Dem Klimawandel entgegentreten und Allergien vorbeugen
Prof. Claudia Traidl-Hoffmann erklärt, wie der Klimawandel auf unsere Gesundheit wirkt. Vor allem die Prävention allergischer Erkrankungen wie Heuschnupfen und Neurodermitis sind Fokus der Umweltmedizinerin.
Prof. Claudia Traidl-Hoffmann will verstehen, welche Umweltfaktoren uns krank machen und welche Schutzfaktoren uns gesund halten. Ihr Fokus liegt auf Erkrankungen, die aufgrund des Klimawandels häufiger auftreten oder stärkere Symptome haben. Der klinische Schwerpunkt liegt auf chronisch entzündlichen Erkrankungen, wie Allergien und Neurodermitis. Das übergeordnete Ziel ihrer Arbeit ist die Prävention und Therapie von umweltbedingten Erkrankungen – sie möchte die Resilienz gegenüber Klimaveränderungen stärken.
„One Health“ wird oft zusammen mit dem Klimawandel genannt – was bedeutet das?
CTH: Der Mensch beeinflusst das Klima und der Klimawandel als Folge uns Menschen und die Umwelt. Die Auswirkungen von Veränderungen in Ökosystemen wirken wiederherum auf uns – man kann das nicht voneinander getrennt betrachten: Auf uns Menschen wirkt letztendlich alles ein: Luftschadstoffe, Nahrungsmittel und als ein möglicher Faktor auch der Klimawandel.
Wie wirkt der Klimawandel auf unsere Gesundheit?
CTH: Der Klimawandel wirkt sich beispielsweise auf Herz-Kreislauferkrankungen, Lungenerkrankungen und Diabetes aus. Ich beschäftige mich vor allem mit den Zusammenhängen von Klimaveränderungen und allergischen Erkrankungen wie Heuschnupfen und Neurodermitis.
Wie beeinflussen Klimaveränderungen Allergien?
CTH: Der Klimawandel ist ein Faktor, der die Allergien zunehmen lässt, der Menschen mit Allergie mehr leiden lässt. Er wirkt auf zwei Arten: Er wirkt auf Ökosysteme: er hat Auswirkungen auf Pflanzen und auf Pollen und diese Veränderungen wirken sich auch auf unsere Gesundheit aus. Was den Klimawandel auslöst, macht uns aber auch selbst empfänglicher für Allergien – zum Beispiel lenken Luftschadstoffe unser Immunsystem in Richtung einer höheren Empfindlichkeit und Empfänglichkeit für Allergien.
Welche Effekte hat der Klimawandel auf die Umwelt?
CTH: Wir sehen vier Effekte: Erstens die Pollensaison wird länger. Zweitens Wir haben mehr Pollen – CO2 ist ein Wachstumsfaktor – auch für Pollen. Zusätzlich wird der Pollen selbst aggressiver: Ein Pollen, der während des Wachstums mit mehr Kohlendioxid umgeben ist, setzt mehr von den speziellen Eiweißen – sogenannten Allergenen – frei, die letztendlich eine Allergie auslösen. Als vierten Punkt haben wir auch noch neue Pollen: zum Beispiel Pollen von Ambrosia, dem Beifußblättrigen Traubenkraut.
Ambrosia wird oft im Zusammenhang mit dem Klimawandel genannt. Warum?
CTH: Ambrosia zeigt anschaulich wie der Klimawandel sich auf das Ökosystem auswirkt: Ambrosia hat sich neu in Deutschland angesiedelt, seitdem es dauerhaft mildere Temperaturen gibt. Jede Ambrosia-Pflanze kann bis zu einer Milliarde Blütenpollen abgeben, und diese Pollen sind zudem deutlich aggressiver als der Blütenstaub heimischer Pflanzen. Schon eine Konzentration von mehr als zehn Pollenkörnern pro Kubikmeter Luft kann heftige allergische Reaktionen auslösen. Wenn Sie diesen aggressiven Pollen unter dem Elektronenmikroskop anschauen, erkennen Sie optische Ähnlichkeiten mit dem Corona-Virus: Es sieht aus wie eine stachelige Kugel. Die Eiweiße von Ambrosia sind sehr klein und können bis tief in die Lungen eindringen und starke allergische Reaktionen auslösen. Das verursacht nicht nur einen Schnupfen, sondern sogar allergisches Asthma.
Welche Umweltfaktoren triggern unser Immunsystem in Richtung Allergie?
CTH: Das sind sogenannte ultrafeine Partikel, also feinste Teilchen, wie sie unter anderem im Dieselruß vorkommen, aber auch andere Luftschadstoffe wie Stickoxid und Ozon. All diese Faktoren entstehen aus Verbrennungen, vor allem durch den Straßenverkehr in den Städten.
Experten-Wissen: Ultrafeine Partikel
Ultrafeine Partikel (UFP) sind sehr kleine Teilchen in der Luft, mit einem Durchmesser von weniger als 0.1 µm (100 nm).
Im Detail: Was bewirken die Luftschadstoffe?
CTH: Unsere Schleimhäute sind eigentlich eine wunderbare Barriere für Schadstoffe oder aber auch für Pollen und die Substanzen, die von Pollen freigesetzt werden. Luftschadstoffe führen jedoch unter anderem dazu, dass sich die Schleimhäute entzünden und infolge undicht werden. Jetzt können Allergene wie die Eiweiße von Pollen durch die Schleimhäute in den Körper eindringen und unser Immunsystem alarmieren und in Richtung Allergie lenken. Das heißt also, erst wird der Weg gebahnt und dann kann eine Allergie entstehen.
Während Hitzeperioden werden viele Menschen auf das Thema Klimawandel aufmerksam. Wie beurteilen Sie als Umweltmedizinerin diese Blitzlichtaufmerksamkeit – auch in den Medien?
Klimaveränderungen machen sich das ganze Jahr über bemerkbar, nur eben nicht so medienwirksam. Und für Menschen mit Allergie sind es eben oft nicht diese Kurzzeitereignisse, die ihr Leben erschweren. Das und auch, dass eine allergische Erkrankung keine Bagatelle ist, sollte unbedingt im öffentlichen Bewusstsein sein.
Wir zahlen in Europa bis zu 151 Milliarden € pro Jahr an sozioökonomischen Kosten für die Allergie – dazu gehört natürlich auch der Arbeitsausfall. Denn Menschen, die sich wegen allergischer Symptome nicht konzentrieren können, können nicht arbeiten. Mein Ziel ist es, Möglichkeiten zu erforschen, den Körper gegenüber dem Klimawandel widerstandsfähig zu machen.
CTH: Neben Heuschnupfen ist auch Neurodermitis eine Erkrankung, die im Zusammenhang mit Allergien steht, und die durch den Klimawandel – vor allem die Hitze – verstärkt wird. Bei Hitze flammt eine Neurodermitis richtig auf!
Neurodermitis ist die erste atopische Erkrankung im Lebensverlauf: Sie ist das Einfallstor für die Entstehung von Allergien, weil sie die Hautbarriere wie zuvor beschrieben durchlässig für Allergene macht. Als Wissenschaftlerin sehe ich Neurodermitis als eine Schaltstelle, an der ich – bei frühzeitiger und fachgerechter Behandlung – die Entstehung von Allergien zukünftig verhindern kann. Prävention zu schaffen, ist mein Motivationsmotor und ich bin dankbar im Forschungsumfeld von Helmholtz Munich die Möglichkeit zu haben, vorbeugende Maßnahmen erforschen zu können. Denn: Prävention kostet.
Betroffene haben oft einen hohen Leidensdruck – was raten Sie?
CTH: Jede:r sollte wissen, dass viele Allergien therapierbar sind: Die spezifische Immuntherapie, auch Hyposensibilisierung genannt, ist eine ursächliche Behandlung, die nicht nur Symptome lindert. Helmholtz Munich bietet Betroffenen mit dem Online-Portal Allergieinformationsdienst geprüfte Informationen zu den Bereichen: Prävention, Diagnose, Therapie sowie zu neuen Forschungserkenntnissen im Bereich Allergie. Denn fachkundiges Wissen hilft, eigenverantwortlich mit einer allergischen Erkrankung zu leben.