Klinikreform: Risiko oder Chance für die chirurgische Weiterbildung?

Fachgesellschaften fordern die Verbundweiterbildung als Regelfall und eine neutrale Finanzierung

Berlin – Das Krankenhaus ist nicht nur ein Ort der medizinischen Versorgung, es ist auch ein Lernort. Insbesondere die chirurgische Weiterbildung findet zum größten Teil in Kliniken und dort wiederum meist im stationären Bereich statt. Die Klinikreform, die aller Voraussicht nach mit einer Reduktion von Standorten und einer zunehmenden Ambulantisierung einhergehen wird, betrifft daher auch die ärztliche Weiterbildung. Die chirurgischen Disziplinen sind in besonderer Weise betroffen. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie e.V. (DGCH) mahnt dazu, die damit verbundenen Risiken nicht zu ignorieren und hat deshalb einen runden Tisch der Betroffenen organisiert. Dem weitgehenden Umbau der Versorgung im ambulanten und stationären Bereich müssten Weiterbildungskonzepte folgen. Ein aktuelles Positionspapier1, das durch ein Gremium aus Vertreterinnen und Vertretern der Jungen Foren der chirurgischen Fachgesellschaften entstanden ist, hebt aber auch die Chancen eines Strukturwandels hervor: Er biete die Gelegenheit, endlich die bekannten Probleme der chirurgischen Weiterbildung anzugehen.

Ob die 72 Monate der chirurgischen Weiterbildung den Ärztinnen und Ärzten, die sie durchlaufen, als gute Zeit in Erinnerung bleiben, ist zum Teil Glückssache – die Ausgestaltung der Weiterbildungsordnung obliegt den Landesärztekammern und ist somit nicht bundesweit einheitlich geregelt. Das Fehlen verbindlicher Konzepte, strukturierter Curricula und standardisierter Lernzielkontrollen wird bereits seit Längerem bemängelt. „Wie die chirurgische Weiterbildung in der Praxis aussieht, hängt wesentlich vom jeweiligen Arbeitsplatz und dem oder der dortigen Weiterbildungsermächtigten ab“, konstatiert Dr. med. Frederik Schlottmann von der Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover, Erstautor des Positionspapiers.

Für die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (ÄiW) komme erschwerend hinzu, dass meist nicht die gesamte Weiterbildung an einer Klinik oder in einer Praxis abgeleistet werden könne. Die allfälligen Wechsel der Weiterbildungsstätte müssen dann von den ÄiW selbst organisiert werden, wobei ihnen arbeitsrechtliche Hürden und mangelnde Kooperationen im Wege stehen. „Besonders schwierig sind dabei Wechsel vom stationären in den ambulanten Sektor, weil diese fast immer mit einem Wechsel des Arbeitgebers verbunden sind“, so Schlottmann. Ohnehin sei die Weiterbildungszeit aufgrund befristeter Arbeitsverträge, die nur selten die gesamte Zeit abdeckten, mit erheblichen privaten und finanziellen Risiken verbunden. Auch der Wechsel von einem Bundesland in ein anderes werde durch bürokratische Hürden erschwert und berge die Gefahr, dass bereits abgeleistete Inhalte nicht anerkannt würden.

Es stehe zu befürchten, so die Autorinnen und Autoren des Positionspapiers, dass sich diese und andere Probleme im Zuge der geplanten Zentralisierung und Ambulantisierung weiter verschärften. Eine Verlagerung von Operationen in den ambulanten Bereich etwa, wo derzeit nur knapp ein Drittel der Chirurginnen und Chirurgen arbeitet, könne das Erreichen der für die Weiterbildung notwendigen Richtzahlen weiter erschweren. Diese sind für viele chirurgische Eingriffe verpflichtend vorgegeben.

„Im Rahmen der Klinikreform muss die Aus- und Weiterbildung immer mitgedacht werden“, betont auch Professor Dr. med. Udo Obertacke vom Universitätsklinikum Mannheim und stellvertretender Leiter der AG Lehre der DGCH. Es biete sich jetzt die Chance, die ärztliche Weiterbildung von Grund auf neu zu denken und eine Verbundweiterbildung verpflichtend zu etablieren. „Der Verbund bietet den ÄiW den großen Vorteil eines sektoren- und klinikübergreifenden Weiterbildungsvertrags und somit arbeitsrechtliche und finanzielle Sicherheit“, so Obertacke, der sich bereits seit vielen Jahren für die Verbesserung der Lehre und für die Lehrforschung einsetzt. Basis müsse ein bundesweit einheitliches Curriculum mit einem transparenten zeitlichen Ablauf sein. Rotationen und Kursangebote sollten durch den Arbeitgeber organisiert und die Kosten übernommen werden. Neue bürokratische und organisatorische Hürden gelte es dagegen zu vermeiden – aktuell müssten sowohl Weiterbildungsermächtigte als auch ÄiW einen großen Teil ihrer Arbeitszeit für nichtärztliche Tätigkeiten aufwenden.

Auch inhaltlich muss die Weiterbildungsordnung aktualisiert werden – ein Prozess, in den sowohl die Autorinnen und Autoren des Positionspapiers als auch DGCH-Experte Obertacke die chirurgischen Fachgesellschaften eingebunden sehen möchten. „Das Curriculum muss auch moderne Technologien wie die Robotik abbilden“, betont Obertacke. Auch sei es sinnvoll, Möglichkeiten zur Online-Lehre sowie zum digital unterstützten Lernen mit Virtual Reality oder Simulationsszenarien zu prüfen.

Die Forderungen aus dem Positionspapier, das kürzlich in „Die Chirurgie“ veröffentlicht worden ist, stammen zu einem großen Teil aus den Jungen Foren von DGCH sowie weiteren neun Fachgesellschaften der chirurgischen Fächer. Hier wurde auch über eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen diskutiert, die etwa durch Teilzeitmodelle, Ausbau der Kinderbetreuung und Homeoffice erreicht werden könnte und für ÄiW mit Familie von großer Bedeutung ist. „Besonders vor dem Hintergrund, dass die chirurgischen Fächer unter Nachwuchssorgen leiden, sind diese Forderungen sehr ernst zu nehmen“, sagt Professor Dr. med. Thomas Schmitz-Rixen, Generalsekretär der DGCH.

Studien hätten ergeben, dass das Interesse an einer chirurgischen Laufbahn im Verlauf des Studiums kontinuierlich abnehme. Bereits jetzt beklagt die große Mehrheit der chirurgischen Kliniken einen Mangel qualifizierter Bewerber und Bewerberinnen. In den kommenden Jahren steht zudem die große Pensionierungswelle der Babyboomer bevor, die auch die Chirurgie betrifft. „Eine zeitgemäße, transparente und gut strukturierte Weiterbildung kann wesentlich dazu beitragen, die Attraktivität der chirurgischen Fächer wieder zu steigern“, so Schmitz-Rixen. „Davon hängt letztlich auch die Qualität der künftigen Versorgung der Patientinnen und Patienten ab.“

Quelle:
1 Schlottmann, Frederik et al.: Herausforderungen und Chancen für die chirurgische Weiterbildung. Ein fachgesellschaftsübergreifendes Positionspapier vor dem Hintergrund der Krankenhausstrukturreform. Chirurgie 2024 · 95:539–545
https://doi.org/10.1007/s00104-024-02113-x

Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) und assoziierte chirurgische Fachgesellschaften

Die DGCH wurde 1872 in Berlin gegründet. Sie gehört damit im 152. Jahr ihres Bestehens zu den ältesten medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Sie vereint unter ihrem Dach alle Säulen des Gebietes Chirurgie und vertritt damit mit ihren über die einzelnen Fachgesellschaften assoziierten Mitgliedern mehr als 22 700 Chirurginnen und Chirurgen. Unter dem Dach der DGCH sind folgende Fachgesellschaften vereint: Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV), Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG), Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH), Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG), Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC), Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (DGOOC), Deutsche Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie (DGPRÄC), Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie (DGT), Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG), Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und im Prinzip Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU).

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