Ältere Patienten mit MS: Therapie beenden oder deeskalieren?

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Multiple Sklerose: Besonderheiten im höheren Alter

MedWiss – Alterungsprozesse können die Sicherheit von Medikamenten beeinflussen. Dies gilt besonders für krankheitsmodifizierende Wirkstoffe, die bei der Multiplen Sklerose (MS) notwendig sind. Wir berichten, welche Überlegungen bei der MS-Therapie älterer Menschen wichtig sind.
Multiple Sklerose (MS) wird typischerweise bei Personen zwischen 20 und 40 Jahren diagnostiziert, kann jedoch auch früher (pediatric onset MS, POMS) oder deutlich später mit über 55 Jahren (late onset MS, LOMS) auftreten. Die Altersverteilung der MS-Patienten hat sich mittlerweile, verglichen zu früher, zu einem höheren Alter hin verschoben: Die Erkrankung ist inzwischen am häufigsten bei Personen zwischen 55 und 65 Jahren.1 Dahinter steht eine verbesserte medizinische Versorgung der Patienten und damit steigende Lebenserwartung. Zudem haben sich Fortschritte in bildgebenden Diagnoseverfahren und angepasste Kriterien speziell auch auf die Feststellung von MS-Neuerkrankungen in höherem Alter ausgewirkt.2 Umso wichtiger werden Überlegungen zur optimalen MS-Therapie für ältere Patienten.

Medikamentensicherheit ändert sich im Alter

Alterungsprozesse können die Sicherheit von krankheitsmodifizierenden Medikamenten beeinflussen. So sind ältere Personen anfälliger für unerwünschte Effekte von Medikamenten, bringen aber selbst auch durch ihr Alter verschiedene Begleiterkrankungen oder erhöhte Risiken dafür mit sich. Beispielsweise ist Bluthochdruck nicht nur häufiger mit zunehmendem Alter, sondern auch eine mögliche Nebenwirkung von Teriflunomid und Fingolimod.1 Darüber hinaus nehmen ältere Patienten krankheitsmodifizierende MS- Therapien meist schon über eine längere Zeit ein als Jüngere. Sie reagieren deswegen mitunter stärker auf Therapie-Effekte bei der Behandlung mit immunmodulierenden oder immunsupprimierenden Wirkstoffen.1 Das kann zum Beispiel zu einer höheren Zahl an Nebenwirkungen, auch schwerer unerwünschter Ereignisse, wie beispielsweise der Progressiven Multifokalen Leukoenzephalopathie (PML), im Alter führen.3 Müssen zunehmend Begleiterkrankungen behandelt werden, kommt es auch rascher zur Multimedikation oder Polypharmazie, mit steigendem Risiko für Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und unerwünschten Ereignissen.1 Eine Immunsuppression zusätzlich zur altersbedingten Schwächung des Immunsystems (Immunseneszenz) kann zu viralen Reaktivierungen führen, wie etwa von Varizellen, die in jungen Jahren Windpocken, im Alter aber die Erkrankung Gürtelrose auslösen.3 Um solche Erkrankungen zu verhindern, sind Impfungen für ältere Patienten mit MS besonders wichtig. Hierbei muss jedoch bedacht werden, dass eine medikamentös bedingte Schwächung des Immunsystems auch den Impferfolg nachteilig beeinflussen kann.2

Verlangsamte Wundheilung, schwächere Tumorabwehr mit Immunseneszenz

Altersbedingte Veränderungen des Immunsystems können zu einer reduzierten Fähigkeit führen, gegen Krebszellen zu kämpfen.1 Mit höherem Alter steigt zudem das Risiko für Tumorerkrankungen. Daher sollte die MS-Therapiewahl auch mögliche Krebserkrankungen bei älteren Personen gezielt berücksichtigen.2 Mit zunehmendem Alter werden auch verlangsamte Wundheilung, aufgrund von Begleiterkrankungen bestehende chronische Wunden und eine erhöhte Infektneigung wichtiger. Manche MS-Therapien können die Infektneigung zusätzlich erhöhen. Experten raten daher zu einer umsichtigen Therapiewahl für ältere MS-Patienten, bei der speziell auch das zunehmend schwächere Immunsystem berücksichtigt wird.2

Höheres Alter: Kein Argument für Therapiestopp bei MS, aber Deeskalationspotenzial

Allerdings bremst das höhere Alter die MS nicht aus. Neuere Daten zeigen, dass es zu einer schleichenden Progression der Erkrankung kommen kann. Im fortgeschrittenen Alter fällt es dem menschlichen Körper schwerer, sich von schubbedingten Ausfällen, zum Beispiel einer Verschlechterung der Gehfähigkeit, Verschlechterung der Sensibilität und andere, zu erholen im Vergleich zu jüngeren Betroffenen. Eine fortlaufende Behandlung scheint demnach auch für Senioren mit MS weiterhin wichtig. Experten sehen jedoch Potenzial für eine Deeskalation der Therapie, wenn das Risikoprofil des jeweiligen Patienten dies erlaubt.2   Weitere Informationen zur MS finden Sie unter https://www.ms-gateway.de/   Mit freundlicher Unterstützung der Bayer Vital GmbH     Referenzen: 1: Macaron G, Larochelle C, Arbour N, Galmard M, Girard JM, Prat A and Duquette P (2023) Impact of aging on treatment considerations for multiple sclerosis patients. Front. Neurol. 14:1197212. doi: 10.3389/fneur.2023.1197212 https://doi.org/10.3389/fneur.2023.1197212 2: Motte J and Gold R (2023) Multiple Sklerose: Besonderheiten im höheren Alter. Dtsch Arztebl 2023; 120(50): [6]; DOI: 10.3238/PersNeuro.2023.12.15.01 https://www.aerzteblatt.de/archiv/235947 3: Capasso N, Virgilio E, Covelli A, Giovannini B, Foschi M, Montini F, Nasello M, Nilo A, Prestipino E, Schirò G, Sperandei S, Clerico M, Lanzillo R. Aging in multiple sclerosis: from childhood to old age, etiopathogenesis, and unmet needs: a narrative review. Front Neurol. 2023 Jun 2;14:1207617. doi: 10.3389/fneur.2023.1207617. PMID: 37332984; PMCID: PMC10272733. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37332984/

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