Darm-Stammzellen treiben alternsbedingte Entzündung an
Chronische Entzündungen sind ein Kennzeichen alternder Gewebe, insbesondere des Darms. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) zeigten jetzt an Mäusen, dass alternde Darm-Stammzellen entscheidende Treiber der Entzündung sind. Sie produzieren ein wichtiges Erkennungsmolekül für T-Zellen des Immunsystems, die wiederum mit ihren entzündungsfördernden Botenstoffen den Prozess noch weiter ankurbeln.
Kaum ein anderes Gewebe muss so vielfältige Aufgaben bewältigen wie der Darm. Das Darmepithel ist für die Aufnahme aller Nährstoffe zuständig. Es muss außerdem die Immunabwehr gegen invasive Erreger ermöglichen und gleichzeitig die Toleranz gegen die Vielzahl von Mikroorganismen aufrechterhalten, die zusammen das Darmmikrobiom ausmachen. Doch im Laufe des Lebens leidet das Darmepithel vielfach unter Alterserscheinungen, die die Funktionsfähigkeit des Organs beeinträchtigen und zu Erkrankungen führen können.
„Der dauerhafte Kontakt des Darmepithels mit dem Mikrobiom einerseits und den Immunzellen andererseits führt mit den Jahren zu einer chronischen Entzündung, die als Inflammaging bezeichnet wird“, sagt Maja Funk von DKFZ. Der Begriff setzt sich aus Entzündung (Inflammation) und Alterung (Aging) zusammen. Funk und ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem DKFZ haben nun entdeckt, dass die Darm-Stammzellen ein zusätzlicher Treiber dieser niedriggradigen chronischen Entzündung sind.
Das Darmepithel erneuert sich alle vier bis sieben Tage vollständig. Dafür sind die Darm-Stammzellen zuständig, die ständig Nachschub an den verschiedenen Typen von spezialisierten Zellen des Darms liefern. Die Stammzellen sitzen am Grunde von winzigen Vertiefungen des Darmepithels, den so genannten Krypten.
Durch Analysen der Genaktivität auf der Ebene einzelner Zellen des Darmepithels definierte das Team Vergleichswerte für die Aktivität entzündungsfördernder Signalwege. Diese Werte waren in jungen Geweben am niedrigsten, insbesondere in den Zellen der Krypten. Mit dem Ausreifen steigen die Vorläuferzellen immer weiter in der Krypte auf – wobei sie immer höhere Entzündungswerte aufwiesen. In den Darmepithel-Zellen älterer Mäuse waren die Entzündungswerte generell höher.
Den Forschern fiel besonders auf, dass gealterte Stammzellen auf ihrer Oberfläche sehr viel mehr MHC Klasse II-Moleküle trugen, die ein wichtiges Erkennungszeichen für das Immunsystem sind: „MHC II ermöglicht, dass es zu mehr Interaktionen zwischen den Stammzellen und T-Zellen des Immunsystems kommt. Und T-Zellen sind die Hauptquelle für bestimmte Interferone und andere entzündungsfördernde Botenstoffe, die die Entzündung weiter antreiben“, erklärt Maja Funk.
Sind die Entzündungs-Merkmale der gealterten Darm-Stammzellen auf die Interaktion mit den Immunzellen zurückzuführen? Um das herauszufinden, züchteten die Forschenden aus Stammzellen des Mäuse-Darms in der Kulturschale Miniatur-Organe, so genannte Darm-Organoide, die den Aufbau des Darmepithels mit seinen Krypten nachbilden – allerdings keine Immunzellen enthalten. Organoide, die aus betagten Mäusen gezüchtet worden waren, wiesen erhöhte Entzündungs-Signaturen auf.
Daraus schließen die Forscher, dass die entzündlichen Veränderungen des Darmepithels offenbar ein intrinsischer Vorgang der Darm-Stammzellen sind, der durch die äußeren Stimuli noch weiter verstärkt wird. Ursächlich für die mit dem Alter zunehmende Entzündung ist offenbar ein epigenetischer Umbau des Erbguts in den alternden Stammzellen, der bewirkt, dass entzündungsfördernde Gene stärker abgelesen werden können.
„Wir zeigen mit dieser Arbeit erstmalig, dass Darm-Stammzellen zum Phänomen des „Inflammaging“ beitragen, das alternde Gewebe vielfach kennzeichnet“, erklärt Michael Boutros, Abteilungsleiter am DKFZ und seit kurzem Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg. „Noch können wir nicht sagen, inwieweit sich diese an Modellorganismen gewonnenen Ergebnisse auf die Situation beim Menschen übertragen lassen. Unser Ziel war es, die grundlegenden Mechanismen der chronischen altersbedingten Entzündungen zu verstehen. Chronische Entzündungen sind Treiber für verschiedene alternsbedingte Leiden, auch für Krebs. Unsere Ergebnisse könnten in Zukunft helfen, diese Krankheiten zu bekämpfen.“
Maja C. Funk, Jan G. Gleixner, Florian Heigwer, Dominik Vonficht, Erica Valentini, Zeynep Aydin, Elena Tonin, Stefania Del Prete, Sylvia Mahara, Yannick Throm, Jenny Hetzer, Danijela Heide, Oliver Stegle, Duncan T. Odom, Angelika Feldmann, Simon Hass, Mathias Heikenwälder, Michael Boutros:
Aged intestinal stem cells propagate cell-intrinsic sources of Inflammaging in mice
Dev. CELL 2023, DOI: https://doi.org/10.1016/j.devcel.2023.11.013
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.