Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen – Die Dosis von Acetylsalicylsäure (ASS) sollte an das Körpergewicht angepasst werden
Original Titel:
Effects of aspirin on risks of vascular events and cancer according to bodyweight and dose: analysis of individual patient data from randomised trials
MedWiss – Acetylsalicylsäure (ASS), der Wirkstoff in Aspirin, kann sowohl das Herz-Kreislauf-Risiko als auch das Darmkrebs-Risiko senken. Forscher fanden heraus, dass es für die schützende Wirkung von ASS wichtig ist, dass die Dosis an das Körpergewicht angepasst wird. So schützte ASS in einer niedrigen Dosierung nur Patienten, die unter 70 kg wogen, vor Herz-Kreislauf-Komplikationen, während von einer höheren Dosierung nur die Personen profitierten, die mindestens 70 kg wogen. Bei dem Darmkrebs-Risiko zeigte sich, dass ASS nur bei Personen unter 80 kg eine schützende Wirkung hatte.
Allen Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit (KHK) wird laut der aktuellen Leitlinie die tägliche Einnahme von 100 mg Acetylsalicylsäure (ASS), der Wirkstoff in Aspirin, empfohlen, um dramatische Folgeereignissen wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder Herz-Kreislauf-bedingten Todesfällen vorzubeugen (Sekundärprävention). Doch auch Personen, die nicht an der KHK leiden, sondern auch ohne diese Erkrankung ein erhöhtes Risiko für dramatische Herz-Kreislauf-Ereignisse haben, können von der täglichen ASS-Einnahme profitieren (Primärprävention). Die Dosis ist in der Regel für jeden Patienten die gleiche. Wissenschaftler aus England, den USA, Schottland, Italien und Japan fragten sich nun jedoch, ob nicht die Dosis von ASS an das Körpergewicht der Patienten angepasst werden sollte, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Sie vermuten, dass Patienten mit mehr Körpermasse mit der Einheitsdosis möglicherweise unterversorgt sind, während die Einheitsdosis für die Patienten mit einer geringeren Körpermasse möglicherweise zu hoch ist.
Wissenschaftler werteten die Daten von 10 Studien im Hinblick auf das Körpergewicht der Teilnehmer neu aus
Um ihre Vermutung zu testen, führten die Wissenschaftler eine Studie durch, die in einem der bestangesehensten medizinischen Fachzeitschriften, The Lancet, veröffentlicht wurde. Für ihre Studie suchten sie nach Studien, die die Wirksamkeit von ASS bei der Primärprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit verschiedenen Dosierungen (niedrige Dosierung: höchstens 100 mg, hohe Dosierung: 300 bis 325 mg oder mindestens 500 mg) untersucht hatten. Sie fanden insgesamt 10 geeignete Studie, die die Daten von insgesamt 117279 Patienten enthielten. Das mittlere Gewicht der Patienten lag je nach Studie zwischen 60 kg und 81,2 kg.
Nur Patienten, die unter 70 kg wogen, schienen von der niedrig dosierten ASS zu profitieren
Bei der Analyse der Daten fiel auf, dass die Wirksamkeit von ASS in einer niedrigen Dosierung (75 bis 100 mg) bei der Primärprävention nachließ, wenn die Patienten schwerer waren. So profitierten Patienten mit einem Körpergewicht von 50 bis 69 kg von der niedrig dosierten ASS (Reduktion des Risikos für dramatische Herz-Kreislauf-Ereignisse um 23 %), während Patienten, die 70 kg oder mehr wogen, dies nicht taten. Die niedrig dosierte ASS schien für Patienten, die mindestens 70 kg wogen, sogar schädlich zu sein. Es fiel nämlich auf, dass diese Patienten häufiger an dem ersten dramatischen Herz-Kreislauf-Ereignis verstarben, wenn sie niedrig dosiertes ASS genommen hatten, im Vergleich zu den Patienten in der gleichen Gewichtsklasse, die kein ASS bekamen (33 % höheres Risiko).
Patienten mit einem höheren Körpergewicht profitierten von der höheren ASS-Dosis
Bei der höheren ASS-Dosis (mindestens 325 mg) war der Zusammenhang zum Körpergewicht der Patienten genau umgekehrt. Von dieser Dosierung schienen nämlich nur die Patienten zu profitieren, die ein höheres Körpergewicht hatten.
Die Ergebnisse waren bei speziellen Patientengruppen ähnlich
Die Forscher betrachteten spezielle Patientengruppen, um zu untersuchen, ob der beobachtete Zusammenhang zwischen ASS-Dosis und Körpergewicht für alle Patienten galt. Sie fanden heraus, dass die Ergebnisse speziell bei Männer, speziell bei Frauen, speziell bei Diabetes-Patienten und speziell bei Patienten, die ASS zur Sekundärprävention verwendeten, ähnlich waren.
Die schützende Wirkung von ASS gegen Darmkrebs war abhängig vom Körpergewicht
Es konnte bereits gezeigt werden, dass ASS das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, reduziert (Studie von Tsoi und Kollegen, 2018 in der medizinischen Fachzeitschrift Journal of gastroenterology and hepatology veröffentlicht). Interessanterweise schien diese ASS-vermittelte Reduktion des Darmkrebs-Risikos ebenso abhängig vom Gewicht der Patienten zu sein. Fünf Studien mit insgesamt 73371 Teilnehmern hatten sich mit der Langzeitwirkung von ASS beschäftigt. Den Wissenschaftlern fiel bei der erneuten Analyse dieser Daten auf, dass die schützende Wirkung von ASS im Bezug auf Darmkrebs verschwand, wenn die Personen schwerer waren. Niedrig dosierte ASS reduzierte das Darmkrebs-Risiko von Personen, die weniger als 70 kg wogen, um 36 %, während die niedrig dosierte ASS bei schwereren Patienten keinen nennenswerten Einfluss auf das Darmkrebs-Risiko hatte. Interessant war, dass die höhere ASS-Dosis (mindestens 325 mg) auch noch bei Patienten, die bis zu 80 kg wogen, Erfolge hinsichtlich der Vorbeugung von Darmkrebs erzielen konnte. Die höhere Dosis reduzierte das Darmkrebs-Risiko bei Patienten, die weniger als 80 kg wogen, nämlich um 31 %. Auf das Darmkrebs-Risiko von Personen, die über 80 kg wogen, hatte auch die höhere ASS-Dosis keinen nennenswerten Einfluss mehr.
Die ASS-Therapie hatte auch negative Effekte
Die ASS-Therapie konnte jedoch nicht nur das Risiko für dramatische Folgeereignisse und für Darmkrebs reduzieren, sondern hatte auch negative Auswirkungen. Das Risiko für einen plötzlichen Herztod wurde durch Aspirin nämlich bei Personen, die für ihr Gewicht eine zu hohe ASS-Dosis (75–100 mg bei weniger als 50 kg, 325 mg bei weniger als 70 kg, 500 mg bei weniger als 90 kg) bekamen, erhöht. Bekamen die Patienten hingegen eine angepasste ASS-Dosis, erhöhte ASS das Risiko für einen plötzlichen Herztod nicht. Personen, die 70 Jahre oder älter waren, hatten außerdem ein größeres Risiko, in den nächsten 3 Jahren an Krebs zu erkranken, wenn sie ASS einnahmen und weniger als 70 kg wogen.
Eine niedrige Dosis ASS (75 bis 100 mg) konnte das Risiko für dramatische Herz-Kreislauf-Ereignisse somit nur bei Personen, die unter 70 kg wogen, reduzieren. Andersherum war eine hohe Dosis ASS (höher als 325 mg) nur bei Personen, die 70 kg oder mehr wogen, wirksam. Und auch die Wirksamkeit von ASS bei der Reduktion des Darmkrebs-Risikos war vom Gewicht der Personen abhängig. Diese Ergebnisse zeigen somit, dass eine bestimmte ASS-Dosis nicht für alle Personen wirksam ist. Vielmehr sollte die ASS-Dosis individuell bestimmt und an das jeweilige Körpergewicht angepasst werden, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Da in dieser Studie die Wirksamkeit von ASS jedoch nur rückblickend hinsichtlich des Körpergewichts untersucht wurde, sind noch weitere Studien mit einem speziellen Studiendesign nötig, um diese Ergebnisse zu bestätigen.
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