Komplett implantierbares Kunstherz kann die Wartezeit auf ein Spenderorgan überbrücken
Erstmals hat das Team der Herzchirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg zwei Patienten vollständige Kunstherzen der Firma Carmat implantiert. Die Geräte der neuesten Generation unterstützen das biologische Herz nicht nur, sondern ersetzen es komplett. In der Brust der beiden Patienten pumpt nun kein Muskel mehr das Blut durch den Körper, sondern ein Wunderwerk der Robotik. Nur das Kabel zur Stromversorgung ragt aus dem Bauch. Beide Patienten haben den Eingriff gut überstanden.
Die Wartezeit auf ein Spenderherz ist lang, oftmals zu lang für die Patientinnen und Patienten, die schwer herzkrank sind und das neue Organ dringend benötigen: Sie beträgt im Durchschnitt sechs Monate für Patientinnen und Patienten, die am dringlichsten eingestuft sind. Um die Wartezeit bis zur lebensrettenden Transplantation zu überbrücken, hat das Team der Klinik für Herzchirurgie des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) zwei Patienten mit den aktuell modernsten verfügbaren Kunstherzen (Carmat Aeson) versorgt. Die Hydraulikpumpe, etwas größer als ein natürliches Herz, wird wie bei einer Herztransplantation in den Brustkorb eingesetzt und mit den großen Blutgefäßen und Herzvorhöfen vernäht, der Brustkorb anschließend wieder verschlossen. Nur das Kabel zur Stromversorgung ragt heraus. Es verbindet das Kunstherz mit den Akkus, welche die Patienten in einer Umhängetasche, die zu einem Rucksack umfunktioniert werden kann, immer bei sich tragen. Die beiden hochkomplexen Eingriffe, die kurz nacheinander im Juni und Juli 2024 erfolgten, waren für die Heidelberger Herzchirurginnen und -chirurgen eine Premiere und sind hervorragend verlaufen: Beide Patienten erholen sich aktuell gut von der OP und den körperlichen Folgen ihrer schweren Herzerkrankung.
Das „Carmat Aeson“ ist als voll implantierbares Ersatzsystem für die komplette Herzfunktion in Deutschland zugelassen. Zwar gibt es seit längerem voll implantierbare Unterstützungssysteme für die linke Herzkammer, die ähnlich einem Bypass die linke Herzhälfte umgehen, aber nicht für die rechte Seite des Herzens. Bei den verfügbaren Unterstützungssystemen für die rechte Herzkammer sowie das komplette Herz befindet sich die Blutpumpe außerhalb des Körpers. „Diese Systeme haben einen pneumatischen Antrieb und sind sehr laut. Zudem ziehen die Patientinnen und Patienten den Antrieb auf einem Caddy hinter sich her. Das war unter anderem der Grund für unsere Patienten, sich für das Carmat Aeson zu entscheiden“, sagt Professorin Dr. Anna Meyer, Leitende Oberärztin und Leiterin des Herzunterstützungsprogrammes der Klinik für Herzchirurgie am UKHD, die beide Eingriffe verantwortlich durchführte. Bei beiden Patienten war das gesamte Herz schwer geschädigt, sie standen daher auf der Warteliste für ein Spenderherz. Als sich ihr Zustand weiter verschlechterte, musste eine schnelle Lösung gefunden werden.
Hydraulikpumpe mit Biomembran und Rinderherzklappen erzeugt einen pulsierenden Blutstrom
Lebensretter ist eine Hightech-Hydraulikpumpe, die wie ein echtes Herz einen pulsierenden Blutfluss erzeugt. Eingebaute Sensoren erfassen den Blutdruck und passen die Pumpleistung automatisch an. Herzklappen und Innenauskleidung aus Rinderherzgewebe beugen der Gerinnselbildung vor. Die Patienten werden daher keine starken Gerinnungshemmer benötigen. Bis zur Transplantation eines Spenderherzens sind die Patienten nun allerdings von einer Stromquelle abhängig: Die Akkus versorgen den Herzroboter sechs bis sieben Stunden lang mit Energie, dann muss gewechselt werden. Nachts wird das System mit einem Netzstecker an das Stromnetz angeschlossen. Und bei einem längeren Stromausfall? Dann gilt es schnell eine Klinik mit Notstromversorgung aufzusuchen.
Implantation eines Kunstherzens fordert ChirurgInnen und TechnikerInnen gleichermaßen
In den Anfangstagen des neuen Kunstherzens, das 2013 in Paris entwickelt wurde, kam es vereinzelt zu einem Versagen der Pumpe, so dass die Firma Carmat das System komplett überarbeitet und umfangreich getestet hat. Seit Ende 2022 ist die überarbeitete, auch für Deutschland zugelassene Version auf dem Markt. Die Studienergebnisse überzeugten das Team aus Heidelberg und im März 2023 ließ sich ein zehnköpfiges interdisziplinäres multiprofessionelles Team des UKHD, bestehend aus vier Herzchirurginnen und Herzchirurgen, einem Anästhesisten, einem Kardiotechniker, einem Kardiologen, einer Intensivpflegekraft und zwei Kunstherzkoordinatorinnen in Paris von der Herstellerfirma schulen. Denn nicht nur ist die Implantation chirurgisch höchst anspruchsvoll, muss das Kunstherz absolut dicht mit den natürlichen Gefäßen verbunden sein, das System will auch korrekt gestartet, die Anzeigen der Steuerungskonsole ausgewertet sowie die Auswirkungen des künstlichen Herzschlags auf den restlichen Organismus bedacht werden.
„Bei der Operation mehr als ein Jahr später waren wir natürlich angespannt“, erinnert sich Professorin Meyer. Zur Unterstützung reiste ein Team des Herstellers an. Mit dem Ergebnis der mehrstündigen Operation waren alle sehr zufrieden: Es traten keine Komplikationen oder Nachblutungen auf, die beiden Männer im Alter von 51 und 58 Jahren konnten ab dem Folgetag wieder selbstständig atmen und nach einer gewissen Nachbeobachtungszeit auf die Normalstation verlegt werden. Eine so schnelle Regeneration und Mobilisation ist bei diesen schwer kranken Patienten eher ungewöhnlich. Der erste Patient hat bereits seine Anschlussbehandlung in einer Rehabilitationsklinik angetreten. Besonders erfreulich ist dabei, dass sich die Schäden an Leber und Nieren, die die Mangeldurchblutung aufgrund der massiven Herzschwäche nach sich gezogen hatte, allmählich zurückbilden. „Es ist faszinierend zu beobachten, wie sich besonders bei unserem zweiten Patienten, bei dem Leber, Nieren und Darm kaum noch funktionierten, der Körper ganz allmählich erholt und seine Arbeit wieder aufnimmt. Ich bin optimistisch, dass wir die Unterstützung der Organfunktionen wie zum Beispiel die Dialyse, bald zurückfahren können“, so Anna Meyer.
Wie fühlt sich ein Kunstherz an?
Wie fühlt es sich an, wenn in der Brust ein künstliches Herz schlägt? „Ich bemerke nicht, dass das Herz sich anders anfühlt. Nur an das Geräusch musste ich mich erst gewöhnen und habe die ersten Nächte nicht geschlafen“, sagt der Patient, dessen Herz durch eine Autoimmunerkrankung so schwer geschädigt wurde, dass es zuletzt nur noch 15 Prozent der normalen Herzleistung erbringen konnte. Seit mehreren Jahren war er deshalb schon mit Herzschrittmacher und implantierbarem Defibrillator versorgt. Als sich die Herzleistung plötzlich rapide weiter verschlechterte, schloss man ihn in der Klinik an eine Apparatur an, die sein Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff anreicherte. So war er mehr als vier Wochen ans Bett gebunden. Seit ein paar Tagen kann er wieder mithilfe eines Rollators in die Caféteria laufen. „Jetzt geht es mir viel besser. Es wäre so wie vorher auch nicht mehr weitergegangen“, so der 58-Jährige.
In der Klinik für Herzchirurgie des UKHD nimmt das Team um den Ärztlichen Direktor Professor Dr. Matthias Karck jährlich mehr als 1.600 große Operationen am Herzen vor. Im Jahr 2023 wurden 22 Spenderherzen transplantiert und 135 Patientinnen und Patienten mit maschinellen Herzunterstützungssystemen versorgt. Europaweit leben 30 Menschen mit dem Carmat-Kunstherzen, zum Teil auch schon länger als sechs Monate. Elf weitere Patienten, die zwischenzeitlich mit dem Aeson versorgt waren, haben inzwischen ein Spenderherz erhalten. Ob in Zukunft noch mehr dieser Kunstherzen zur Überbrückung der Wartezeit verpflanzt werden, hängt davon ab, wie sich der Gesundheitszustand der beiden Männer weiterentwickelt. Die Herzchirurginnen und -chirurgen sind optimistisch.
Hintergrund – Die Geschichte des Kunstherzens
Ein Meilenstein in der Herzchirurgie war der erste erfolgreiche Einsatz der Herz-Lungen-Maschine durch ihren Erfinder Dr. John Heysham Gibbon (USA) 1953. Zum ersten Mal übernahm dabei eine Maschine die Funktion von Herz und Lungen. Sie ermöglichte es, das Herz ruhig zu stellen und somit eine sichere Operation des Herzens. Profitiert hatte von der neuen Technik eine 18-jährige Patientin mit Vorhofseptumdefekt, also einer angeborenen Fehlbildung der Trennwand zwischen beiden Vorhöfen. Bis zur Entwicklung des Kunstherzens war es aber noch ein weiter Weg:
Weitere Informationen im Internet
Klinik für Herzchirurgie des UKHD