Rückzug eines weiteren Krebsmedikamentes – jetzt: Capmatinib
Novartis hat die Außervertriebnahme von Capmatinib (Talbrecta®) in Deutschland mit Wirkung ab dem 15. September 2023 bekannt gegeben. Capmatinib ist zugelassen zur Behandlung einer seltenen Form von Lungenkrebs. Als Grund gibt das pharmazeutische Unternehmen die Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss im Rahmen des Verfahrens der frühen Nutzenbewertung und die fehlende Einigung mit den Krankenkassen über einen angemessenen Erstattungspreis an. Kritischer inhaltlicher Hintergrund sind methodische Differenzen über die Bewertung von Registerdaten. Darüber hinaus scheint der solidarische Grundkonsens bei der Preisfindung zu erodieren – zu Lasten der Patientinnen und Patienten.
In der vergangenen Woche hat Novartis die Fachkreise informiert, dass das Krebsmedikament Capmatinib (Talbrecta®) in Deutschland außer Vertrieb genommen wird. Capmatinib gehört zu den gezielt wirksamen Arzneimitteln. Es wurde im Juni 2022 von der European Medicines Agency (EMA) zur Behandlung von Patientinnen und Patienten (Pat.) mit einem fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (non-small cell lung cancer, NSCLC) und Nachweis einer METex14-Skipping-Mutation nach Versagen einer Chemo- und/oder Immuntherapie zugelassen. Basis der Zulassung war GEOMETRY mono-1, eine einarmige, offene Studie mit 92 Pat. in sieben Kohorten.
Im Rahmen der frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel im sogenannten AMNOG-Verfahren (Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes) hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 2. Februar 2023 für alle drei von ihm definierten Subgruppen die Festlegung „Zusatznutzen nicht belegt“ getroffen. Der initial von Novartis aufgerufene Preis pro Pat. lag bei etwa 120.000€/Jahr. In den nicht-öffentlichen Verhandlungen konnte kein Konsens zwischen dem pharmazeutischen Unternehmer und dem GKV-Spitzenverband über einen endgültigen Preis erzielt werden.
Nach der Außervertriebnahme von Talbrecta® reichen die Lagerbestände des Großhandels bis etwa März 2024. Damit können jetzt begonnene Behandlungen fortgesetzt werden. Für neue und weitere Therapien ist eine Sicherung der individuellen Kostenübernahme durch die Krankenkasse erforderlich.
Diese spezielle Form des Lungenkrebses ist selten. Die Zahl der Erkrankten in Deutschland wird auf 200-400 pro Jahr geschätzt. Prof. Dr. med. Hermann Einsele, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie: „Eine solche Maßnahme seitens des pharmazeutischen Unternehmers ist für die Betroffenen, aber auch für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sehr belastend. Capmatinib ist eine Tablettentherapie. Sie wird von den Zulassungsbehörden als wirksam und sicher bewertet. In einem indirekten Vergleich mit Daten aus dem nationalen Netzwerk Genomische Medizin zeigte Capmatinib höhere Ansprechraten und ein längeres, medianes Gesamtüberleben als bisher übliche Medikamente.“
Hier zeigen sich Parallelen zur Marktrücknahme von Amivantamab durch Janssen-Cilag im August 2022. Auch im damaligen Verfahren war der Vergleich mit Daten deutscher Lungenkrebsregister vom G-BA im Verfahren der frühen Nutzenbewertung nicht akzeptiert worden.
Die frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel nach dem AMNOG-Verfahren war in den letzten Jahren ein Erfolgsmodell. Das Prozedere ist aufwändig, aber zuverlässig und bezieht regelhaft alle Beteiligten, einschließlich der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften, aktiv ein. In den Jahren 2017 bis 2020 konnte so erreicht werden, dass alle von der EMA für die Europäische Union (EU) zugelassenen Krebsmedikamente auch in Deutschland auf dem Markt eingeführt wurden. Die auf der Basis der Bewertungen des G-BA durchgeführten Preisverhandlungen führten durchgehend zu einem Preis, der für die Beteiligten akzeptabel war. Bei Dissens wurde ein Schiedsgericht angerufen.
Die Patientinnen und Patienten haben die berechtigte Erwartung, dass ihnen ein zugelassenes und von den in Deutschland gültigen Leitlinien empfohlenes Arzneimittel zur Verfügung steht. Dieses Element der Solidargemeinschaft im Gesundheitswesen scheint jetzt in Gefahr zu geraten. Darüber hinaus ist eine zügige Weiterentwicklung der Methodenbewertung im G-BA für seltene Erkrankungen erforderlich. Qualitativ hochwertige Register müssen weiterentwickelt und gefördert werden. Die Daten aus solchen Registern sind ein wichtiges Element der nationalen Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln.
Wir fordern alle Beteiligten auf, das Vertrauen der Betroffenen in die Verlässlichkeit der Versorgung mit neuen Arzneimitteln in Deutschland nicht zu gefährden.
Weitere Informationen:
http://www.dgho.de – DGHO e.V.