Kehlkopfschrittmacher macht das Leben stimmiger
Zehn Jahre nach der Machbarkeitsstudie, in der neun Personen mit beidseitiger Stimmlippenlähmung ein Kehlkopfschrittmacher implantiert wurde, finden jetzt am Uniklinikum Würzburg (UKW) sowie in Berlin, Gera, Innsbruck, Stuttgart und Wien Folgestudien mit einem weiterentwickelten Implantat der Firma MED-EL statt.
Würzburg. Sie konnte weder Amsterdam noch Adam sagen, das Schlucken fiel ihr schwer, und bei der kleinsten körperlichen Anstrengung blieb ihr die Luft weg. Der Tumor in der Schilddrüse war zwar erfolgreich entfernt worden, doch mit ihm hatte Carola Mayer (Name von der Redaktion geändert) auch ihre Leistungsfähigkeit und Stimme verloren – für die damals 41-jährige, die in der Kommunikationsbranche arbeitet, ein schwerer Schlag. 14 Jahre später plaudert sie im Podcast Phon-O-Ton des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) mit Dr. Fabian Kraus, Oberarzt in der HNO-Klinik und Leiter des Interdisziplinäres Zentrums für Stimme und Schlucken (IZSS) am UKW laut und deutlich über ihr neues Lebensglück. Dieses verdankt sie vor allem dem Kehlkopfschrittmacher, der ihr vor zehn Jahren im Rahmen der Machbarkeitsstudie „Laryngeal Pacemaker“ als eine der ersten Patientinnen weltweit in Würzburg implantiert wurde.
Nach einigen Weiterentwicklungen des Implantats, welches durch einen elektrischen Impuls die gelähmten Stimmlippen öffnet, sind jetzt Folgestudien gestartet. Neben den Unikliniken Würzburg und Innsbruck sowie dem SRH Wald-Klinikum Gera, in denen damals die Pilotstudie mit insgesamt neun Studienteilnehmenden durchgeführt wurde, nehmen heute auch die Charité Berlin, das Klinikum Stuttgart und das AKH Wien an den Studien teil. Insgesamt werden pro Zentrum sechs Personen in die Studien aufgenommen. Ziel ist eine weltweite Zulassung für den von der österreichischen Firma MED-EL Elektromedizinische Geräte GmbH entwickelten Kehlkopfschrittmacher.
Schrittmacher hilft dem Kehlkopfmuskel auf die Sprünge
Mit einem von den Studienzentren und MED-EL gemeinsam entwickelten minimal-invasiven Verfahren werden die Elektroden endoskopisch an den feinen Nervenast platziert, welcher zuvor durch eine Infektion, ein Trauma oder, wie im Fall von Carola Mayer, durch eine vorhergehende Operation beschädigt wurde. Durch die Nervenschädigung ist die Verbindung zum Muskel gestört. Der Nerv kann die Botschaft vom Gehirn, nämlich den Kehlkopf beim Atmen oder Sprechen zu bewegen, nicht mehr umsetzen. Mit dem Schrittmacher wird dem Kehlkopfmuskel gewissermaßen auf die Sprünge geholfen. Die Impulse kommen vom Implantat, das direkt unter der Haut auf dem Brustbein eingesetzt und von einem Prozessor gesteuert wird. Der Prozessor ist von außen auf der Haut per Magnet mit dem Implantat verbunden.
Man spüre weder das Implantat noch störe der magnetische Knopf auf der Haut, sagt Carola Mayer. „Wenn ich eine Bluse mit Ausschnitt tragen möchte und im Theater sitze, also mich weder bewegen noch sprechen muss, kann ich den Prozessor auch abnehmen“, berichtet sie und fügt schnell hinzu: „Der Prozessor ist aber immer griffbereit in meiner Handtasche.“
Jeder Millimeter zählt: Aussicht auf eine Stimme und mehr Luft über jeden Zweifel erhaben
Mit jedem Millimeter, den sich die Stimmlippe mehr öffnet, bekommt sie mehr Luft. Ein Hauch könne manchmal den entscheidenden Schritt ausmachen. Ein Jahr nach der Schilddrüsenoperation wurde bei Carola Mayer bereits ein Teil der rechten Stimmlippe entfernt, um im Kehlkopf mehr Platz zu schaffen und so die Atmung zu erleichtern. „Das war schon sehr befreiend“, sagt sie. Sie konnte endlich wieder aufatmen, zwar weiterhin eingeschränkt, aber sie war froh, dass sie keinen Luftröhrenschnitt benötigte. Doch die Stimme besserte sich auch durch logopädisches Training nur minimal. „Das war schlimm“, blickt sie zurück. „Das wollte ich nicht akzeptieren.“ Und so machte sie bei der Studie mit. Die Aussicht auf eine Stimme und mehr Luft sei über jeden Zweifel erhaben gewesen.
Heute kann sie sogar wieder walken und ihre Einkäufe tragen, sie kann problemlos sprechen und wird verstanden. Die Stimme hat sich entsprechend auf ihre Stimmung ausgewirkt. Daher rät sie allen Patientinnen und Patienten: „Setzen Sie sich mit neuen Studien auseinander, wägen Sie ab, ob es für Sie ein gangbarer Weg ist und wenn ja, probieren Sie ihn aus!“
Beleidigter Nerv bei beidseitiger Stimmlippenparese
Fabian Kraus, erklärt: „Es kann manchmal ein bis zwei Jahre dauern, bis sich ein durch eine Operation oder eine Infektion geschädigter Nervenstrang zwischen Gehirn und Kehlkopf regeneriert.“ Der Nerv sei „beleidigt“ und müsse sich erholen. Manchmal tut er es aber nie und die Kontrolle über die Stimmlippen geht dauerhaft verloren. „Da die beidseitige Stimmlippenlähmung zu einer lebensbedrohlichen Beeinträchtigung der Atmung führen kann, muss chirurgisch interveniert und die Stimmritze vergrößert werden. Die Verbesserung der Atmung geht aber oft zulasten der Stimmqualität.“
In Deutschland und Österreich erleiden jedes Jahr etwa 1.000 Personen eine beidseitige Stimmlippenlähmung, auch Stimmlippenparese genannt. Die Betroffenen werden oft berufsunfähig und ziehen sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. „Ich war den Tumor zwar los, fühlte mich jedoch um 30 Jahre gealtert“, schildert Carola Mayer die Zeit nach der Schilddrüsenoperation. Der Kehlkopfschrittmacher hat ihr ein großes Stück Lebensqualität zurückgeben, mehr Luft und Stimme.
Systematische und multiprofessionelle Diagnostik und Behandlung im Interdisziplinären Zentrum für Stimm- und Schluckstörungen IZSS
Die Diagnostik, Therapie und Erforschung von Stimm- und Schluckstörungen sind schon seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen des UKW. Da es je nach Ursache der Störung viele Berührungspunkte zu anderen Fachrichtungen wie etwa zur Neurologie, Inneren Medizin, Chirurgie, Kinderheilkunde oder Zahn-, Mund- und Kiefergesundheit gibt, wird das Fachwissen der jeweiligen Expertinnen und Experten seit Februar 2020 im IZSS gebündelt. Inzwischen erreichen das an der HNO-Klinik angesiedelte interdisziplinäre Zentrum Anfragen aus ganz Deutschland. Auch die von Fabian Kraus ins Leben gerufene Fortbildungsreihe „Im Focus“ stößt auf große Resonanz. „Am Webinar nehmen regelmäßig rund 100 Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten, Pflegende und Interessierte aus Deutschland, Schweiz und Österreich“, freut sich der geschäftsführende Leiter des IZSS.
Der Kehlkopf im Fokus beim Sprechen, Schlucken und Atmen
Gemeinsamer Dreh- und Angelpunkt der Stimme und des Schluckens ist der Kehlkopf. Er sorgt dafür, dass beim Schlucken keine Speise in die Luftröhre gelangt. Mit seinen mittig gelegenen Stimmlippen ist er zudem für die Lautbildung zuständig. Die Stimmlippen öffnen sich beim Einatmen und spannen sich zur Stimmbildung beim Ausatmen, sodass der durchströmende Luftstrom die nun eng aneinander liegenden Stimmlippen zum Schwingen bringt. Es entstehen Schallwellen, die wir als Stimme wahrnehmen. Je höher die Töne desto intensiver schwingen die Stimmlippen. Beim hohen C schließen sie sich zum Beispiel mehr als 1.000 Mal in der Sekunde. Männerstimmen klingen übrigens tiefer als Frauenstimmen, weil die Stimmlippen der Männer in der Regel länger sind und langsamer schwingen. Sind die Stimmlippen entzündet, vernarbt oder verschleimt, können die Stimmlippen nicht mehr schwingen und wir klingen heiser. Doch auch unsere Stimmung macht sich am Kehlkopf bemerkbar. Wenn uns etwas bedrückt, können wir nicht richtig einatmen und bringen bisweilen keinen Ton mehr heraus.
Interdisziplinäres Zentrum für Stimm- und Schluckstörungen IZSS
Telefon: +49 931 – 201 21888, E-Mail: izss@ukw.de, www.ukw.de/izss.