Palliativversorgung: Qualität und Kosten variieren regional stark

Ein neues Datenportal liefert erstmals deutschlandweite Kennzahlen zu Inanspruchnahme, Qualität und Kosten der Hospiz- und Palliativversorgung. Die von Universitätsklinikum Jena und BARMER vorgenommene Datenauswertung zur medizinischen Versorgung am Lebendende zeigt große regionale Unterschiede. Das Projekt wird vom Innovationsausschuss beim G-BA gefördert.

Jena (UKJ). Wenn ein Mensch so schwer erkrankt ist, dass Heilung nicht mehr möglich und seine Lebenserwartung begrenzt ist, dann muss eine angemessene medizinische Versorgung auf die Erhaltung der Lebensqualität in der verbleibenden Zeit zielen. Um diesem Anspruch in Deutschland flächendeckend gerecht zu werden, ist das Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten um neue palliative Versorgungsstrukturen erweitert worden. Dazu gehören Palliativstationen in Krankenhäusern, Hospize und vor allem ambulante Palliativteams. Für diese Teams gelten spezielle Zulassungs- und Vergütungsregelungen, die in Einzelverträgen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern geregelt werden.

Um die Versorgung zu evaluieren, wertete das Universitätsklinikum Jena gemeinsam mit dem BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung auf Basis der BARMER-Routinedaten die Inanspruchnahme, Qualität und Kosten der verschiedenen Versorgungsformen aus. Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss fördert das Versorgungsforschungsprojekt. Im interaktiven Portal des BARMER Institutes sind die aufbereiteten Daten jetzt als pallCompare Monitor öffentlich verfügbar. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Auswertung können Hinweise zur Verbesserung der Palliativversorgung geben.

Ambulante Palliativversorgung: Häufiger spezialisiert als ausschließlich allgemein

Deutschlandweit erhält inzwischen mehr als die Hälfte der ambulanten Patientinnen und Patienten eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Diese SAPV war ursprünglich als Versorgungsform für Fälle mit komplexem Symptomgeschehen und besonderem Zuwendungsbedarf gedacht, kommt jetzt aber bereits in der Mehrzahl der Fälle zum Einsatz. Die Projektleiterin PD Dr. Antje Freytag vom Institut für Allgemeinmedizin des Uniklinikums Jena sieht dafür drei Gründe: „Die patientenseitige Nachfrage nach SAPV steigt, die meist von Hausarztpraxen getragenen allgemeinen Versorgungsstrukturen vor Ort brechen weg und zudem ist es finanziell attraktiv, auch leichte Fälle in die SAPV aufzunehmen.“

Regionale Versorgungsmodelle variieren stark

Die verschiedenen Formen ambulanter und stationärer Hospiz- und Palliativversorgung werden regional sehr unterschiedlich in Anspruch genommen. Auch Qualität, Kosten und Kosteneffektivität der Versorgung variieren regional stark. Während im Zeitraum von 2016 bis 2021 z.B. in Bayern 36,3 Prozent der palliativ versorgten Versicherten im Krankenhaus verstarben, waren es in Westfalen-Lippe nur 23,2 Prozent. Dabei sticht der Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe nicht nur bei diesem Qualitätsindikator für gute palliative Versorgung hervor. Versorgte Menschen erhalten dort in den letzten 30 Lebenstagen auch die wenigsten belastenden Behandlungen, zu denen z.B. Rettungsdiensteinsätze, Krankenhauseinweisungen, Intensivbehandlungen, Chemotherapien oder künstliche Ernährung zählen – und das bei der im Vergleich höchsten Kosteneffektivität.

Westfalen-Lippe: Wie machen die das?

Kennzeichnend für Westfalen-Lippe ist die integrierte Struktur der ambulanten Palliativversorgung, die über einen besonderen Versorgungsvertrag geregelt ist. Während anderswo allgemeine und spezialisierte Palliativversorgung streng getrennt voneinander organisiert und vergütet werden, gibt es in Westfalen-Lippe palliativmedizinische Konsiliardienste. Sobald eine palliative Versorgung notwendig wird, können diese die Hausärztinnen und Hausärzte in der Versorgung von Menschen am Lebensende flexibel unterstützen. Die KV-weite Verbreitung und Bekanntheit des Versorgungsvertrags fördert die Zusammenarbeit aller Beteiligten, z.B. auch mit Rettungsdiensten und Pflegeheimen bei der Vermeidung unnötiger Behandlungen. Der in die hausärztliche Versorgung integrierte Konsiliardienst arbeitet zudem deutlich kosteneffektiver: So fällt in Westfalen-Lippe je Fall nur ein Fünftel der Kosten an, die im Bundesdurchschnitt für die SAPV zu verzeichnen sind.

Detailinformationen bis auf Kreisebene

Viele Kennzahlen des pallCompare Monitors sind bis auf Kreisebene sowie nach Erkrankungen und Versorgungssetting differenzierbar. Sie zeigen kleinräumige Unterschiede und Auffälligkeiten, z.B. die besonders große Spanne innerhalb der Landkreise Thüringens bei Rettungsdiensteinsätzen im letzten Lebensmonat von 26,8% im Saale-Orla-Kreis bis 46,5% im Wartburgkreis. „Der Monitor macht auch deutlich, dass Palliativversorgung dazu beitragen kann, dass Sterben seltener im Krankenhaus stattfindet, dass der Palliativversorgungsgrad bei Patienten mit Krebs höher ist als bislang bekannt, aber auch, dass zuhause palliativ versorgte Menschen deutlich mehr belastende Therapien erhalten als solche im Pflegeheim“ ergänzt Prof. Dr. Ulrich Wedding von der Palliativmedizin des Universitätsklinikums Jena weitere Befunde.

Effiziente Versorgung auch am Lebensende

Der demografische Wandel lässt den Bedarf an palliativer Versorgung steigen und führt gleichzeitig zu sinkenden personellen Ressourcen dafür – effiziente Versorgungsmodelle sind also unabdingbar. „Der pallCompare Monitor und das integrierte Versorgungsmodell Westfalen-Lippe liefern maßgebliche Hinweise, wie viele Menschen am Lebensende mit gutem Ergebnis kosteneffektiv versorgt werden können“, so Antje Freytag. Um die Evaluation der Palliativversorgung erweitern zu können, spricht sich ihr Projektteam für eine Fortführung des Datenportals, das zunächst die BARMER-Daten bis 2021 umfasst, und eine Ausdehnung der Datenbasis auf weitere Krankenkassen aus.

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