MHH-Kardiologie implantiert neueste Generation selbstauflösender Stents
Implantate aus Magnesium stützen Herzkranzgefäße und halten sie offen.
Verengte Herzkranzgefäße bergen Gefahren: Weil das Herz nicht richtig durchblutet wird, kann es zu Schmerzen, Herzrhythmusstörungen, Herzschwäche und plötzlichem Herztod kommen. Eine Möglichkeit, eine Engstelle in einem Gefäß zu beseitigen, ist die Implantation eines Stents. Dabei wird minimalinvasiv ein kleines Gitternetzröhrchen in das Gefäß gesetzt. Bisher waren alle Stents aus Metall und verblieben im Körper, je nach Lebensalter manchmal jahrzehntelang. Dies hat verschiedene Nachteile, schien bisher aber unvermeidlich. Eine bahnbrechende Innovation sind daher selbstauflösende Stents. Die Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) ist auf dem Gebiet ganz vorn dabei. Dort wurde einem Patienten jetzt ein neuartiger resorbierbarer Stent der Firma Biotronik eingesetzt. Es war weltweit die zweite Implantation dieser Art.
Arterie erlangt natürliche Funktion zurück
Ein Stent stellt den Blutfluss in der ursprünglich verengten Herzkranzarterie wieder her. Er hält das Gefäß offen und stützt die Gefäßwand. Im Gegensatz zu Stents aus Metall, die im Körper verbleiben, lösen sich bioresorbierbare Stents von selbst auf und verschwinden. Dr. L. Christian Napp sieht darin einen deutlichen Fortschritt: „Selbstauflösende Gefäßstützen sorgen dafür, dass die Arterie ihre natürliche Funktion inklusive der Beweglichkeit der Gefäßwand zurückerlangt“, erklärt der Geschäftsführende Oberarzt und Leiter des Herzkatheterlabors der Klinik für Kardiologie und Angiologie. „Das ist ein großer Vorteil für den Fall, dass die Arterienverkalkung insgesamt fortschreitet und zu einem späteren Zeitpunkt weitere Eingriffe an den Herzkranzgefäßen vorgenommen werden müssen.“ Aus diesem Grund eignen sich selbstauflösende Stents besonders gut für jüngere Patientinnen und Patienten.
Stent aus Magnesium
Das neuartige Modell namens Freesolve besteht fast ausschließlich aus Magnesium, das im Körper ohnehin vorhanden ist. Der Stent löst sich über einen Zeitraum von etwa zwölf Monaten auf, und gibt gleichzeitig ein Medikament ab, das die Gefäßwandheilung fördert und Wiederverengungen verhindert. Der Magnesiumstent sieht aus wie ein kurzes schlauchförmiges Gittergerüst. Da er sehr dünne und fein gearbeitete Streben hat, lässt es sich sehr gut implantieren und optimale Heilung und Auflösung erwarten.
Erblich vorbelastet
Kubilay C. aus Neustadt ist der erste Patient, dem in der Klinik für Kardiologie und Angiologie der neuartige Stent eingesetzt wurde. Der 48-Jährige ist sportlich, raucht nicht und lebt gesund – hat aber ein familiäres Risiko für Arteriosklerose, also Arterienverkalkung. „Auch bei meinem Vater und meinem Onkel tauchten die Beschwerden auf“, sagt Kubilay C. Bei ihm machte sich die Erkrankung im Dezember 2022 erstmals deutlich bemerkbar. „Ich bekam auf der Arbeit plötzlich anhaltendes Herzrasen“, erinnert sich der Pharmakant. Es folgten Untersuchungen im Krankenhaus, beim Hausarzt und beim niedergelassenen Kardiologen. Wie sich herausstellte, waren drei Herzkranzgefäße verengt. Der Kardiologe überwies Kubilay C. zur Weiterbehandlung in die MHH. Im Juli 2023 implantierte ihm Dr. Napp den ersten Stent, ein ebenfalls selbstauflösendes Vorgängermodell von Freesolve. „Nachdem wir mit dem Vorgänger gute Erfahrungen gemacht hatten, entschieden wir uns beim zweiten Mal für Freesolve“, erklärt Dr. Napp. Am 22. Februar dieses Jahres war es so weit. Der Eingriff erfolgte minimalinvasiv unter örtlicher Betäubung. „Zu Beginn kontrollierten wir den Stent aus dem vergangenen Jahr – er war bereits fast nicht mehr zu erkennen, da die Auflösung nahezu abgeschlossen war.“
„Bin wesentlich fitter“
Nach einer Nacht in der Klinik konnte der Familienvater wieder nach Hause. Die dritte Stent-Implantation hat er zwar noch vor sich, doch fühlt er sich schon sehr viel besser als vor den Eingriffen. „Vor allem beim Sport merke ich, dass ich wesentlich fitter und nicht so schnell außer Atem bin. Ich könnte stundenlang trainieren“, stellt Kubilay C. fest. Auch sein dritter Stent wird ein Freesolve werden.
Neue Möglichkeit für viele Patientinnen und Patienten
Durch die Implantation von Stents bleiben Kubilay C. wesentlich belastendere Bypass-Operation erspart. „Mit den neuen selbstauflösenden Stents sind wir an einem Punkt angelangt, an dem Gefäßstützen aus Metall zumindest teilweise abgelöst werden können“, meint Dr. Napp. Klinikdirektor Professor Dr. Johann Bauersachs sieht das genauso: „Selbstauflösende Stents werden sich für sehr viele Patientinnen und Patienten eignen. Das wird die Zukunft sein.“
Text: Tina Götting