Noma: einer tödlichen Krankheit ein Gesicht geben
Ende 2023 hat die Weltgesundheitsorganisation die Infektionskrankheit Noma offiziell auf die Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten gesetzt. Damit kann die Armutserkrankung besser bekämpft und erforscht werden. Das Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut und die Universität Basel haben entscheidend zu dieser Anerkennung beigetragen.
Noma ist eine Erkrankung, bei der viele Menschen am liebsten wegschauen. Der Anblick der betroffenen Kleinkinder ist unerträglich. Im Gesicht klaffen offene Wunden. Ganze Wangenpartien erscheinen wie weggefressen. Kinder, die eine Erkrankung überleben, bleiben ein Leben lang entstellt und kämpfen mit Sprachstörungen und Problemen beim Essen.
Noma betrifft typischerweise Kinder zwischen zwei und sechs Jahren. Die Krankheit beginnt vermeintlich harmlos durch wundes Zahnfleisch und leichten Mundgeruch. In diesem Stadium wäre die Erkrankung mit einem Breitband-Antibiotikum einfach zu heilen. Unbehandelt breitet sich die Infektion innerhalb weniger Tage zu einer Gewebsnekrose aus. Erst sterben Weichteile ab, dann werden auch Knorpelstrukturen und Knochen angegriffen und von der Infektion förmlich weggefressen.
«Die Zeitspanne, um die Krankheit zu erkennen und zu behandeln, ist extrem kurz», sagt PD Dr. Peter Steinmann, Epidemiologe am Schweizerischen Tropen- und Public Health Institut (Swiss TPH) und der Universität Basel. Bereits nach zehn bis zwölf Tagen sind die Schäden im Gesicht irreversibel. Momentan sterben schätzungsweise neun von zehn Kinder an den Folgen der Krankheit, da sie nicht rechtzeitig diagnostiziert und behandelt werden: «Bis betroffene Kinder von Orten mit schlechter Gesundheitsversorgung ins Gesundheitszentrum kommen, ist es oft schon zu spät.»
Kinder, die dieses Stadium der Krankheit überleben, haben oft grosse Teile ihres Gesichts verloren. Lippen sind entstellt, die Nasenpartie fehlt, ein angegriffener Kiefer verhindert beispielsweise das Kauen von Nahrung. Ohne komplizierte Operationen bleiben betroffene Kinder ein Leben lang gezeichnet, sehr oft stigmatisiert und ausgegrenzt.
Gesicht der Armut
Noma wird auch als das Gesicht der Armut bezeichnet. Denn die Krankheit tritt hauptsächlich in Gebieten mit extremer Armut auf, heute hauptsächlich in Afrika, Indien, Ostasien, Südostasien und Lateinamerika. Erste klinische Beschreibungen finden sich in Aufzeichnungen eines flämischen Chirurgen im 16. Jahrhundert. Insbesondere während Kriegszeiten und Perioden extremer Armut litten bis ins 20. Jahrhundert auch in Europa Kinder an Noma. Zuletzt wurde die Krankheit bei Insassen in deutschen und sowjetischen Konzentrationslagern beobachtet.
Dank gestiegener Gesundheitsversorgung und höherem Lebensstandard ist Noma in Europa komplett verschwunden und damit auch in Vergessenheit geraten. In anderen Regionen dieser Welt ist die Krankheit noch immer verbreitet. Laut Schätzungen erkranken mehr als 140’000 Kinder jedes Jahr an Noma.
«Noma betrifft hauptsächlich Menschen, die extrem schwierig zu erreichen sind und abgeschieden leben», sagt Peter Steinmann. «Es sind Menschen, die weit entfernt von staatlichen Gesundheitseinrichtungen leben und oft durch die Maschen einer schwachen Gesundheitsversorgung fallen.» Er hat zusammen mit den beiden Doktorierenden Anaïs Galli und Curdin Brugger im Rahmen einer Studie die wissenschaftliche Evidenz zur Ausbreitung der Krankheit untersucht. Die Studie ist 2022 in der Fachzeitschrift Lancet Infectious Diseases erschienen.
Genaue Ursache ist unbekannt
Was die Krankheit auslöst, ist bis heute unklar. Wahrscheinlich entsteht sie als Folge einer bakteriellen Infektion bei gleichzeitig geschwächtem Immunsystem. Dazu kann extreme Mangelernährung führen, aber auch eine kürzlich durchgemachte Masern- oder Malariaerkrankung. «Auch ein Mangel an Vitaminen oder Mineralien könnte die Kinder anfälliger auf eine Noma-Erkrankung machen», meint Peter Steinmann.
32 Länder unter Führung von Nigeria haben bei der WHO den Antrag zur Aufnahme von Noma auf die Liste vernachlässigter Tropenkrankheiten gestellt. Grundlage dazu war die Arbeit eines internationalen Konsortiums von Wissenschaftlern, finanziert vom Swiss Network for International Studies, das den aktuellen Wissensstand rund um die Krankheit untersucht hat. Die Aufarbeitung des epidemiologischen Wissens oblag dem Swiss TPH.
«Unsere Aufgabe war es, aus Untersuchungen in betroffenen Ländern und aus publizierten Studien das vorhandene Wissen zusammenzutragen», sagt Anaïs Galli, Doktorandin an der Universität Basel. Dazu gehörte auch die Darstellung der weltweiten Ausbreitung. Bisher sprach man oft vom Noma-Gürtel, der sich von West- nach Ostafrika spannt. «Wir konnten nun zeigen, dass Noma auch in Asien und Südamerika vorkommt.» Damit lieferte die Untersuchung eine der Voraussetzungen für die WHO-Anerkennung als vernachlässigte Krankheit von globaler Bedeutung.
Die Aufnahme auf die Liste mit nun 21 vernachlässigten Tropenkrankheiten könnte neue Türen für die Finanzierung von Forschungsprogrammen öffnen, um Noma besser zu verstehen. Ebenso steht zu hoffen, dass durch das offizielle Engagement der WHO die Kontrolle und Eliminierung, die Prävention und Behandlung von Noma in betroffenen Gebieten verbessert werden können.
«An dieser behandelbaren Krankheit sollte eigentlich niemand leiden und sterben müssen», sagt Peter Steinmann. «Alles was es dazu braucht sind Ernährungssicherheit und minimal funktionierende Gesundheitssysteme, die auch abgeschiedene Bevölkerungsgruppen erreichen.»
Weiterführende Informationen