Covid-19: Doppelte Standards bei Ungeimpften im Job
Studienteam untersuchte Auswirkungen von Impfstatus auf Kündigungen
Was passiert mit Berufstätigen, die sich nicht gegen Covid-19 haben impfen lassen? Müssen sie Nachteile befürchten? Und sind diese Nachteile stärker ausgeprägt, wenn es sich um Personengruppen handelt, die ohnehin bereits benachteiligt werden? Das haben Forschende der Universität Bielefeld untersucht. „Vor etwa zwei Jahren gab es Diskussionen zum Thema Impfpflicht in Deutschland“, sagt Dr. Sebastian Sattler von der Fakultät für Soziologie. „Das haben wir als Anlass genommen und uns gefragt, inwieweit sich Impfen als soziale Norm verstehen lässt und wie sich das auf dem Arbeitsmarkt auswirkt.“ Die Ergebnisse der Studie sind jetzt in Scientific Reports erschienen.
Die Studie ist Teil des Projektes „U-COMPLY“, für das die Universitäten Bielefeld und Köln zusammenarbeiten und das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. In dem Projekt geht es darum, besser zu verstehen, welche Hintergründe Verstöße gegen die Corona-Maßnahmen haben, welche Rolle persönliche Faktoren dabei spielen und wie die Gesellschaft auf das Verletzen von Schutzmaßnahmen reagiert. „Konkret haben wir untersucht, welche Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt erwartet werden, wenn sich eine Person nicht impfen lässt, und auch welche Folgen es haben sollte“, sagt Sattler. „Uns hat interessiert, ob es hierbei doppelte Standards gibt, also besondere Nachteile für Frauen, Ältere und Menschen mit Migrationshintergrund, die ohnehin oft benachteiligt werden.“
Kündigungen sollen eher Ungeimpfte treffen
Befragt wurden dafür zwischen April und Mai 2022 insgesamt 12.136 Personen in einer Online-Umfrage. Sie bekamen Informationen zum Impfstatus einer fiktiven Person und einige weitere Merkmale wie den Nachnamen, das Geschlecht und die Arbeitsleistung. Sie sollten dann angeben, welche der Personen wohl bevorzugt entlassen werden würde und wen sie selbst am ehesten entlassen würden.
„Wenn es nach der Mehrheit der Befragten ginge, sollten Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, im Job mit Sanktionen rechnen müssen – genauer, einer Kündigung“, sagt Sattler. Die Befragten schätzten das Risiko, dass diese Personen eine Kündigung erhalten, deutlich höher ein – und das galt auch für Befragte, die selbst ungeimpft waren. Auch selbst würden die meisten Teilnehmer*innen der Studie ungeimpften Menschen eher kündigen. Eine Ausnahme gab es hier nur bei befragten Personen, die selbst nicht geimpft waren. Auch sie erwarteten eher eine Kündigung bei ungeimpften Personen, würden selbst aber nicht so vorgehen. „Daraus lässt sich schließen, dass Impfen zu einer sozialen Norm geworden ist“, sagt Sattler. Diese Norm könne Impfentscheidungen beeinflussen, aber auch den Umgang mit Ungeimpften, so der Wissenschaftler.
Doppelte Standards für einige Personengruppen
Deutlich wurden in der Studie vereinzelt auch doppelte Standards, also eine unterschiedliche Behandlung verschiedener Personengruppen. Demnach wurde für Menschen, die nicht geimpft waren, ein noch höheres Risiko für eine Kündigung erwartet, wenn es sich um Frauen, ältere Menschen und Personen mit Migrationshintergrund handelte. Die Befragten neigten auch dazu, selbst eher ein Arbeitsverhältnis mit Personen aus diesen Gruppen beendigen zu wollen.
„Wir hätten hier allerdings noch deutlich stärkere Effekte erwartet“, sagt Cristóbal Moya ein weiterer Autor der Studie, dass sie nicht so stark ausfallen, sei jedoch auch als ein positives Zeichen zu verstehen. „Die Impfung wirkt als soziale Norm und scheint sich noch stärker auszuwirken als doppelte Standards“, so der Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). In gewissem Umfang hätten Betroffene die Möglichkeit, ihre Benachteiligung zu kompensieren – etwa durch eine besonders gute Arbeitsleistung. Sie müssen sich also besonders anstrengen, um die gleiche Behandlung wie andere zu erfahren. „Auch dieser Effekt war allerdings nicht in allen Bereichen gleich stark ausgeprägt“, sagt Moya.
Die Pandemie als Zeit der Unsicherheit
Die Studie ist im Kontext ihrer Zeit zu sehen, als vor zwei Jahren die Debatte um eine Impfpflicht und soziale Verantwortung die öffentliche Diskussion in Deutschland geprägt hat. „Damals beschäftigten sich beispielsweise auch Arbeitsgerichte mit der Frage, inwieweit Impfverweigerung ein Kündigungsgrund sein kann“, sagt Professor Dr. Carsten Sauer, ebenfalls Autor der Studie und Forscher an der Bielefelder Fakultät für Soziologie. Dabei ging es auch um die Frage, ob Unternehmen ein Recht darauf haben, den Impfstatus der Angestellten zu kennen – und inwiefern mangelnde Impfbereitschaft ausreicht, um eine Kündigung auszusprechen.
Die Untersuchung sei ein wichtiger Beitrag zur Unsicherheitsforschung, sagt der Konfliktforscher Professor Dr. Andreas Zick, einer der Gründungsdirektor*innen des Centers for Uncertainty Studies (CeUS) der Universität Bielefeld. „Die Studie stammt aus einer Zeit, in der sehr viel Unsicherheit herrschte“, so Zick. Politische Entscheidungen wurden oft nur auf Sichtweite getroffen und wieder angepasst, auch mit Blick auf die Impfung und mögliche Nebenwirkungen gab es Unsicherheiten. Wer geimpft war, fragte sich womöglich, wie der Umgang mit ungeimpften Personen im Job aussehen könnte – und wer sich nicht impfen lassen wollte, musste abwägen, welche Nachteile das unter anderem im Job sich bringen würde. „Die Studie zeigt, wie stark sich solche Unsicherheiten auf einzelne Personen auswirken können.“
Scientific Reports
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Originalveröffentlichung:
Cristóbal Moya, Sebastian Sattler, Shannon Taflinger, Carsten Sauer: Examining double standards in layoff preferences and expectations for gender, age, and ethnicity when violating the social norm of vaccination. Scientific Reports, https://doi.org/10.1038/s41598-023-48829-4, erschienen am 2. Januar 2024.
Weitere Informationen:
Das Projekt „U-COMPLY“