Demenz / Alzheimer
Methylenblau: ein altes Färbemittel mit Potenzial bei der Alzheimererkrankung
Original Titel:
Potential of Low Dose Leuco-Methylthioninium Bis(Hydromethanesulphonate) (LMTM) Monotherapy for Treatment of Mild Alzheimer's Disease: Cohort Analysis as Modified Primary Outcome in a Phase III Clinical Trial.
MedWiss – Methylenblau (LMTM) ist in seiner Grundform ein altes Malariamittel, das eine lange Historie als kurzzeitig erfolglos getestetes Psychopharmakon, Gegengift und Antiseptikum hat. Die Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung bestätigen vorherige Hypothesen und Ergebnisse: Methylenblau könnte auch den Verlauf der Alzheimererkrankung in noch frühen Stadien verlangsamen.
TRx0237, besser bekannt als eine Form von Methylenblau oder Methylthionin, ist in seiner Grundform ein altes Malariamittel, das aber eine bereits viel ältere Geschichte als kurzzeitig erfolglos getestetes Psychopharmakon, Gegengift und Antiseptikum hat. Auch in der Grundlagenforschung ist die Substanz gut bekannt – als Farbstoff bestimmter Gewebestrukturen und Fasern bietet sie die Chance, Strukturen deutlich unterscheidbar zu machen.
Methylenblau: Substanz mit langer Geschichte als Farbstoff und Medikament
Die Substanz (Leuco-Methylthioninium Bis(Hydromethanesulphonate), kurz LMTM) gilt aber auch als einer der Hoffnungsträger bei der Behandlung der Alzheimererkrankung. Ihr Wirkmechanismus zielt dabei auf eine Störung der Verklumpung der Tau-Eiweiße ab, der sogenannten Tau-Aggregation.
Tau-Fibrillen sind Fasern, die innerhalb der Nervenzellen aus aneinander gebundenen Tau-Proteinen gebildet sind. Tau-Protein ist ein Eiweißstoff, der sich an Elemente des inneren Stützskeletts einer Zelle lagert und dessen Zusammenbau reguliert. Als Organisator des Gerüstbaus in den Zellen ist Tau also unerlässlich. Tauopathien sind Krankheiten, bei denen die Tau-Proteine nicht so arbeiten, wie sie sollen – genauer gesagt, lagern sich die Tau-Eiweiße typischerweise in anderer Weise aneinander und bilden längere Fasern, die Fibrillen. Diese Bündel sind bei Alzheimerpatienten gehäuft zu finden – daher zählt die Alzheimerkrankheit auch zu den Tauopathien.
Tauopathien: Erkrankungen mit verstärkter Ablagerung des Tau-Proteins
Tau-Fibrillen sind übrigens nicht zu verwechseln mit Beta-Amyloid-Plaques – bei beiden findet aber eine Ablagerung von Eiweiß-Stoffen statt, nur eben innerhalb der Zellen (Tau) und außerhalb der Zellen (Beta-Amyloid). In beiden Fällen ist nicht abschließend geklärt, ob diese Ablagerungen und Bündel Zeichen einer Abwehrreaktion, Symptom der Erkrankung oder Verursacher der Krankheit sind. Klar ist aber, dass beide Ablagerungen bei der Alzheimererkrankung zunehmend auftreten und im Tiermodell auch mit bestimmten Therapien abnehmen. Die Hoffnung besteht also, dass eine Behandlung, die Beta-Amyloid-Plaques oder Tau-Fibrillen reduziert, auch den Krankheitsverlauf der Alzheimererkrankung positiv beeinflusst.
Symptom oder Ursache? Die Rolle von Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen ist weiter unklar
In früheren Studien zeigte sich Methylenblau (LMTM) als vielversprechendes Mittel zur Hemmung der Tau-Ablagerung und der Bildung der Tau-Fibrillen. Wie effektiv LMTM als Medikament bei Patienten mit milder Alzheimererkrankung wirkte, wurde nun in einer klinischen Studie der Phase 3 über 18 Monate untersucht.
Untersuchung der Wirksamkeit von Methylenblau zur Verlangsamung der Alzheimererkrankung
Insgesamt wurden aus 1475 untersuchten Patienten 795 Betroffene mit diagnostizierter milder Alzheimerkrankheit in die Studie eingeschlossen. Sie wurden zufällig und ihnen unbekannt (verblindet) einer Behandlung mit je zweimal täglich 100 mg oder 4 mg LMTM zugeordnet. Ursprünglich war die niedrige Dosierung dazu gedacht, als Kontrolle zu dienen, da mit dieser Dosierung zwar eine Blaufärbung des Urins ähnlich zur höheren Dosis zu sehen ist, aber keine Wirksamkeit erwartet wurde. Ergebnisse einer vorhergehenden Studie zeigten jedoch Wirksamkeit der niedrigen Dosis. Entsprechend wurde die Analyse der Daten dieser neuen Studie angepasst, um stärker die Wirksamkeit der niedrigsten Dosis (4 mg) auch im Vergleich zwischen alleiniger (Mono-) Therapie und Therapie in Kombination mit anderen Medikamenten (Memantin und/oder Cholinesterase-Hemmer) zu ermitteln. Die Behandlung begannen schließlich 388 Patienten mit 4 mg (79 Patienten in Monotherapie, 309 Patienten in Kombination, also als Add-On) und 373 Patienten mit 100 mg (76 Patienten in Monotherapie, 297 Patienten als Add-On). Die Behandlung konnte für bis zu fast 10 Monate (78 Wochen) durchgeführt werden.
Zur Analyse der Wirksamkeit wurden verschiedene Maße der Denkleistung wie ADAS-cog und ADCS-ADL (Test der Alltagsfähigkeiten) herangezogen. Außerdem wurden die Größe und der Zuckerverbrauch des Gehirns vor und nach der Behandlung im bildgebenden Verfahren Kernspintomographie ermittelt. Ergänzend wurden Anzeichen für neuropsychiatrische Symptome, Depressionen sowie verschiedene Blutwerte bestimmt.
Vergleich von fast 800 Patienten mit Behandlung über 9 Monate
Zur abschließenden Untersuchung konnten 302 Patienten von ursprünglich 388 aus der 4 mg-Dosierungsgruppe analysiert werden sowie 217 Patienten der 100 mg-Gruppe (ursprünglich 373 Patienten). Zwei Vergleiche wurden durchgeführt: 4 mg versus 100 mg (Monotherapie) sowie 4 mg-Add-On versus 4 mg-Monotherapie. Beide Vergleiche ergaben klare Unterschiede in kognitiven Tests sowie Bildgebungsdaten. Die Masseverluste des Gehirns (eine sogenannte Atrophierate) entsprach zu Beginn der Untersuchung dem typischen Bild einer milden Alzheimererkrankung sowohl in den Add-On- als auch in den Monotherapie-Gruppen. Nach 9 Monaten der Behandlung war der Verlust an Gehirnmasse der Patienten in Monotherapie allerdings geringer als der von Patienten mit Kombinationstherapie. Zusätzlich war der Verlust in der Gruppe mit 4 mg LMTM schwächer ausgeprägt als mit der höheren Dosierung. Ähnlich zeigte sich die niedrige Dosierung, vor allem in Monotherapie, auch in der Denkleistung und Alltagsfunktionalität überlegen. Unterschiede in Schweregrad und Diagnose zu Beginn der Behandlung konnten diesen Effekt nicht erklären.
Verlangsamung der Erkrankung mit niedrig-dosiertem Methylenblau ohne weitere Antidementiva
Die Ergebnisse der Untersuchung sind trotz starker Beteiligung der Herstellerfirma an Design und Verlauf der Studie hochinteressant, bestätigen sie doch einige vorherige Hypothesen und Ergebnisse: es scheint, dass Methylenblau, auch LMTM genannt, als Medikament in Monotherapie wirksam den Abbau im Verlauf einer Alzheimererkrankung in noch frühen Stadien (milde Alzheimererkrankung) verlangsamen kann. Dabei scheint auch eine sehr niedrige Dosierung wirkungsvoll zu sein. Besseres Abschneiden der Monotherapie im Vergleich zur Add-On-Therapie mit Antidementiva könnte mit einem in weiteren Untersuchungen beschriebenen Effekt zusammenhängen: Antidementiva wie Memantin und Cholinesterase-Hemmer könnten eventuell, wenn sie zu früh im Verlauf der Erkrankung gegeben werden, den Abbau der Denkleistung beschleunigen, statt ihn aufzuhalten (Kennedy und Kollegen, 2018 im Fachjournal Jama Network Open veröffentlicht). Weitere Untersuchungen müssen nun sowohl die Wirksamkeit von Methylenblau als auch die Effekte einer zu früh einsetzenden Behandlung mit Antidementiva klären, sowie weitere Mittel, die auf die Tau-Fibrillen einwirken können, untersuchen.
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