Huch, habe ich das selbst getan – oder war das eine fremde Macht in meinem Kopf?
Tübinger Forschende beschreiben Zusammenhang zwischen Handlung und Gefühl der Urheberschaft – Erkenntnis beleuchtet Phänomen der Fremdbestimmung bei Schizophrenie
Das Gefühl, dass eigene Handlungen durch äußere Kräfte kontrolliert werden, ist ein häufiges Merkmal der Schizophrenie-Erkrankung. Ein Forschungsteam am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, der Universität Tübingen und dem Zentrum für Psychische Gesundheit am Universitätsklinikum Tübingen hat nun das Phänomen der Fremdbestimmung genauer untersucht. In einer Studie stellte es fest, dass Personen mit solchem Erleben gegenüber gesunden Menschen die Zeitdauer zwischen eigenen Handlungen und ihren Konsequenzen anders wahrnehmen. Mit ihren neuen Ergebnissen könnten die Forschenden möglicherweise die Wahrscheinlichkeit vorhersagen, mit der Gefühle der Fremdbestimmung auftreten und das Verständnis dieser Ich-Störung erweitern. Dies sei insofern relevant, da Konzepte wie Eigenverantwortung im Ich-Gefühl verankert sind und große Teile unseres gesellschaftlichen Lebens bis hin zur Rechtsprechung prägen, so das Team. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift PNAS erschienen.
Wahrgenommener zeitlicher Zusammenhang
„Um das Gefühl der Handlungsurheberschaft zu erforschen, haben wir uns auf den Aspekt der sogenannten Intentionalen Bindung konzentriert“, erklärt Co-Studienleiter Dr. Axel Lindner. Dieser Begriff beschreibe die wahrgenommene zeitliche Nähe zwischen einer Handlung und ihrer Konsequenz. Als Beispiel nennt Lindner das Anschalten einer Lampe: „Ich knipse den Schalter an und im gleichen Moment leuchtet die Glühbirne auf. Die enge zeitliche Abfolge hilft mir zu verstehen, dass ich es war, der das Licht angeschaltet hat.“
Nun gibt es Situationen, in denen die Abfolge nicht ganz so eng getaktet ist – wie etwa bei Energiesparlampen, die erst zeitverzögert hell werden. „Hier verändert unser Gehirn die Wahrnehmung der Handlung und deren Konsequenz subjektiv: Das Einschalten des Schalters wird als später und das Aufleuchten als früher wahrgenommen, als dies tatsächlich der Fall ist. „Ein cleverer Mechanismus – der allerdings bei Patientinnen und Patienten mit Ich-Störungen nicht funktioniert, wie wir jetzt herausgefunden haben“, so der Neurobiologe.
In Zusammenarbeit mit Professor Marc Buehner von der Universität Cardiff (UK) rekrutierte das Tübinger Team 20 gesunde Probanden und 20 Patientinnen und Patienten mit Schizophrenie. Zehn von ihnen litten an dem Gefühl, von außen fremdbestimmt zu werden. Alle Versuchspersonen absolvierten die gleiche Aufgabe: Sie mussten mit der rechten Hand per Tastendruck angeben, wann sie eine Lampe aufleuchten sahen. Dabei gab es drei verschiedene Versuchsbedingungen: In einer wurde die Lampe durch einen Schalter mit der linken Hand selbst angemacht. In einer anderen beobachteten die Probanden, wie eine Maschine das Anschalten für sie erledigte. Als Kontrolle gab es Durchgänge in denen das Aufleuchten der Lampe lediglich durch einen vorausgegangenen Hinweisreiz angekündigt wurde.
„Der Clou des Versuchsaufbaus war, dass die Lampe in allen Durchgängen eine feste Einschaltverzögerung von einer halben Sekunde hatte“, berichtet der Erstautor der Studie Manuel Roth. „Das Intervall zwischen den drei vermeintlichen Auslösern und dem Aufleuchten der Testlampe war damit stets gleich lang.“
Intentionale Bindung als messbares Phänomen
Das nahmen die Probanden aber anders wahr. Bei den Durchgängen, in denen die Probanden vorab einen Schalter drücken mussten, zeigten gesunde und erkrankte Personen ohne Ich-Störung eindeutig eine Intentionale Bindung, berichten die Forschenden. Die Probanden signalisierten das Aufleuchten der Lampe deutlich früher, als es tatsächlich geschah. Sie nahmen die Zeitdauer auch kürzer wahr als in den Durchgängen, in denen entweder die Maschine den Schalter gedrückt hat oder in denen lediglich ein Hinweisreiz vorab erfolgte. Hier nahmen die Teilnehmenden den Zeitraum bis zum Aufleuchten der Lampe als länger wahr.
Bei Patienten mit Ich-Störung kam der Mechanismus der Intentionalen Bindung dagegen nicht zum Tragen. Sie empfanden das Zeitintervall in allen drei Durchgängen als gleich lang. „Tatsächlich berichteten sie nach den Durchgängen, in denen sie selbst den Schalter betätigen mussten, dass wohl ein Computer als äußere Kraft die Lampe angeschaltet hätte.“ Dementsprechend erlebten sie sich auch im Alltag umso stärker fremdbestimmt, je schwächer bei ihnen die Intentionale Bindung ausgeprägt war.
Die Studie unterstreiche die Bedeutung einer intakten Wahrnehmung der zeitlichen Nähe zwischen Handlung und Konsequenz für das Gefühl der Urheberschaft, schreibt das Team. Sie erweitere auch das Verständnis für das verminderte Handlungsempfinden von Schizophrenie-Erkrankten mit Kontrollwahn. Die Forschenden hoffen, dass solche einfachen mechanistischen Erklärungen künftig verwendet werden können, um die Ausprägung der Ich-Störung bei Schizophrenie quantitativ zu bewerten und die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens vorhersagen zu können.
„Bei unserer Studie handelt es sich bislang um reine Grundlagenforschung an einer kleinen Gruppe, die keine unmittelbare Verbesserung für Erkrankte liefern kann“, erklären die Neurobiologen Roth und Lindner. „Allerdings gibt die Studie wichtige Hinweise darauf, wie man die Selbstwahrnehmung stärken könnte. Ob das möglich ist, müssen künftige Studien zeigen.“ Die Arbeit mache ein psychisches Problem mit relativ einfachen Mechanismen nachvollziehbar, sagt Lindner: „Allein diese Erkenntnis könnte betroffenen Patientinnen und Patienten bereits helfen und die gesellschaftliche Akzeptanz der Erkrankung verbessern.“
Originalpublikation:
Roth, M.J. et al (2023): Impaired perception of temporal contiguity between action and effect is asso-ciated with disorders of agency in schizophrenia. PNAS, 120 (21) e2214327120
https://doi.org/10.1073/pnas.2214327120