Bauchaortenaneurysma: Lebensbedrohliche Gefahr schneller identifizieren
Forschungslabor der Frankfurt UAS entwickelt Methoden zur Bewertung von Krankheitsverlauf und Rupturrisiko von Bauchaortenaneurysmen
Seit wenigen Wochen ist es offiziell: Die Aorta kann als eigenständiges Organ klassifiziert werden. Durch diese neue Einstufung der Hauptschlagader empfehlen Wissenschaftler*innen, ein eigenes Fachgebiet für die Erforschung und Behandlung der Aorta einzuführen, welches sich deutlich von der Kardiologie und der Gefäßchirurgie abgrenzt. Auch neue Behandlungs- und Umgangsweisen könnten sich durch diesen Schritt ergeben, die die Rupturrisikobewertung von Aortenaneurysmen erleichtern. Aortenaneurysmen sind lokale Aussackungen der Aorta, die durch eine degenerative Veränderung der Aortenwand verursacht werden und unter dem Einfluss des Blutdrucks zum Reißen der Gefäßwand führen können, einem für die Betroffenen katastrophalen Ereignis mit hoher Mortalität.
Forschende der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) begrüßen die Einstufung als eigenständiges Organ, da hierdurch die interdisziplinäre Betrachtung der Aorta weiter gefördert wird.
Seit mehr als zehn Jahren befassen sich Forschende des Labors für Biomechanik der Hochschule in Zusammenarbeit mit der Gefäß- und Endovascularchirurgie des Klinikums der Goethe-Universität Frankfurt insbesondere mit der Charakterisierung der mechanischen Materialeigenschaften als Biomarker für den Krankheitsfortschritt von Bauchaortenaneurysmen (BAA), der häufigsten Form des Aneurysmas. Neue Forschungsergebnisse zeigen nun, dass die zyklische Verformung der Aortenwand zusätzliche, eigenständige Einblicke in den Krankheitszustand von Aneurysmen liefert, die über den Informationsgehalt durch bereits etablierte Methoden hinausgehen.
„Rund 3 Prozent der über 65- bis 70-jährigen Männer und 1 Prozent aller Frauen der gleichen Altersgruppe in Westeuropa und den USA sind von einem Aneurysma betroffen. Diese Erkrankung der Aorta verläuft zwar in vielen Fällen symptomfrei, eine plötzliche Ruptur, also ein Riss, kann jedoch lebensbedrohlich sein; rund 10.000 Personen in Deutschland sterben jedes Jahr an den Folgen eines Aneurysmas“, erklärt Prof. Dr. Armin Huß, Professor für Technische Mechanik, Technische Schwingungslehre und Finite Elemente Methode sowie Leiter des Labors für Biomechanik.
„Bauchaortenaneurysmen beginnen mit einer degenerativen Veränderung der Materialeigenschaften der Aortenwand. Im weiteren Verlauf kann sich die Wand wieder stabilisieren – oder bis zur Ruptur weiter schwächen, der Unterschied beider Krankheitsverläufe besteht in den Materialeigenschaften der Wand, die im Gegensatz zu technischen Materialien nicht ein für alle Mal feststehen, sondern vom Körper beständig remodelliert werden. Dennoch sind die klinisch etablierten Kriterien für eine chirurgische Behandlung oder weitere Beobachtung eines Bauchaortenaneurysmas der maximale Durchmesser und seine Wachstumsrate, nicht die individuellen Materialeigenschaften, weil es bislang nicht möglich war, diese Patient*innen individuell zu bestimmen“, erläutert Dr. Christopher Blase vom Labor für Biomechanik. „Gemeinsam mit unseren klinischen Partnern hat unsere Forschungsgruppe die zeitaufgelöste dreidimensionale Verformungsmessung der Aneurysmenwandbewegung am lebenden Menschen mit Ultraschall weltweit erstmals etabliert.“
„Basierend auf diesen neuartigen Daten haben wir Methoden entwickelt, die die Bestimmung der individuellen Materialeigenschaften der Wand erlauben.“ ergänzt Dr. Andreas Wittek. „Damit stehen zusätzliche Informationen zur Beobachtung und Einschätzung des Krankheitsverlaufs und möglicherweise zur präziseren Einschätzung des Rupturrisikos zur Verfügung.“
„Um eine genaue Einschätzung des persönlichen Rupturrisikos vornehmen zu können, ist es umso wichtiger die Materialeigenschaften beziehungsweise Verformungen jeder Aorta individuell zu lesen“, betont Manuel Schönborn, neben Achim Hegner einer von zwei Doktoranden von Prof. Huß, die aktuell in der Forschungsgruppe an diesem Thema forschen. Ziel ihrer Arbeiten ist die Weiterentwicklung und Validierung der bislang entwickelten Methoden. „Möglicherweise kann so ein neues Risikokriterium für die Aortenruptur vorgeschlagen werden, welches Chirurg*innen zusätzlich herbeiziehen können, um BAA-Krankheitsverlauf und Rupturrisiko individuell, kostengünstig und nicht-invasiv bewerten zu können. Die Anwendung dieser Methode kann dazu beitragen, unnötige Operationen zu vermeiden und lebensbedrohliche Situationen besser einzuschätzen. Die Ultraschalluntersuchung kann zusätzlich zur seit langem etablierten Messung des maximalen BAA-Durchmessers Informationen über die individuellen Gewebeeigenschaften der erkrankten Aortenwand geben, um die Gefahr einer lebensbedrohlichen Ruptur der Wand zuverlässiger prognostizieren zu können“, schließt Prof. Armin Huß.
Das Forschungsprojekt entstand im Rahmen des Teilprojekts „Vascular Mechanics“ unter Leitung von Dr. Christopher Blase und unter Mitarbeit von Dr. Andreas Wittek des LOEWE-Schwerpunkts Präventive Biomechanik. Der LOEWE-Schwerpunkt war eine Kooperation der Frankfurt UAS mit der Goethe-Universität Frankfurt und der Philipps Universität Marburg unter Federführung der Frankfurt UAS. Blase und Wittek waren mit ihrer Forschung weltweit die ersten, die den sogenannten 4D-Ultraschall Strain für Aortenanalysen etabliert haben.
Um eine noch zuverlässigere Methode zur Rupturrisikobewertung eines BAA zu entwickeln, hat die Forschungsgruppe in Zusammenarbeit mit Forschenden der Klinik für Gefäß- und Endovascularchirurgie des Universitätsklinikums Frankfurt am Main sowie der Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie des Universitätsklinikums Heidelberg jüngst eine Studie mit 22 Proband*innen mit BAA durchgeführt. Zur Untersuchung haben die Wissenschaftler*innen eine bisher übliche Computertomographie-Angiographie basierte Methode mit dem 4D-Ultraschall Strain Imaging verglichen. „Wir konnten feststellen, dass die Verformungs- und Belastungsanalysen unabhängige biomechanische Informationen über BAA liefern. Im derzeitigen Entwicklungsstadium werden die beiden Methoden als komplementär angesehen und könnten in Zukunft eine patientenspezifischere Rupturrisikovorhersage optimieren“, erklärt Schönborn, der als Co-Autor an der Studie mitwirkte.
„Die theoretischen Modelle der Kontinuumsbiomechanik beschreiben grundsätzlich den funktionalen Zusammenhang von Belastung und Verformung. Im Rahmen unserer Studie haben wir also einen korrelativen Zusammenhang zwischen den voneinander unabhängig gemessenen Belastungs- und Verformungsgrößen erwartet. Das Interessante dabei ist, dass dieser unter den bestehenden Modellierungsannahmen nicht bestätigt werden konnte. Das bedeutet, dass Gefäßchirurg*innen und Biomechaniker*innen weltweit zusätzlich zu ihren etablierten Methoden auch 4D-Ultraschallmodelle in Betracht ziehen sollten, um zusätzliche, am lebenden Menschen gemessene Verformungsdaten der Aorta in ihre Rupturrisikobewertung einzubeziehen“, so Schönborn abschließend.
Die detaillierten Ergebnisse der Studie werden in Kürze in einem Fachbeitrag unter dem Titel „Correlation of 4D ultrasound strain analysis with CTA wall stress simulations in abdominal aortic aneurysms“ im Journal of Vascular Surgery veröffentlicht.