzweifelt und habe daher nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten gesucht“, erinnert sich die Pensionistin an die mühsame Zeit. So habe sie von neurochirurgischen Eingriffen erfahren. „Nachdem ich dann nach Graz übersiedelt war, bin ich bei meiner Suche nach einer*m Neurochirurg*in am Uniklinikum gelandet“, fährt sie fort. Dass sie die erste Patientin in Österreich sein würde, die eine spezielle duale Therapie bekommt, hätte sie sich damals natürlich nicht gedacht.
Dämpfendes Material implantiert, HPO-Therapie vor und nach der OP
Der neurochirurgische Eingriff, der im Rahmen der dualen Behandlung durchgeführt wurde, ist die „Mikrovaskuläre Dekompressionsoperation nach Jannetta“. „Dabei werden dämpfende Materialien zwischen Nerv und Gefäß implantiert, somit ist deren Kontakt unterbunden und Schmerzfreiheit hergestellt“, erklärt Wolfsberger. Diese Methode sei wirksam, allerdings bei MS-Patient*innen nicht die erste Wahl, da bei den Betroffenen die Ursache oft nicht an der be-schriebenen Stelle liege. Bei Frau Simionescu sei die Ausgangslage aber gut gewesen. „Und da die HBO-Therapie auch als Zusatz zur Basisbehandlung bei manchen Patient*innen mit MS eine Besserung der Symptome bewirken kann, haben wir uns im Team entschlossen, der Patientin das Konzept anzubieten“, erläutert Martin Trummer, Neurochirurg und Spezialist für Schmerzpatient*innen. „Was die OP betrifft, wurde ich dann ausführlich über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt. Es war mir also bewusst, dass die Hirn-OP Gefahren mit sich bringen kann. Aber die Schmerzen waren so groß, dass ich das Risiko gerne in Kauf genommen und gleich zugesagt hab“, so die Wahlgrazerin.
Als Vorbereitung auf die OP verbrachte sie zwei Wochen täglich eine Stunde in der DK. „Dort herrscht ein Überdruck, ähnlich jenem unter Wasser. Die Patient*innen atmen reinen Sauerstoff ein, der aufgrund des Umgebungsdrucks besser im Blut aufgenommen wird und den Körper gewissermaßen ,überschwemmt‘. Das wirkt positiv auf regenerative Prozesse im Nervensystem und greift auch in die Schmerzverarbeitung ein“, sagt Freyja-Maria Smolle-Jüttner, Leiterin der Klinischen Abteilung für Thorax- und Hyperbare Sauerstofftherapie. „Welche Schmerzpatient*innen davon profitieren, lässt sich derzeit trotz zahlreicher Daten aber noch nicht sagen“, so Smolle-Jüttner.
Große Freude, aber mit Vorbehalt
Christina Simionescu hat davon profitiert – sogar in zweifacher Hinsicht. „Zum einen hörten die Gesichtsschmerzen auf, zum anderen wurden die MS-Beschwerden immer weniger. Zu Beginn musste man mich noch hineintragen und nach einer Woche ging ich schon am Stock“, erzählt sie. Nach der OP und weiteren HBO-Therapieeinheiten ist die Trigeminusneuralgie nicht wieder aufgetreten. „Es geht mir einfach gut. Vielen Dank an alle!“, sagt sie erleichtert.
Das Behandlungsteam freut sich ebenfalls über den Erfolg. „Für Euphorie ist es jedoch noch zu früh“, betont Wolfsberger, „denn wir wissen noch zu wenig darüber, wer darauf anspricht. Daher können wir nur im Einzelfall entscheiden, ob die Therapie angewendet wird.“
Die Druckkammer des LKH-Univ. Klinikum Graz
Sie ist die einzige ihrer Art in Österreich. 1972 fand die erste Behandlung in der Kammer statt, bei der ein Baby am Herzen operiert wurde. Chirurgische Eingriffe werden heute in der DK nicht mehr durchgeführt, dafür werden alle von den internationalen Dachorganisationen für Hyperbare Sauerstofftherapie anerkannten, wissenschaftlich belegten Indikationen behandelt, darunter u. a. bestimmte Arten schwerster, gewebezerstörender Infekte, bestimmte Arten von akuten Vergiftungen, Tauchunfälle, chronische Wunden, Gewebeschäden nach therapeutischer Bestrahlung oder auch Knocheneiterungen, Heilungsstörungen, Spinale Traumata sowie Long-Covid. Auch Schmerzpatient*innen profitieren von der Therapie. Pro Jahr geht die Kammer derzeit über 1.600 Mal „unter Druck“, wobei rund 300 Patient*innen behandeln werden. Jede*r davon absolviert durchschnittlich 20 Therapieeinheiten. Die Anlage kann jederzeit (24/7) und bei Notfällen innerhalb von 20 Min. ab Alarmierungszeitpunkt in Betrieb genommen werden.
Weitere Details: Podcast „Sprechstunde am Uniklinikum“ mit Freya-Maria Smolle-Jüttner, Leiterin der Klin. Abteilung für Thorax- und Hyperbare Chirurgie des Uniklinikum Graz,