Multiple Sklerose
Behandlungsmuster bei MS-Spastizität
Original Titel:
Spasticity treatment patterns among people with multiple sclerosis: a Swedish cohort study
- Wann startet (und endet) die medikamentöse MS-Spastizitäts-Therapie?
- Schwedische Kohortenstudie, Fokus auf oralem Baclofen
- Diagnose vor/nach Studienstart: Prävalente MS (n = 1 826) und inzidente MS (n = 3 519)
- Erstrezept innerhalb von 3 Jahren (prävalente MS) oder 6 Monaten (inzidente MS)
- Häufiger Baclofen bei Jüngeren
- Steigender Bedarf bei höherem Behinderungsgrad (EDSS)
- Rasches Ende verschiedener Spastik-Therapien
MedWiss – Eine schwedische Kohortenstudie untersuchte das Behandlungsmuster für Spastizität bei Multipler Sklerose anhand des Beispiels von oralem Baclofen. Mit über 5 000 Neudiagnosen oder bestehenden MS-Diagnosen zeigte sich ein häufiger, mit dem Behinderungsgrad steigender Bedarf, jedoch auch eine hohe Abbruchquote der Therapien.
Spastizität, die nervös ausgelöste, unkontrollierbare und unwillkürliche Anspannung von Muskeln, tritt bei Menschen mit Multipler Sklerose (MS) häufig auf. Die Behandlungsmuster für diese meist sehr schmerzhafte und einschränkende Symptomatik sind jedoch kaum untersucht. Das Medikament Baclofen, ein zentrales Muskelrelaxant, wird häufig gezielt bei Spastizität eingesetzt. Schwedische Wissenschaftler untersuchten nun, unter welchen Umständen und welchen Patienten orales Baclofen typischerweise verschrieben wird.
Wann startet (und endet) die medikamentöse Spastizitäts-Therapie?
Die Kohortenstudie auf Basis eines schwedischen Patientenregisters umfasste Patienten mit prävalenter MS (Diagnose vor Studienbeginn) und Patienten mit inzidenter MS (Diagnose im Studienzeitraum) ohne vorhergehende Spastizitäts-Behandlung. Die Studie startete am 1. Juli 2005, mit Nachbeobachtung und Neuaufnahme von inzident-MS-Patienten bis 2014. Die Autoren analysierten Faktoren, die mit einer neuen Baclofen-Verschreibung und ihrer Beendigung assoziiert waren.
Schwedische Kohortenstudie: Spastik-Therapie mit Baclofen
Insgesamt wurden 1 826 Patienten mit MS-Diagnose ab Studienbeginn und 3 519 Patienten mit prävalenter MS (Diagnose vor Studienbeginn) analysiert. 10,3 % der inzident-MS-Patienten sowie 17,8 % der prävalent-MS-Patienten (in beiden Gruppen häufig schubförmig-remittierende MS) erhielten Baclofen. Verschreibungen starteten typischerweise innerhalb von 6 Monaten nach der MS-Diagnose bei inzident-MS-Patienten. Prävalent-MS-Patienten erhielten ihr erstes Baclofen-Rezept innerhalb von 3 Jahren nach der MS-Diagnose.
Die Wahrscheinlichkeit für eine neue Baclofen-Therapie war bei jüngeren Patienten 3-mal wahrscheinlicher als bei älteren Patienten, bei gleichem Behinderungsgrad (EDSS, Expanded Disability Severity Scores). Mit zunehmendem Behinderungsgrad, verglichen zu EDSS 0 – 2,5, stieg die Wahrscheinlichkeit (Hazard Ratio, HR, mit 95 % Konfidenzintervall, KI) für eine Baclofen-Verschreibung zudem bei Patienten zwischen 18 und 44 Jahren stärker als bei Patienten ab 45 Jahren:
- EDSS 3 – 5:
- Unter 45 Jahren: HR: 5,62; 95 % KI: 2,91 – 10,85
- Ab 45 Jahren: HR: 2,05; 95 % KI: 1,10 – 3,82
- EDSS 6+:
- Unter 45 Jahren: HR: 15,41; 95 % KI: 7,07 – 33,58
- Ab 45 Jahren: HR: 4,26; 95 % KI: 1,96 – 9,17
Die Abbruchrate der Baclofen-Therapie war hoch: 49 % der inzident-MS-Patienten (95 % KI: 0,42 – 0,57) beendeten die Behandlung innerhalb von 150 Tagen. 90 % brachen die Behandlung innerhalb von 2 Jahren ab. Dieses Muster zeigte sich auch bei Patienten mit progressiven Verläufen oder höherem Behinderungsgrad, war jedoch auch ähnlich bei Patienten mit prävalenter MS und anderen Spastizitäts-Medikationen: Die Gabapentin-Behandlung wurde innerhalb eines Jahres von 75 % der Patienten, der Einsatz von Diazepam war nahezu vollständig nach 6 Monaten beendet.
Häufiger Baclofen bei Jüngeren, rasches Ende verschiedener Spastik-Therapien
Jüngere Patienten mit MS erhalten demnach mit höherer Wahrscheinlichkeit Baclofen zur Behandlung ihrer Spastizität im Vergleich zu älteren MS-Patienten. Hohe Abbruchraten mit Baclofen und weiteren Therapien zeigen einen großen Bedarf an besser verträglichen oder wirksameren Medikationen zur Behandlung von Spastizität bei MS auf.
© Alle Rechte: HealthCom