Mit Unterdruck gegen Blutgerinnsel: Neue Methode für Fälle von schwerer Lungenembolie
Eine Lungenembolie zu erkennen, ist auch für Notfallmediziner schwierig: Die Symptome ähneln einem akuten Herzinfarkt, die Betroffenen klagen über plötzliche Atemnot und Herzrasen. Ohne eine weitere Diagnostik per EKG und Computertomografie ist die Verlegung der Lungengefäße durch Blutgerinnsel kaum zu erkennen. Der Ursprung der auslösenden Blutgerinnsel liegt oft in einer Becken- oder Beinvenenthrombose, von wo sich die Gerinnsel „auf Wanderschaft“ begeben. Waldemar Reimer wusste nicht, dass die Lungenembolie die dritthäufigste Todesursache bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist: Aber er ist froh, dass er dieses schwere Ereignis dank eines neuen kathetergestützten Verfahrens überlebt hat.
Waldemar Reimer freute sich auf seinen 65. Geburtstag: Einen Tag vorher, am 24. November 2023, bereitete seine Frau dafür gerade in der Küche Salate vor. Als ihr Mann diese probieren sollte, fand sie ihn ohne erkennbare Vorzeichen im Wohnzimmer am Boden liegend vor. „Ich kann mich nur erinnern, dass ich plötzlich keine Luft mehr bekam und ich mich habe vom Sessel auf den Boden gleiten lassen“, erinnert sich Waldemar Reimer. Die herbeigerufene Notärztin musste den Patienten sogar reanimieren und ließ ihn mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Herzkatheterlabor des UKM (Universitätsklinikum Münster) bringen.
Priv.-Doz. Dr. Stefan Lange, diensthabender Oberarzt aus der Klinik für Kardiologie I, fand aufgrund des auffälligen Rechtsschenkelblocks im EKG, einer Echokardiographie und schließlich einer CT des Brustraums allerdings eine ganz andere Ursache für die plötzlich lebensbedrohlichen Beschwerden des Patienten: eine ausgeprägte Lungenembolie. „Wir konnten in der Bildgebung sehen, dass fast zwei Drittel der Lungenstrombahn mit Blut-Thromben ‚verstopft‘ war. Daher rührte die Luftnot des Patienten. Dazu passte auch, dass die rechte Herzkammer wie ein Ballon aufgeblasen war, weil das Herz bei einer Lungenembolie vergeblich gegen den Druckanstieg in den verstopften Lungengefäßen anpumpt“, so Lange. In der Folge kann das schnell zum Herzversagen führen.
Nachdem eine sofort eingeleitete Therapie mit Heparin zur Blutverdünnung alleine nicht ausreichte und sich der Zustand des Patienten auch über Nacht nicht wesentlich gebessert hatte, entschieden sich die Kardiologen für eine neue Methode. „Das UKM ist eines der bisher wenigen Zentren in Deutschland, das ein in den USA entwickeltes neues kathetergestütztes Verfahren anwendet. Mit dem FlowTriever-System kann man über einen Zugang durch die Leistenvene eine mechanische Thrombektomie durchführen“, erklärt der Direktor der Kardiologie I und Sprecher des Universitären Herzzentrums am UKM, Prof. Holger Reinecke. Dazu wird unter einer leichten Sedierung ein fingerdicker Katheter über die Leiste bis in die Lunge geführt und eine Spritze am Ende des FlowTrievers erzeugt einen Unterdruck in den Gefäßen. Durch Öffnen eines Ventils endet der Unterdruck abrupt und die Blutthromben werden mit Hilfe der Spritze quasi aus den Gefäßen gesaugt. „Dazu braucht es schon einige Erfahrung mit Katheter-Intervention“, sagt Reinecke, „Das Verfahren besticht zwar durch die einfache Idee, ist in der Praxis am besten durch erfahrene Kardiologinnen und Kardiologen anzuwenden. Und auch die OP-Pflege muss speziell dafür ausgebildet sein, bei einen solchen Eingriff zu assistieren.“ Am UKM soll in Fällen von Lungenembolie künftig ein interventionelles Notfallteam rund um die Uhr bereitstehen.
Bisher ist es so, dass der FlowTriever vor allem bei schwer erkrankten Patientinnen und Patienten eingesetzt wird. Gerade bei Betroffenen, die aufgrund einer Vorerkrankung nicht mit Blutverdünnern behandelt werden können, beispielsweise bei einer Tumorerkrankung oder einer generellen Blutungsneigung, stellt das Verfahren sogar die einzige Behandlungsoption dar.
Waldemar Reimer konnte noch im Katheterlabor, direkt nach der Entfernung der Thromben, wieder frei atmen. „Ich habe das im selben Moment gemerkt und zu den Ärzten gesagt ‚Oh, jetzt haben sie da aber gerade was gemacht‘“, so der 65-Jährige. Seinen Geburtstag am 25. November wird er dank des Eingriffs künftig doppelt feiern. Und was er sich noch vorgenommen hat: Bei Wind und Wetter geht er jeden Tag mindestens eine Stunde spazieren – um Thrombosen in den tiefliegenden Venen vorzubeugen. Denn: Auslöser der schweren Lungenembolie war eine Thrombose in der Kniekehle. Ein Blutpfropf hatte sich von dort gelöst und auf den Weg durch die Blutstrombahn gemacht.
„Das ist das Tückische an Lungenembolien“, weiß Oberarzt Lange. „Thrombosen können vollkommen unbemerkt bleiben und dann kommt es zu diesen plötzlichen lebensbedrohlichen Verstopfungen der Lungenarterien. Häufig bleiben Lungenembolien deswegen unerkannt und können nicht selten leider dann tödlich enden, so Lange.