Essensverzicht schadet beim Versuch, Gewicht zu verlieren
Hungern kann langfristig übermäßiges Essen begünstigen: Es bringt das Langzeitgedächtnis dazu, eine erhöhte Kohlenhydrataufnahme als besonders belohnend abzuspeichern / Veröffentlichung in „eLife“
Mithilfe von Verhaltensexperimenten an der Taufliege Drosophila melanogaster hat ein Forschungsteam am Institut für Zoologie der Universität zu Köln die Steuerung der Nahrungsaufnahme im Gehirn untersucht. Ähnlich wie beim Menschen regulieren bei der Taufliege insulinähnliche Moleküle die Nahrungsaufnahme. Diese wird unter anderem von einem Neurotransmittersystem beeinflusst, das Entscheidungen vermittelt. Das System verwendet den Botenstoff Oktopamin, ein dem Noradrenalin verwandtes Molekül. Der Botenstoff bestimmt, ob die Erinnerungen an die Aufnahme von Kohlenhydraten im Lang- oder im Kurzzeitgedächtnis abgespeichert wird. Diese Entscheidung wird in Abhängigkeit von internen Energiereserven getroffen, was wiederum einen entscheidenden Einfluss auf das Essverhalten in der Zukunft hat. Die Studie unter der Leitung von Professorin Dr. Henrike Scholz ist unter dem Titel „Octopamine integrates the status of internal energy supply into the formation of food-related memories“ in der Fachzeitschrift eLife erschienen.
Die Forschenden untersuchten, wie sich bei der Taufliege mildes Fasten und ein reduzierter Glykogenspiegel im Fettgewebe und in den Muskeln auf die Wahrnehmung von Kohlenhydraten auswirken. Die Speicherform der Glukose, das Glykogen, wird im Fettgewebe eingelagert und zu einem großen Teil als Energie in den Muskeln verbraucht. Die Informationen über die Energievorräte dieser Gewebe werden von dem Oktopamin in das Entscheidungssystem integriert und beeinflussen die Bildung eines Gedächtnisses über eine mögliche Futterquelle.
Frühere Studien haben gezeigt, dass Überernährung bei Tieren und Menschen zu einem erhöhten Glykogenspiegeln führen kann. In dem Experiment hatten die Taufliegen durch genetische Modifikationen einen höheren Glykogenspiegel. Bei Fasten bewirken die erhöhten Energiereserven die Bildung eines sehr stabilen Gedächtnisses, das nicht vergeht, wenn erneut Nahrung aufgenommen wird. Dies ist auch der Fall, wenn der Nährwert der nächsten Mahlzeit eigentlich ausreichend ist, um die Defizite, die durch das Fasten entstanden sind, wieder auszugleichen. Das Gedächtnis „triggert“ eine erhöhte Nahrungsaufnahme.
Bei einem sehr hohen Glykogenspiegel führte die Aufnahme von Kohlenhydraten im Experiment zudem lediglich zu einer geringen Belohnungswirkung im Gehirn. Die weniger belohnende Wirkung der Nahrungsaufnahme befeuerte somit das Bedürfnis, weiter zu fressen. Erfolgte die Nahrungsaufnahme in ausreichendem Maße oder war ausreichend Energie im Tier vorhanden, unterdrückte das Entscheidungssystem wiederum die Bildung eines solchen, länger anhaltenden Gedächtnisses bezüglich der Nahrungsquelle. Dies war unabhängig vom Gehalt an Kohlehydraten oder der Proteinanreicherung der Nahrung. Der Glykogenspiegel hatte in der Regel keinen Einfluss darauf, wie die Taufliegen proteinangereicherte Lebensmittel bewerten.
Erinnerung an Kohlenhydrate – früher nützlich, heute schädlich
Das Oktopamin integriert somit je nach Energieniveau die aktuelle Nahrungsaufnahme in die Gedächtnisbildung: Lebensmittel, die normalerweise einen ausreichenden Nährwert bieten, werden nicht mehr als ausreichend lohnend wahrgenommen. In der Folge tritt übermäßiges Essen auf – unabhängig vom Nährwert oder der Art der Nahrung.
„In alten Zeiten, als Nahrung eine begrenzte oder knappe Ressource war, könnte dieser Mechanismus dazu gedient haben, Energiereserven aufzubauen, wenn Nahrung verfügbar war. In Zeiten des Nahrungsüberschusses kann die langanhaltende Erinnerung an eine Kohlenhydratquelle eine übermäßige Nahrungsaufnahme unterstützen – und somit zur Entstehung von Übergewicht beitragen“, sagt Erstautorin Henrike Scholz.
Studien, die einen ähnlichen Mechanismus beim Menschen nachweisen, liegen nicht vor, doch da sich die beteiligten Moleküle bei der Taufliege und beim Menschen stark ähneln, liegt dem Forschungsteam zufolge nahe, dass auch der Mechanismus ähnlich funktioniert. Die Ergebnisse könnten somit erklären, warum es schwierig ist, Gewicht zu verlieren: Wenn die Erinnerung an die belohnende Wirkung von Nahrungsmitteln die belohnende und sättigende Wirkung der tatsächlichen Nahrungsaufnahme überdauert, so kann dies zur erhöhten Nahrungsaufnahme führen. Scholz resümiert: „In Zukunft könnte es wichtig sein herauszufinden, wie man diese langanhaltende Erinnerung löscht, damit das Abnehmen einfacher wird.“
Originalpublikation:
https://doi.org/10.7554/eLife.88247.2