Post-COVID: Bonner Forschende untersuchen Auswirkungen von Corona auf das Gehirn
DZNE koordiniert EU-geförderte Studie
Bonn, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bonn, Berlin und Mailand wollen unter Federführung des DZNE den Ursachen neurologischer Beschwerden auf den Grund gehen, die im zeitlichen Zusammenhang einer Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 auftreten. Personen mit einem solchen „neurologischen Post-COVID-Syndrom“ und Interesse an einer Studienteilnahme können sich an die Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Bonn (UKB) wenden. Zu Vergleichszwecken können auch Erwachsene mitwirken, die eine Corona-Infektion durchgemacht haben, aber keine neurologischen Symptome in Folge der Infektion aufweisen.
Das sogenannte Post-COVID-Syndrom ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl gesundheitlicher Probleme, die noch mehr als drei Monate nach einer Corona-Infektion fortbestehen können. Die aktuelle Studie konzentriert sich auf einen Ausschnitt dieser Symptomatik, konkret auf neurologische Beschwerden. „Wir möchten dieses Krankheitsbild besser verstehen und damit den Weg für eine effektivere Behandlung bereiten,“ erläutert Joachim Schultze, Direktor für Systemmedizin am DZNE und Professor an der Universität Bonn. „Unsere Studie richtet sich an Personen, deren geistige Leistungsfähigkeit im zeitlichen Zusammenhang mit einer Corona-Infektion nachgelassen hat. Das kann Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen beinhalten, aber auch andere Symptome, die auf eine Beeinträchtigung der Hirnfunktion hinweisen. Wie etwa Wortfindungsstörungen oder Schwierigkeiten, komplexe Handlungen zu planen und umzusetzen.“
Immunsystem im Fokus
Die Ursachen derlei Nachwirkungen einer Corona-Infektion sind bislang ungeklärt. Das Team um Schultze verfolgt jedoch einen konkreten Verdacht. „Nach heutigem Kenntnisstand erreicht das Corona-Virus in der Regel nicht das Gehirn. Daher vermuten wir, dass es indirekt betroffen ist. Und zwar durch die Reaktion des Immunsystems auf die Corona-Infektion. Die Immunantwort setzt massenhaft entzündliche Botenstoffe frei. Diese können ins Gehirn gelangen und sozusagen Kollateralschäden auslösen, selbst wenn das Virus nicht bis dahin vordringt“, sagt Schultze. Auch wenn eine Corona-Infektion schon länger zurückliege, könne das Immunsystem noch in einem anomalen Zustand sein, meint er.
Molekularer Fingerabdruck
Mit modernster Technik will das Forschungsteam diesen Ursachen auf den Grund gehen. Eine zentrale Rolle spielen dabei Blutproben der Studienteilnehmenden. „Wir schauen uns mit sogenannter Transkriptomik die Aktivität der weißen Blutkörperchen an, also die Aktivität der Immunzellen des Blutes, und erstellen daraus eine Art molekularen Fingerabdruck“, so Schultze. „Damit können wir krankheitsbedingte Veränderungen des Immunsystems feststellen, die konventionelle Labortechnik nicht erfassen kann.“
Zur Studienteilnahme
„Für Probandinnen und Probanden beinhaltet die Studienteilnahme eine umfassende Untersuchung ihrer kognitiven Fähigkeiten, die Entnahme von Blut und gegebenenfalls von Nervenwasser aus dem Rücken“, so Prof. Gabor Petzold, Neurologe am UKB und Leiter des klinischen Studienteams. Dafür sind innerhalb eines Jahres insgesamt drei Besuche am UKB erforderlich. Damit relevante Änderungen des Immunsystems von Erkrankten identifiziert werden können, bedarf es neben Patientinnen und Patienten auch der Untersuchung sogenannter Kontrollprobanden, die eine Corona-Infektion durchgemacht haben, aber keine neurologischen Symptome in Folge der Infektion aufweisen. Interessierte an einer Teilnahme erreichen das Studienteam über die Website www.neurocov.de.
Europäischer Verbund: Die Studie ist Bestandteil der Aktivitäten des europäischen Forschungskonsortiums NeuroCOV, das vom DZNE geleitet wird. Fachleute verschiedener Disziplinen arbeiten in diesem Rahmen länderübergreifend zusammen, um die neurologischen und psychiatrischen Nachwirkungen einer Corona-Infektion zu entschlüsseln. In Deutschland ist auch die Charité – Universitätsmedizin Berlin beteiligt, in Italien das Forschungszentrum „Human Technopole“, das mit zwei Mailänder Kliniken kooperiert. Neben klinischen Studien finden in Italien auch Laboruntersuchungen an künstlichem Hirngewebe – sogenannten Hirnorganoiden – statt. Der Projektverbund wird von der Europäischen Union gefördert.
Über das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE): Das DZNE ist ein Forschungsinstitut für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und ALS, die mit Demenz, Bewegungsstörungen und anderen schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Gesundheit einhergehen. Bis heute gibt es keine Heilung für diese Erkrankungen, die eine enorme Belastung für unzählige Betroffene, ihre Familien und das Gesundheitssystem bedeuten. Das DZNE hat zum Ziel, neuartige Strategien der Vorsorge, Diagnose, Versorgung und Behandlung zu entwickeln und in die Praxis zu überführen. Es hat bundesweit zehn Standorte und kooperiert mit Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen im In- und Ausland. Das DZNE wird staatlich gefördert, es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung.