Ein möglicher Meilenstein der Krebstherapie
Forschende der Universität Bern, des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der University of Connecticut haben einen bedeutenden Durchbruch im Kampf gegen Krebs erzielt. In einer Studie konnten sie eine bisher unbekannte Schwachstelle von Prostata-Krebszellen identifizieren. Daraus könnten völlig neue Therapieansätze auch für andere Krebsarten entwickelt werden.
Prostatakrebs ist weltweit die häufigste, nicht die Haut betreffende Krebserkrankung bei Männern. Internationalen Schätzungen zufolge erkrankt einer von sechs Männern im Laufe seines Lebens an Prostatakrebs, und weltweit sterben jedes Jahr über 375’000 Patienten daran. Die Resistenz der Tumore gegen die gängigen Therapien spielt dabei eine wesentliche Rolle, weshalb neue Ansätze dringend erforderlich sind. Nun hat ein internationales Forschungsteam der Universität Bern, des Inselspitals Bern und der University of Connecticut (USA) eine bisher unbekannte Schwachstelle von Prostatakrebszellen identifiziert. Diese Schwachstelle ist möglicherweise auch bei anderen Krebszellen vorhanden. Die Studie wurde unter der Leitung von Mark Rubin vom Department for Biomedical Research (DBMR) und Center for Precision Medicine (BCPM) der Universität Bern und Inselspital Bern sowie Rahul Kanadia vom Departement für Physiologie und Neurobiologie und dem Institute for Systems Genomics an der University of Connecticut durchgeführt. Die Forschungsergebnisse wurden nun im Fachjournal Molecular Cell publiziert.
Bisher unbekannten Treiber von Prostatakrebs identifiziert
«Wir haben uns eine besondere molekulare Maschine, das sogenannte Spleissosom, genauer angeschaut», erklärt Anke Augspach, Hauptautorin der Studie am Department for Biomedical Research (DBMR). «Es spielt eine wichtige Rolle bei der Übersetzung von Genen in Proteine. Dabei trennt das Spleissosom Teile des Gens ab, die für die Herstellung des Proteins nicht benötigt werden, und setzt die anderen Teile zusammen.» Während nahezu alle Gene diesen Prozess im sogenannten Major-Spleissosom durchlaufen, kommt bei weniger als einem Prozent der Gene das Minor-Spleissosom zum Einsatz. «Dennoch ist das Minor-Spleissosom von enormer Bedeutung, weil es vor allem Gene prozessiert, die für das Zellwachstum eine entscheidende Rolle spielen. Und ebendieses Zellwachstum gerät bei Krebs ausser Kontrolle – doch der genaue Mechanismus dahinter war bisher unklar», erklärt Rahul Kanadia, Ko-Autor der Studie an der University of Connecticut.
Bei ihren Untersuchungen fand das Team verschiedene Indizien für die zentrale Rolle des Minor-Spleissosoms bei Krebs. «Wir konnten nachweisen, dass ein spezifischer Bestandteil des Minor-Spleissosoms bei fortgeschrittenem Prostatakrebs deutlich vermehrt auftritt», erklärt Studienmitautor Mark Rubin vom Department for Biomedical Research (DBMR) und Center for Precision Medicine (BCPM). Dies liess die Forschenden vermuten, dass Krebszellen über diesen Bestandteil das Minor-Spleissosom aktivieren und damit ein unkontrolliertes Zellwachstum anregen.
Völlig neuer Ansatz für Krebstherapien
Ihre Vermutung konnten die Forschenden mithilfe von Laborversuchsmodellen wie 2D-Zellkulturen und Organoiden – Miniaturorganen, die basierend auf Patientenproben im Labor gezüchtet werden – bestätigen. Sie konnten zudem zeigen, dass die Hemmung des spezifischen Bestandteils zu einem stärkeren Rückgang des Wachstums von Prostatakrebs führte als die derzeitigen Standardtherapien. «Entsprechend besitzt die Blockierung dieses Prozesses therapeutisches Potenzial», sagt Mark Rubin. «Das ist das Ziel, nach dem wir gesucht haben». Rahul Kanadia fügt hinzu: «Die Blockierung führt zu einem Rückgang des Krebswachstums, ohne das Wachstum und das Überleben von normalen Zellen zu beeinflussen.»
«Diese Entdeckung ist ein Game-Changer bei der Entwicklung von effektiveren und gezielteren Kombinationstherapien für Krebsarten wie Prostatakrebs, aber auch anderen Krebsarten. Daran wollen wir in den kommenden Jahren arbeiten – das entsprechende Patent haben wir bereits angemeldet», bilanziert Rubin.
Forschungsarbeiten werden mit 1 Mio Dollar unterstützt
Die Forschungsergebnisse stammen aus einem Projekt, das von der US-amerikanischen Prostate Cancer Foundation (PCF) mit dem Igor Tulchinsky-Leerom Segal-PCF Challenge Award 2022 unterstützt wird. Die Stiftung fördert interdisziplinäre Projekte, die vielversprechende Ansätze zur Bekämpfung von wiederkehrendem oder fortgeschrittenem Prostatakrebs verfolgen. Der Award ist mit 1 Mio Dollar dotiert. «Wir beglückwünschen das Forschungsteam zu seiner Leistung und sind stolz darauf, ihre Arbeit zu unterstützen, die uns unserem Ziel näher bringt, Tod und Leiden durch Prostatakrebs zu beseitigen», sagt Howard R. Soule, Executive Vice President und Chief Science Officer der PCF.
Publikationsdetails:
Minor intron splicing is critical for survival of lethal prostate cancer, Anke Augspach et al., Molecular Cell, 8. Juni 2023, https://www.cell.com/molecular-cell/fulltext/S1097-2765(23)00373-8
Department for BioMedical Research (DBMR)
Das Departement for BioMedical Research (DBMR) der Medizinischen Fakultät der Universität Bern wurde 1994 von der Universität Bern und dem Inselspital, Universitätsspital Bern gegründet. Das DBMR ist in 13 Forschungsprogramme mit rund 100 teilnehmenden Einzellabors und mehreren unabhängigen Forschungslabors unterteilt, deren Forschung sich über alle biomedizinischen Bereiche erstreckt. Um die Lücke zwischen Labor und Krankenbett zu schliessen, fördert das DBMR klinische Forschung mit einem starken Schwerpunkt auf der Entwicklung translationaler Ansätze, dem Einsatz von «Omics» und anderen Spitzentechnologien sowie einer umfassenden Zusammenarbeit zwischen laborgestützter und patientenorientierter klinischer Forschung. Die DBMR setzt sich auch für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ein.
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Bern Center for Precision Medicine (BCPM)
Das Bern Center for Precision Medicine (BCPM) wurde 2019 auf Initiative und mit Unterstützung des Kantons, der Universität Bern und Inselspital, Universitätsspital Bern, gegründet. Das BCPM ist in Forschung, Vernetzung und Ausbildung aktiv.
Das Zentrum widmet sich der Förderung von Ansätzen der Präzisionsmedizin, indem es die Erforschung und Entwicklung medizinischer Diagnosen und Therapiemethoden unterstützt. Es bietet ein interdisziplinäres Netzwerk für Forschende und Klinikerinnen und Kliniker aus diversen Bereichen und Fakultäten und vereint mehr als 50 Mitglieder. Das BCPM wird auch mittels Graduate Schools der nächsten Generation von Pflegenden und Forschenden die bestmögliche Ausbildung bieten. So sichert es die langfristigen Vorteile, die sich in der Gesundheitsversorgung durch die Präzisionsmedizin ergeben, ab.
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