Vorhersage und Prävention sind der Schlüssel zur Bekämpfung von Typ-1-Diabetes
Prof. Anette-Gabriele Ziegler über ihren Beitrag zu neuen Therapien für Typ-1-Diabetes.
Prof. Anette-Gabriele Ziegler erforscht Mechanismen von Typ-1-Diabetes und Marker, die diese chronische Erkrankung im frühen Kindesalter anzeigen.
Ihr Ziel ist es, den Ausbruch von Typ-1-Diabetes hinauszuzögern – auf lange Sicht will sie den Beginn der Autoimmunität ganz verhindern.
Warum konzentrieren Sie sich vor allem auf die Prävention von Typ-1-Diabetes?
AZ: Typ-1-Diabetes ist eine der häufigsten chronischen Krankheiten im Kindesalter und die häufigste Stoffwechselerkrankung. Trotz aller fantastischen Entwicklungen im Bereich der Glukosemessung und der Insulininjektionsgeräte ist diese Erkrankung nach wie vor eine große Belastung und Herausforderung für Betroffene und deren Familien. Deshalb brauchen wir Therapien, die die klinische Manifestation dieser Krankheit hinauszögern oder verhindern können. Basis hierfür sind eine frühzeitige Diagnose und die Möglichkeit, das Risiko für die Veranlagung für Typ-1-Diabetes zu bestimmten.
Zu Beginn Ihrer Karriere: Was war Ihr Ziel?
AZ: Zu Beginn meiner Forschung in diesem Bereich, sollte ich an einer weltweit ersten Immuntherapie-Studien mitarbeiten: Patient:innen mit Typ-1-Diabetes wurden hier mit Cyclosporin A behandelt – einem Medikament, das eine dämpfende Wirkung auf das Immunsystem hat. Diese Studie hat mich begeistert: Sie war der Beginn der Erkenntnis, dass Typ-1-Diabetes nicht nur eine Stoffwechselerkrankung, sondern auch eine Autoimmunerkrankung ist und dass es möglicherweise andere Behandlungsmöglichkeiten als Insulin gibt.
Typ-1-Diabetes in Kürze
Typ-1-Diabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung bei Kindern und Jugendlichen – kennzeichnend ist ein Insulinmangel. Insulin ist wichtig für den Transport von Glukose aus dem Blut in die Zellen. Patient:innen mit Typ-1-Diabetes müssen ihrem Körper täglich Insulin zuführen, um zu überleben.
Welche Erkenntnisse haben Sie seither gewonnen?
AZ: Wir verstehen jetzt viel besser, wie die Krankheit entsteht, und in den USA (in Europa noch nicht zugelassen) haben wir eine erste immunmodifizierende Therapie, die den Ausbruch von Typ-1-Diabetes hinauszögert. Dieses Medikament ist ein Meilenstein in der Diabetesforschung und in meiner Karriere: Wir haben jetzt etwas zur Verfügung, das die Insulinbehandlung ergänzen könnte – wir können nun den Verlauf des Typ-1-Diabetes verändern und damit einen großen Beitrag zur Prävention leisten.
Eine weitere wichtige Erkenntnis war, dass der Autoimmunprozess bereits in den ersten beiden Lebensjahren, beginnt. Es gibt also ein Zeitintervall, in dem das Risiko, eine Autoimmunerkrankung wie Typ-1-Diabetes zu entwickeln, erhöht ist; danach nimmt das Risiko mit dem Alter deutlich ab. Darum ist ein frühes Screening im Vorschulalter und die Möglichkeit, ein erhöhtes Risiko für Typ-1-Diabetes bereits bei Geburt zu entdecken, sehr wichtig.
Was ist Autoimmunität?
Autoimmunität ist ein Prozess, bei dem das Immunsystem fälschlicherweise normale Bestandteile eines Menschen angreift. Bei Typ-1-Diabetes greifen die Immunzellen die insulinproduzierenden Betazellen an, sodass diese nur noch unzureichend Insulin produzieren. Menschen mit Typ-1-Diabetes haben daher einen chronischen Insulinmangel und benötigen eine lebenslange Insulintherapie.
Welche Ziele verfolgen Sie konkret mit der Früherkennung von Typ-1-Diabetes?
AZ: Unsere Fr1da-Studie zeigt deutlich, dass das Risiko für schwere Stoffwechselereignisse wie die diabetische Ketoazidose und die psychische Belastung für die Betroffenen und ihre Familien deutlich reduziert werden kann, wenn die Krankheit so früh wie möglich diagnostiziert und behandelt wird. Deshalb haben wir 2015 das Fr1da-Screening in Bayern eingeführt. Fr1da ist ein Gesundheitsscreening, in dem nach frühen Markern, sogenannten Inselautoantikörper, für eine Autoimmunität gesucht wird. Das Screening ermöglicht es uns, Kinder in einem sehr frühen Stadium von Typ-1-Diabetes zu erkennen – zu einem Zeitpunkt, bei dem der Autoimmunprozess bereits begonnen hat, die Kinder aber noch keine typischen Symptome haben.
Unser Ziel: Wir wollen die klinische Versorgung verbessern und mit Medikamenten wie dem immunmodifizierenden Teplizumab die klinische Manifestation der Krankheit hinauszögern.
Was ist eine diabetische Ketoazidose?
Die diabetische Ketoazidose ist eine ernste Komplikation des Diabetes mellitus, die durch Insulinmangel verursacht wird. Die Symptome sind: Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen, gefolgt von Muskelkrämpfen, Herzklopfen, Bauchschmerzen und einem sogenannten ketoazidotischen Koma.
Was waren Ihre nächsten Schritte und Erkenntnisse?
AZ: Die Erkenntnis, dass die ersten Lebensjahre das Zeitfenster sind, in dem das Risiko für die Entwicklung von Autoimmunität besonders hoch ist, brachte mich und mein Team dazu, Studien zu entwickeln, die die Mechanismen der Krankheitsentstehung aufklären.
Wir haben herausgefunden, dass wiederholte frühkindliche Atemwegsinfektionen und Entzündungen das Risiko für Inselautoimmunität erhöhen und dass es vor dem Beginn der Autoimmunität bereits zu leichten Anhebungen des Blutzuckerspiegels kommt. Das könnte darauf hindeuten, dass es äußere Faktoren sind, die die Betazellen schädigen und verändern und erst diese Veränderungen dann den Autoimmunprozess triggern.
GPPAD steht für Global Platform for the Prevention of Autoimmune Diabetes. Ziel der Plattform ist es, eine internationale Infrastruktur für Studien zur Verhinderung der Entstehung von Typ-1-Diabetes bereitzustellen. Neun Standorte in fünf europäischen Ländern verfolgen die Vision einer Welt ohne Typ-1-Diabetes.
Ziele von GPPAD sind die Identifizierung von Säuglingen mit einem erhöhten genetischen Risiko für die Entwicklung von Typ-1-Diabetes und die Durchführung von Studien zur Primärprävention mit dem Ziel, das Auftreten von Inselautoimmunität und Typ-1-Diabetes bei Kindern zu verringern.
Welcher externe Faktor könnte die Autoimmunität auslösen?
AZ: Wir halten Virus-Infektionen für einen möglichen umweltbedingter Auslöser für Autoimmunität: Eine Reihe von Geburtskohortenstudien wie die BABYDIAB-, die TEDDY- und die DIPP-Studie haben gezeigt, dass frühkindliche Virusinfektionen mit einem erhöhten Risiko für Typ-1-Diabetes verbunden sind. Die jüngste COVID-19-Pandemie hat Hinweise darauf geben, dass auch das Coronavirus SARS CoV-2 ein Auslöser sein könnte: Bei Kindern mit einem hohen genetischen Risiko für Typ 1 Diabetes verdoppelt eine COVID-19-Infektion die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder Autoantikörper gegen die Inselzellen entwickeln. Das zeigte die POInT-Studie, bei der Kinder vor und während der Pandemie untersucht wurden. Darüber hinaus ist das Risiko, eine Autoimmunität zu entwickeln, etwa fünfmal höher, wenn Kinder in einem sehr jungen Alter infiziert werden.
Unsere Idee ist es daher nun, im Rahmen von GPPAD zu testen, ob eine Impfung gegen das Coronavirus SARS CoV-2 im ersten Lebensjahr einen Einfluss auf die Entwicklung von Typ-1-Diabetes bei den Kindern mit einem sehr hohen genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes, hat.
AVAnT1A ist der Name der hierzu kürzlich gestarteten Präventionsstudie. Wir sind aktuell dabei, Kinder mit einem hohen Risiko für Typ-1-Diabetes auf der Grundlage von Freder1k, dem Neugeborenen-Screening aufzunehmen.
AVAnT1A: Was bedeutet das?
AVAnT1A steht für Antivirale Aktion gegen Autoimmunität bei Typ-1-Diabetes. Es ist die dritte Interventionsstudie von GPPAD. Ziel dieser Präventionsstudie ist es, zu untersuchen, ob eine Impfung gegen SARS-CoV-2 im ersten Lebensjahr Kinder mit einem erhöhten genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes vor der Entwicklung einer Autoimmunität schützen kann.
Die Studie soll auch dazu beitragen, Zusammenhänge von Viren und Typ-1-Diabetes besser zu verstehen und zu bewerten, welchen Einfluss Viren im zeitlichen Verlauf haben. Hierfür werden Stuhl- und Speichelproben der teilnehmenden Kinder gesammelt.<
Ihre Erkenntnisse wären ohne die Hilfe der Kinder nicht möglich gewesen…
AZ: Deshalb gibt es die Aufklärungskampagne K1DS ARE HEROS! Denn: Typ-1-Diabetes beeinflusst das Leben dieser Kinder tagtäglich – trotzdem und zusätzlich unterstützen sie die Entwicklung neuer Medikamente. Das würdigen wir mit größtem Respekt und Dankbarkeit!