Kritisches COVID-19: ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptorblocker keine effektive Therapie

Original Titel:
Effect of Angiotensin-Converting Enzyme Inhibitor and Angiotensin Receptor Blocker Initiation on Organ Support–Free Days in Patients Hospitalized With COVID-19: A Randomized Clinical Trial

 
Kurz & fundiert
  • Hemmer des Renin-Angiotensin-System (RAS-Hemmer): COVID-19-Therapie?
  • ACE-Inhibitoren oder Angiotensin-Rezeptorblockern in klinischer Plattform-Studie
  • Randomisiert kontrollierter Vergleich mit kritisch erkrankten COVID-19-Patienten (n = 679)
  • Behandlung bis zu 10 Tage
  • Neu-Initiierung von RAS-Hemmung nicht von Vorteil bei kritischem COVID-19
  • Neuaufnahme am 25. Februar 2022 aufgrund von Sicherheitsbedenken beendet
  MedWiss – Kann eine Initiierung einer Therapie mit Hemmern des Renin-Angiotensin-Systems wie ACE-Inhibitoren oder Angiotensin-Rezeptorblockern die Behandlung erwachsener Patienten in klinischer Behandlung mit COVID-19 positiv beeinflussen? Ein randomisierter, kontrollierter Vergleich im Rahmen einer klinischen Plattformstudie zeigte keinen Vorteil, sondern eher nachteilige Effekte bei kritisch erkrankten COVID-19-Patienten. Die Autoren und ein begleitendes Editorial betonen jedoch, dass andere Studien darauf deuten, dass eine bereits laufende Therapie mit RAS-Inhibitoren, speziell bei nicht-kritisch erkrankten COVID-19-Patienten, nicht unterbrochen werden muss.
Eine Überaktivierung des Renin-Angiotensin-Systems (RAS) könnte zu schlechteren Verläufen bei Patienten mit COVID-19 in stationärer Behandlung beitragen. Medikamente wie ACE-Hemmer (angiotensin-converting enzyme inhibitor) oder Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB) wirken hemmend auf das Renin-Angiotensin-System ein, sind also RAS-Inhibitoren. Man vermutete daher, diese Wirkstoffe könnten die Behandlung von COVID-19 in der Klinik verbessern.

Hemmer des Renin-Angiotensin-System (RAS-Hemmer): COVID-19-Therapie?

Im Rahmen einer laufenden, adaptiven, randomisierten klinischen Platformstudie mit 721 kritisch erkrankten und 58 nicht kritisch kranken, aber hospitalisierten, erwachsenen COVID-19-Patienten erhielten die Patienten zufällig einen RAS-Inhibitor oder ein Kontrollmittel zugewiesen. Die Behandlung erfolgte zwischen März 2021 und Februar 2022 in einer von 69 teilnehmenden Kliniken in 7 Ländern. 257 Patienten erhielten offen einen ACE-Inhibitor, 248 Patienten erhielten einen ARB, 10 Patienten erhielten ARB in Kombination mit DMX-200 (einem Chemokinrezeptor-2-Inhibitor), 264 Patienten erhielten keinen RAS-Inhibitor (Kontrollgruppe). Die Behandlung mit den jeweiligen Mitteln erfolgte für bis zu 10 Tage.

Randomisiert kontrollierter Vergleich mit kritisch erkrankten COVID-19-Patienten

Vorrangige Forschungsfragen bzw. primäre Ergebnisse der Behandlung waren:
  • Zahl der Tage ohne Organsupport
  • Zusammengefasster Wert aus Überleben der klinischen Behandlung und der Zahl der Tage ohne kardiovaskuläre oder Atemunterstützung, bis zu 21 Tage
Die Analyse bestimmte die Chance für die jeweiligen Therapieerfolge anhand der Odds Ratio (OR), mit Werten über 1 als Hinweis auf einen Vorteil der geprüften Therapie und einem 95 % Glaubwürdigkeitsintervall (95 % GI) relativ zur Kontrollgruppe. Die Neuaufnahme in die Studie wurde am 25. Februar 2022 aufgrund von Sicherheitsbedenken beendet. Von 679 kritisch erkrankten Patienten lagen Ergebnisse zu den zentralen Therapiezielen vor. Das mittlere Alter der Patienten (Median) betrug 56 Jahre, 239 (35,2 %) waren Frauen. Die mittlere Zahl der Tage (Median) ohne Organsupport bei kritisch kranken COVID-19-Patienten war in der Kontrollgruppe höher als in den Patientengruppen mit den geprüften RAS-Inhibitoren:
  • Tage ohne Organsupport
    • ACE-Inhibitor (n = 231): 10 Tage; Interquartilbereich, IQR: -1 – 16; OR: 0,77; 95 % GI: 0,58 – 1,06
    • ARB (n = 217): 8 Tage; IQR: -1 – 17; OR: 0,76; 95 % GI: 0,56 – 1,05
    • Kontrolle (n = 231): 12 Tage; IQR: 0 – 17
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Prüfbehandlung die Zahl der Organsupport-freien Tage im Vergleich zu den Kontrollen verschlechtert hatte, betrug 94,9 % für den ACE-Inhibitor und 95,4 % für ARB. Von 231 kritisch erkrankten Patienten in der ACE-Inhibitor-Gruppe überlebten 166 (71.9 %). In der ARB-Gruppe überlebten 152 von 217 Patienten (70,0 %), in der Kontrollgruppe hingegen 182 von 231 Patienten (78,8 %). Die Wahrscheinlichkeit, dass die Behandlung im Vergleich zu Kontrolle das Überleben in der Klinik verschlechtert hatte, schätzten die Experten auf 95,3 % für ACE-Inhibitor und 98,1 % für ARB ein. In dieser Studie zeigte sich somit, dass bei kritisch erkrankten COVID-19-Patienten in klinischer Behandlung die Initiierung der Therapie mit einem ACE-Inhibitor oder ARB  den Verlauf der Erkrankung nach Coronavirus-Infektion nicht verbesserte, sondern womöglich verschlechtern konnte.

Neu-Initiierung von RAS-Hemmung nicht von Vorteil bei kritischem COVID-19

Beobachtungsstudien, schreiben die Autoren, legen bessere Ergebnisse bei Patienten nahe, die bereits aufgrund anderer Erkrankungen in Behandlung mit ACE-Inhibitoren oder ARB sind. Auch ein begleitendes Editorial betont, dass weitere Studien zeigen, dass eine bestehende Therapie mit RAS-Inhibitoren bei nicht-kritischen COVID-19-Erkrankungen nicht abgebrochen werden muss. [DOI: 10.1001/jama.2023.4480]  
 

© Alle Rechte: HealthCom