Kleines Stück Gewebe, große Wirkung – Aufruf zur Augenhornhautspende
München, Tag der Organspende am 3. Juni 2023 – Sie hat einen Durchmesser von nur etwa elf Millimetern, wird aber von Tausenden Patient*innen in Deutschland dringend benötigt, um wieder sehen zu können: die Augenhornhaut. „Wir rufen auf, über eine Hornhautspende nachzudenken und, falls die Entscheidung positiv ausfällt, den Willen dazu im Organspendeausweis zu dokumentieren oder zumindest im Familien- oder Freundeskreis zu bekunden“, sagt Professor Dr. med. Claus Cursiefen, Generalsekretär der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). Jede Spende verhilft einem Menschen zu neuer Sehfähigkeit. Um Hornhäute noch effektiver zu verwenden, arbeiten Forscher mit Hochdruck an weiteren innovativen Verfahren.
Patientinnen und Patienten warten in Deutschland bis zu ein Jahr auf eine neue Hornhaut, weil es zu wenig Spenden gibt. „Noch immer müssen Transplantate aus dem Ausland bezogen werden“, bedauert Cursiefen. Wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) feststellt, wäre das Spendenaufkommen sehr viel höher, wenn die Angehörigen den Willen des Verstorbenen kennen würden – und sei es nur aus Gesprächen. Auf Basis einer solchen mündlichen Willensbekundung können Mitarbeiter*innen der Hornhautbanken, die speziell geschult sind, mit den Angehörigen in Kontakt treten und eine Entnahme veranlassen. „Noch besser ist die Dokumentation des Spenderwillens in einem Organspendeausweis, in dem man auch die Augenhornhautspende angeben kann“, so Cursiefen.
Die Gewebeentnahme ist ein unauffälliger und unkomplizierter Eingriff. „Sie ist nicht entstellend und für den Laien optisch nicht erkenntlich“, betont Cursiefen. Für eine Hornhautspende kommt fast jeder in Frage: Sie ist trotz hohem Alter und Vorerkrankungen wie Grauer Star, Hornhautverkrümmung, Weit- oder Kurzsichtigkeit möglich, bis zu 72 Stunden nach dem Tod. Ihre Wirkung ist dauerhaft, denn ein Transplantat hält heute durchschnittlich zwanzig bis dreißig Jahre, und nur bei weniger als fünf Prozent der Transplantierten kommt es – abhängig von der eingesetzten Operationstechnik und der Ausgangssituation – innerhalb der ersten zwei Jahre zu einer Abstoßungsreaktion. „Eine Abstoßungsreaktion ist heute aber auch sehr gut behandelbar“, sagt Cursiefen.
Zudem gibt ein Transplantat oft gleich zwei Menschen das Augenlicht zurück, die durch Hornhauterkrankung oder Augenverletzung erblindet sind. Möglich wird dies durch das Split-Cornea-Konzept, nach dem das gespendete Hornhautgewebe geteilt und auf mehrere Empfangende verteilt wird. „Hintergrund dieser minimalinvasiven Technik ist, dass wir nur noch den Teil der Hornhaut austauschen, der erkrankt ist, und nicht wie früher die ganze Hornhaut“, erläutert Cursiefen. „Für die Zukunft zeichnen sich noch präzisere Eingriffsmöglichkeiten ab, die sich auf der Ebene von einzelnen Fasern und Zellen bewegen“, berichtet der Kölner Hornhautspezialist.
Einen solchen Ansatz eröffnet etwa die Scheimpflug-Bildgebung. „Damit können wir erkrankte Areale auf der Hornhautrückfläche vor der Operation mikroskopisch genau lokalisieren und das Gewebe noch passgenauer austauschen“, so Cursiefen, der dazu in Köln forscht. „So könnten wir womöglich mehr als zwei Transplantate aus einer Spenderhornhaut generieren.“1 Einen Schritt weiter geht eine Zelltherapie aus Japan. Hier wurden Endothelzellen aus Spendergewebe gezüchtet und Patient*innen in die Vorderkammer des Auges injiziert; die ersten elf Behandelten weisen auch nach fünf Jahren noch gute Resultate vor, wie eine Publikation belegt.2 „Sollte sich die Methode durchsetzen, könnten mit einer Spenderhornhaut 300 erkrankte Augen therapiert werden“, sagt Cursiefen. „Das würde das Problem des Gewebemangels entschärfen.“