Metalloxide als Medikamententransporter in die Zelle

Durchbruch in der Arzneimittelforschung durch alte Substanz mit neuer Wirkung

Eine „alte“ Substanzklasse mit einer neu entdeckten Wirkung: Ein Forschungsteam der Universität Wien zeigte in Zusammenarbeit mit der Constructor University in Bremen, dass Polyoxometallate (POMs) biologisch relevante Fracht durch biologische Membranen hindurch transportieren können. Dieser wissenschaftliche Erfolg wurde aktuell im Fachmagazin Advanced Materials publiziert. Er wird dazu beitragen, POMs als Bestandteile von Arzneimitteln der nächsten Generation zu positionieren und so den Bereich der Wirkstoffgabe revolutionieren.

Die therapeutische Wirksamkeit eines Medikaments hängt auch davon ab, ob es im Körper die Zielzellen erreicht und dabei keine oder möglichst geringe Nebenwirkungen verursacht. Eine besondere Herausforderung für viele potenzielle Medikamente – insbesondere für wasserlösliche bioaktive Moleküle – ist das Passieren von biologischen Membranen, um in weiterer Folge die spezifischen Ziele des Therapeutikums in den Zellen selbst zu erreichen. Dass eine Substanzklasse wie POMs neben ihres bereits bekannten Potenzials bei der Bekämpfung von Tumoren, Bakterien und Viren auch als „Medikamententransporter“ fungieren kann, ist eine neue Entdeckung ¬ und bietet sich als vielversprechende Lösung für diese schon seit langem bestehende Herausforderung des Überwinden von Membranen an.

Erfolgreiche Passage

Polyoxometallate sind eine besondere chemische Stoffgruppe: Sie bestehen aus sauerstoffhaltigen Anionen, die mehrere Metall-Ionen enthalten. Diese POMs sind für ihre außergewöhnliche chemische Eigenschaft der Super-Chaotropie bekannt – für die inhärente Tendenz großer ladungsdelokalisierter Anionen mit hydrophober Materie zu interagieren. Annette Rompel vom Institut für Biophysikalische Chemie der Fakultät für Chemie erklärt: „In unseren Experimenten konnten wir sowohl an Modellmembranen als auch an lebenden Zellen zeigen, dass bestimmte gemischt-metallige POMs wirksame Transporter für verschiedene Wirkstoffe sein können. POMs weisen unter neutralen physiologischen Bedingungen eine ausreichende Stabilität auf und können undurchlässige, hydrophile und kationische Peptide (Eiweißstoffe) durch die Membranen transportieren.“ Diese Überwindung der Membranhürde ist für die Verbesserung von Behandlungspräzision und -effizienz durch eine verbesserte Zellaufnahme von entscheidender Bedeutung – was zu weniger Nebenwirkungen und besseren Ergebnissen für Patient*innen führt.

Vielversprechende Aussichten

Nadiia Gumerova, eine führende Autorin der Studie und leitende Anorganikerin am Institut für Biophysikalische Chemie der Universität Wien, ist von den Möglichkeiten überzeugt, die POMs als Transportmoleküle bieten: „POMs sind aufgrund ihrer enormen Strukturvielfalt eine vielversprechende Stoffklasse in der Medizin. Mit unseren weiteren Untersuchungen werden wir neue Wege bei der Verabreichung von Arzneimitteln beschreiten und neue Horizonte in der Pharmaindustrie eröffnen können.“ Bereits jetzt sorgt diese bahnbrechende neue Technologie in der wissenschaftlichen Gemeinschaft für großes Aufsehen – und das Forschungsteam der Universität Wien wird auch in Zukunft alle Anstrengungen daran setzen, die Grenzen des Möglichen in der Arzneimittelforschung zu erweitern.

Originalpublikation:

A. Barba-Bon, N. I. Gumerova, E. Tanuhadi, M. Ashjari, Y. Chen, A. Rompel, W. M. Nau, All-inorganic polyoxometalates act as superchaotropic membrane carriers, Adv. Mat., 2023.
DOI: 10.1002/adma.202309219
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/adma.202309219