Boehringer-Ingelheim-Preis 2024: Auszeichnung für zwei Nachwuchswissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz
PD Dr. Christian Labenz und Dr. Andy Wing Chung Man erhalten den diesjährigen Boehringer-Ingelheim-Preis für ihre exzellenten Forschungsarbeiten: Christian Labenz von der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik hat im Rahmen einer großen Studie wichtige Erkenntnisse zur Früherkennung einer neurologischen Komplikation der Leberzirrhose gewonnen. Andy Wing Chun Man vom Institut für Pharmakologie hat herausgefunden, dass Stickstoffmonoxid und dessen Regulation auch in Fettgewebszellen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung kardiometabolischer Erkrankungen spielt. Der Boehringer-Ingelheim-Preis ist mit 30.000 Euro dotiert und geht zu gleichen Teilen an die beiden Nachwuchswissenschaftler.
„Mit dem Boehringer-Ingelheim-Preis 2024 würdigen wir Forschungsarbeiten von großer gesellschaftlicher Relevanz – denn es geht um die Volkskrankheit Adipositas und die Leberzirrhose als häufigste Ursache für Leberkrebs. Ich gratuliere den beiden Preisträgern sehr herzlich und freue mich, dass wir auch in diesem Jahr wieder die Möglichkeit haben, solche herausragenden Arbeiten auszuzeichnen und auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zur Förderung unseres wissenschaftlichen Nachwuchses zu leisten“, betonte der kommissarische Wissenschaftliche Vorstand der Universitätsmedizin Mainz, Univ.-Prof. Dr. Hansjörg Schild.
„Es ist mir eine große Freude, heute den beiden hervorragenden Nachwuchswissenschaftlern Dr. Andy Wing Chung Man und Dr. Christian Labenz zum Boehringer-Ingelheim-Preis gratulieren zu dürfen. Als gemeinnützige Stiftung liegt es uns besonders am Herzen, exzellente Talente zu motivieren, innovative Forschungsvorhaben zu unterstützen und dadurch einen wichtigen Beitrag für unser aller Wohl zu leisten“, ergänzt Christoph Boehringer, Vorsitzender des Vorstands der Boehringer Ingelheim Stiftung.
PD Dr. Christian Labenz erhält den Preis für seine Arbeit aus dem Bereich der klinischen Medizin. Er sagt: „Unsere Ergebnisse haben direkte Implikationen für die klinische Versorgung von Patient:innen mit Leberzirrhose und eröffnen neue Optionen bis hin zu einer personalisierten Therapie. Dr. Andy Wing Chung Man wird für seinen Beitrag im Bereich der theoretischen Medizin ausgezeichnet. Sein Fazit: „Ein kleines Molekül mit großer Wirkung steht im Mittelpunkt unserer Arbeit. Wir konnten zeigen, dass die gezielte Beeinflussung von Enzymen, die im Fettgewebe Stockstoffmonoxid – chemische Formel NO – bilden, einen vielversprechenden Ansatz für die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden etwa für die koronare Herzkrankheit darstellt.“
Beide Nachwuchswissenschaftler stellten ihre Forschungsarbeit im Rahmen der feierlichen Preisverleihung vor. Den Festvortrag zu neuen Signalmechanismen im angeborenen Immun-system und im Herz-Kreislauf-System mit dem Titel „Cyclic GMP-AMP: a novel second mess-enger in innate immune and cardiovascular signaling“ hielt Univ.-Prof. Dr. Ulrich Förstermann, Seniorprofessor am Institut für Pharmakologie und ehemaliger Dekan und Wissenschaftlicher Vorstand der Universitätsmedizin Mainz.
Mit dem Boehringer-Ingelheim-Preis zeichnet die Boehringer Ingelheim Stiftung aufstrebende wissenschaftliche Talente der Universitätsmedizin Mainz für exzellente wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet der theoretischen und klinischen Medizin aus. Der Preis ist mit insgesamt 30.000 Euro dotiert und wird seit 1969 jährlich vergeben. Seit 1995 wird er von der Boehringer Ingelheim Stiftung dotiert.
Einzelheiten zur Arbeit von PD Dr. Christian Labenz:
PD Dr. Christian Labenz ist Stellvertretender Leitender Oberarzt an der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz. Er erhält den Boehringer-Ingelheim-Preis 2024 im Bereich klinische Medizin. Ausgezeichnet wird seine im Journal of Internal Medicine publizierte Arbeit „Minimal hepatic encephalopathy is associated with a higher risk of overt hepatic en-cephalopathy and poorer survival“. Im Rahmen der darin beschriebenen Studie mit 1462 Teil-nehmer:innen konnte Christian Labenz wichtige Erkenntnisse zur Früherkennung einer neurolo-gischen Komplikation der Leberzirrhose gewinnen.
Konkret geht es um die offensichtliche („overte“) hepatische Enzephalopathie (HE): Diese Funk-tionsstörung des Zentralen Nervensystems ist eine der häufigsten und schwerwiegendsten Kom-plikationen der Leberzirrhose und tritt in unterschiedlichen Schweregraden auf – die Symptome reichen von Persönlichkeitsveränderungen, Desorientiertheit und Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma. Von großer Bedeutung wäre es, Risikopatient:innen für die Entwicklung einer over-ten HE frühzeitig entdecken und gegebenenfalls prophylaktisch behandeln zu können.
Ein möglicher Ansatz für die Früherkennung von Risikopatient:innen könnte die Detektion der mildesten Form der HE – im Fachjargon „minimale HE“ – sein. Die minimale HE kann durch spezialisierte neuropsychologische Tests diagnostiziert werden: Der Goldstandard ist der soge-nannte Psychometric Hepatic Encephalopathy Score (PHES): Der PHES Test besteht aus fünf papierbasierten Einzeltests, bei denen die Patient:innen beispielsweise einen Zahlenverbindungs-test auf Zeit absolvieren müssen.
Welche Bedeutung eine minimale HE in Bezug auf die Entwicklung einer overten HE hat, wurde bislang nicht im größeren Rahmen erforscht. Diese Lücke schließt die nun mit dem Boehringer-Ingelheim-Preis prämierte Arbeit: Erstmals haben die Forschenden im Rahmen eines internatio-nalen Konsortiums, welches durch das Cirrhose Centrum Mainz (CCM) und Dr. Labenz als Leitung angeführt wird, eine multizentrische Studie zu dieser Fragestellung konzipiert und durchge-führt. Mit insgesamt 1462 Patient:innen aus acht europäischen Ländern und den USA – 500 von ihnen stammten aus dem CCM – ist es die bisher größte publizierte multizentrische Studie mit einer Langzeitbeobachtung der Patient:innen zum Thema HE.
Zusammengefasst konnte das Forschungsteam um Christian Labenz im Rahmen der Analysen nachweisen, dass die Testung auf das Vorliegen einer minimalen HE vor allem bei Patient:innen im intermediären Stadium der Leberzirrhose eine Vorhersage für die Entwicklung einer overten HE zulässt. Weitere Analysen zeigten, dass eine kombinierte Teststrategie bestehend aus dem leicht und überall durchführbaren Animal Naming Test, bei dem Patient:innen verschiedene Tiernamen innerhalb von einer Minute aufzählen müssen, und dem deutlich aufwendigeren PHES-Test die Prognose des Risikos weiter verbessern kann.
Die Ergebnisse haben direkte Implikationen für die klinische Versorgung von Patient:innen mit Leberzirrhose und eröffnen neue Optionen bis hin zu einer personalisierten Therapie. Aufbauend auf den Ergebnissen der aktuellen Studie wollen die beteiligten Wissenschaftler:innen nun eine Therapiestudie initiieren, mit dem Ziel, eine overte HE bei Patient:innen mit hohem Risiko von vornherein zu verhindern.
Originalpublikation:
Gairing S.J., Mangini C., Zarantonello L., Gioia S., Nielsen E.J., Danneberg S., Lok A.S., Sultan-ik P., Galle P.R., Labenz J., Thabut D., Marquardt J.U., Bloom P.P., Lauridsen M.M., Monta-gnese S., Nardelli S., Labenz C.; Minimal hepatic encephalopathy is associated with a higher risk of overt hepatic encephalopathy and poorer survival; Journal of Internal Medicine (2024) 295, 331 – 345, https://doi.org/10.1111/joim.13747
Einzelheiten zur Arbeit von Dr. Andy Wing Chung Man:
Dr. Andy Wing Chung Man, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pharmakologie der Universitätsmedizin Mainz, erhält den Boehringer-Ingelheim-Preis 2024 im Bereich theoretische Medizin für seine Arbeit „Deletion of adipocyte NOS3 potentiates high-fat diet-induced hypertension and vascular remodelling via chemerin”, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Cardiovascular Research.
Im Mittelpunkt der Arbeit steht ein kleines Molekül mit großer Wirkung: Bereits 1992 hat die Zeitschrift Science Stickstoffmonoxid mit der chemischen Formel NO aufgrund seiner Bedeutung zum „Molekül des Jahres“ erklärt. Im Jahr 1998 folgte der Medizinnobelpreis für die Entdeckung der Rolle von NO als Signalmolekül im Herz-Kreislauf-System. In der Wand von Blutgefäßen wird NO hauptsächlich durch das Enzym NOS3, auch als endotheliale NO-Synthase (eNOS) bezeichnet, gebildet. Das Enzym ist benannt nach den Zellen, die die innerste Schicht der Blutgefäße bilden, den Endothelzellen, in denen es entdeckt wurde. In der Vergangenheit hat sich eNOS/NOS3 als primärer Regulator des Blutdrucks und der Gefäßfunktion in der Gefäßwand etabliert.
NOS3 kommt jedoch nicht nur in Endothelzellen, sondern auch in anderen Zelltypen vor: etwa in den Fettzellen des weißen Fettgewebes und des perivaskulären Fettgewebes (PVAT), welches die Blutgefäße umgibt. Dabei ist Fettgewebe weit mehr als eine Ansammlung von Fettzellen, auch Blutgefäße sowie Nerven- und Immunzellen sind dort zu finden.
Jüngste Studien, die teils auch in der Pharmakologie in Mainz durchgeführt wurden, ließen vermuten, dass NOS3 in Fettzellen, die im Fachjargon Adipozyten heißen, ebenfalls eine Rolle bei der Regulation der Gefäßfunktion im Fettgewebe spielen könnte, doch ein direkter Beweis fehlte. In dem Zusammenhang bekommt NOS3 eine enorme Bedeutung, da Übergewicht heutzutage eine Epidemie ist, die entscheidend zur Entstehung von Bluthochdruck und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen beiträgt.
Die nun mit dem Boehringer-Ingelheim-Preis ausgezeichnete Arbeit beantwortet erstmals Fragen zur spezifischen Funktion der NOS3 in Fettgewebe und liefert diesbezüglich wichtige neue Erkenntnisse. Untersucht wurden Mäuse, die kein NOS3-Enzym in Adipozyten bilden können. Die erste Erkenntnis: Fehlt NOS3 in Fettzellen, verliert das perivaskuläre Fettgewebe seine antikontraktile Funktion und die Blutgefäße können schlechter relaxieren. Ferner verhindert NOS3 in Fettzellen eine Entzündung des Gewebes, hemmt pathologische Gefäßversteifungen und Kollagenablagerungen und hält die Arterien elastisch. Schließlich reguliert NOS3 die Absonderung von Adipokinen – Verbindungen, die vermutlich für die Entstehung verschiedener Erkrankungen verantwortlich sind, die auf Übergewicht zurückzuführen sind, wie Bluthochdruck und Gefäßverengungen. So bildeten Mäuse ohne NOS3-Enzym vermehrt ein solches Adipokin namens Chemerin, was unter anderem zu Bluthochdruck führte. In dem Zusammenhang ist interessant, dass Chemerin kürzlich bereits mit Fettleibigkeit in Verbindung gebracht wurde.
Zusammengenommen deuten alle diese Ergebnisse darauf hin, dass die gezielte Beeinflussung des NOS3/Chemerin Systems im Fettgewebe ein vielversprechender Ansatz für die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden für kardiometabolische Erkrankungen sein könnte, also Krankheitsbilder, die das Herz-Kreislauf-System und/oder Stoffwechselvorgänge betreffen, wie etwa die koronare Herzkrankheit.
Für die erfolgreiche Studie arbeitete Dr. Andy Wing Chung Man mit Kollegen und Kolleginnen des Instituts für Pharmakologie und des Zentrums für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz zusammen.
Originalpublikation:
Man A.W.C., Zhou Y., Reifenberg G., Camp A., Münzel T., Daiber A., Xia N., Li H.; Deletion of adipocyte NOS3 potentiates high-fat diet-induced hypertension and vascular remodelling via chemerin; Cardiovascular Research (2023) 119, 2755 – 2769, https://doi.org/10.1093/cvr/cvad164
Über die Boehringer Ingelheim Stiftung
Die Boehringer Ingelheim Stiftung ist eine rechtlich selbstständige, gemeinnützige Stiftung und fördert die medizinische, biologische, chemische und pharmazeutische Wissenschaft. Errichtet wurde sie 1977 von Hubertus Liebrecht, einem Mitglied der Gesellschafterfamilie des Unternehmens Boehringer Ingelheim. Mit ihren Förderprogrammen Plus 3, Exploration Grants und Rise up! unterstützt sie exzellente Forschende in entscheidenden Karrierephasen. Außerdem dotiert sie den internationalen Heinrich-Wieland-Preis sowie Preise für Nachwuchswissenschaftler und fördert institutionelle Projekte wie beispielsweise das Institut für Molekulare Biologie (IMB), das Leibniz-Institut für Resilienzforschung (LIR) und die Lebenswissenschaften an der Universität Mainz oder auch das European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg. https://www.boehringer-ingelheim-stiftung.de.
Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten und jährlich rund 340.000 Menschen stationär und ambulant versorgen. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Mehr als 3.600 Studierende der Medizin und Zahnmedizin sowie rund 630 Fachkräfte in den verschiedensten Gesundheitsfachberufen, kaufmännischen und technischen Berufen werden hier ausgebildet. Mit rund 8.700 Mitarbeitenden ist die Universitätsmedizin Mainz zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter https://www.unimedizin-mainz.de
Originalpublikation:
Gairing S.J., Mangini C., Zarantonello L., Gioia S., Nielsen E.J., Danneberg S., Lok A.S., Sultan-ik P., Galle P.R., Labenz J., Thabut D., Marquardt J.U., Bloom P.P., Lauridsen M.M., Monta-gnese S., Nardelli S., Labenz C.; Minimal hepatic encephalopathy is associated with a higher risk of overt hepatic encephalopathy and poorer survival; Journal of Internal Medicine (2024) 295, 331 – 345, https://doi.org/10.1111/joim.13747
Man A.W.C., Zhou Y., Reifenberg G., Camp A., Münzel T., Daiber A., Xia N., Li H.; Deletion of adipocyte NOS3 potentiates high-fat diet-induced hypertension and vascular remodelling via chemerin; Cardiovascular Research (2023) 119, 2755 – 2769, https://doi.org/10.1093/cvr/cvad164