Was die Abwehrzellen in Hirntumoren funktionsfähig hält
Krebs-Immuntherapien scheitern oft daran, dass die Abwehrzellen durch immunsuppressive Bedingungen im Tumor ausgebremst werden. Wissenschaftler aus Heidelberg, Mannheim und Tel Aviv zeigen nun an Gewebeproben von Patienten sowie an Tumormodellen in Mäusen, dass die Funktionsfähigkeit der Immunabwehr entscheidend von bestimmten Helferzellen abhängt.
Trotz teilweise erstaunlicher Erfolge versagen Immuntherapien bei vielen Krebsarten. Besonders tragisch ist das bei bösartigen Hirntumoren, gegen die es ohnehin kaum wirksame Behandlungen gibt. Das Scheitern hat mehrere Gründe. Experten halten die stark immunsuppressive Mikroumgebung der Hirntumoren für die Hauptursache. Sie verhindert eine schlagkräftige Reaktion der zytotoxischen T-Zellen. Dieser auch als T-Killerzellen bezeichnete Zelltyp ist der eigentliche „Vollstrecker“ im Kampf des Abwehrsystems gegen den Krebs.
T-Killerzellen wandern zwar in die Hirntumoren ein und erkennen dort Krebsantigene – verlieren daraufhin aber rasch ihre Funktionsfähigkeit. „Diese ausgebremsten T-Zellen wieder funktionsfähig zu machen, ist derzeit die größte Herausforderung bei der Entwicklung von Immuntherapien gegen Hirntumoren“, sagt Michael Platten, Direktor der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) und Abteilungsleiter im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).
Es gibt Hinweise darauf, dass neben den T-Killerzellen auch die T-Helferzellen eine Rolle bei der Immunabwehr von Hirntumoren spielen. Ein Team um Michael Platten, Lukas Bunse, DKFZ, UMM und Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD), und Asaf Madi von der Universität Tel Aviv untersuchte nun an Hirntumormodellen und Patientengewebe, unter welchen Bedingungen die Helferzellen tatsächlich zum Kampf gegen die Hirntumoren beitragen. Ziel der Forscher ist es, Ansätze dafür zu finden, wie sich T-Killerzellen ertüchtigen lassen.
T-Helferzellen haben eine Eigenheit: Sie werden nur dann aktiv, wenn ihnen die Antigene, etwa von Viren oder von Krebszellen, auf so genannten MHCII-Molekülen präsentiert werden. Das Forscherteam erkannte nun, dass in Hirntumoren eine bestimmte Art von aus dem Blut eingewanderten Immunzellen, die myeloischen Zellen, diese Präsentationsmoleküle nicht mehr auf ihrer Oberfläche tragen. Damit sind myeloische Zellen nicht mehr in der Lage, im Tumor T-Helferzellen zu aktivieren.
Aktivierte Helferzellen unterdrücken immunsuppressives Molekül
Fehlen den myeloischen Zellen die MHCII-Moleküle, so bleiben Killerzellen inaktiv, wie die Forscher nun erstmals nachwiesen. Der molekulare Hintergrund: Myeloische Zellen produzieren große Mengen des immunsuppressiven Moleküls Osteopontin, das die Aktivität der Killerzellen lähmt. Werden aber T-Helferzellen durch MHCII-präsentierte Tumorantigene aktiviert, so sinkt der Osteopontin-Spiegel stark ab und T-Killerzellen erlangen ihre Funktionsfähigkeit wieder.
Für die beteiligten Ärzte und Wissenschaftler bedeutet die Studie wertvollen Erkenntnisgewinn, den sie nun nutzen wollen, um Immuntherapien gegen Hirntumoren zu verbessern. „Wir erkennen jetzt, dass wir bei der Entwicklung von Immuntherapien gegen Hirntumoren nicht nur auf die zytotoxischen Killerzellen setzten dürfen, sondern unbedingt auch über MHCII aktivierte T-Helferzellen berücksichtigen müssen“, sagt Lukas Bunse, Arbeitsgruppenleiter am DKFZ und Arzt der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mannheim.
„Die Ergebnisse liefern auch Hinweise für den Wirkmechanismus der von uns entwickelten Impfung gegen Hirntumoren, die ebenfalls T-Helferzellen aktiviert“, ergänzt Platten. Ergebnisse der aktuellen Studie deuten auch darauf hin, dass eine Behandlung mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren nur dann die Immunabwehr gegen Hirntumoren ankurbeln kann, wenn MHCII-tragende myeloische Zellen im Tumor vorhanden sind. Eine medikamentöse Hemmung von Osteopontin könnte nach Meinung der Forscher die Immunabwehr gegen Hirntumoren ebenfalls unterstützen.
Michael Kilian, Ron Sheinin, Chin Leng Tan, Mirco Friedrich, Christopher Krämer, Ayelet Kaminitz, Khwab Sanghvi, Katharina Lindner, Yu-Chan Chih, Frederik Cichon, Benjamin Richter, Stefanie Jung, Kristine Jähne, Miriam Ratliff, Robert M. Prins, Nima Etminan, Andreas von Deimling, Wolfgang Wick, Asaf Madi, Lukas Bunse, Michael Platten: MHC class II-restricted antigen presentation is required to prevent dysfunction of cytotoxic T cells by blood-borne myeloids in brain tumors
Cancer Cell 2023, DOI: https://doi.org/10.1016/j.ccell.2022.12.007
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.