Synthetische Polymere gegen Pilzinfektionen

Ein Chemie-Doktorand strandet am Leibniz-HKI in Jena und nutzt die Zeit für Forschung an Candida albicans

Kombiniert mit Anti-Pilz-Medikamenten wirken synthetische Polymere besonders effektiv gegen Candida albicans. Das fand ein deutsch-australisches Forschungsteam heraus und klärte auch den Wirkmechanismus dahinter auf. Ihre Ergebnisse präsentierten die Forschenden in Nature Communications. Die internationale Zusammenarbeit kam zufällig durch einen ungeplanten Forschungsaufenthalt zustande, der die Studie am Leibniz-HKI in Jena initiierte.

Jährlich sind über zwei Millionen Menschen von invasiven Pilzinfektionen betroffen, die häufig durch Candida-Spezies verursacht werden und mit hohen Sterblichkeitsraten einhergehen. Die Entwicklung neuer Therapien geht sehr langsam voran. Der Bedarf steigt dagegen, zumal sich immer häufiger Arzneimittelresistenzen bilden. Ein interdisziplinäres Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Sascha Brunke vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI) hat nun die Wirkungsweise und das therapeutische Potenzial synthetischer Polymere untersucht. Diese langkettigen chemischen Verbindungen ahmen in der Natur vorkommende Peptide nach und hemmen das Wachstum von Mikroorganismen. Der genaue Wirkmechanismus war bislang noch unklar. Das Rätsel wurde nun jedoch gelöst – verantwortlich dafür war ausgerechnet die Corona-Pandemie.

Von Australien nach Jena

Der Doktorand Sebastian Schäfer, der an der University of New South Wales (UNSW) im Chemieingenieurwesen an der Entwicklung von antimykotischen Polymeren arbeitete, befand sich gerade in Deutschland, als Australien pandemiebedingt seine Grenzen schloss und Schäfers Rückkehr an die UNSW verhinderte. Doch der Biotechnologe machte aus der Not eine Tugend und verlagerte seine Forschung zeitweise ans Leibniz-HKI nach Jena, wo er die Abteilung Mikrobielle Pathogenitätsmechanismen um eine chemische Facette bereicherte und sich dort krankmachenden Pilzen zuwandte. Dies führte nicht nur zu neuen Forschungsansätzen, sondern auch zu einer sehr erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Naturstoff-Forscher*innen und Infektionsbiolog*innen aus Deutschland und Australien.

Neue synthetische Polymere mit starker Wirksamkeit

Das so unerwartet zusammengekommene Team entwickelte mehrere synthetische Polymere aus der Familie der Polyacrylamide, die eine starke Wirksamkeit gegen Candida albicans zeigten, sogar gegen resistente Stämme. Besonders das Polymer namens LH wirkte zusammen mit dem Medikament Caspofungin äußerst effektiv gegen den Pilz und verbesserte deutlich die Überlebensrate von infizierten Mottenlarven in Laborversuchen.

Rundumschlag gegen Pilzzellen

Das Team deckte in der Studie erstmals auch das genaue Wirkprinzip der Verbindungen auf. „Die synthetischen Polymere greifen die Pilzzellen auf verschiedene Weisen gleichzeitig an. Sie nutzen dabei auch neue Zielstrukturen, und sind deshalb sehr effizient. Das ist der Unterschied zu gängigen Antimykotika, die nur einseitig wirken“, berichtet Raghav Vij, der neben Sebastian Schäfer einer der Autor*innen der Studie ist. So verursachten die Verbindungen Stress in der Pilzzelle und schwächten sie, indem sie die Glykosylierung an der Zelloberfläche behinderten. Bei diesem chemischen Prozess werden Zuckerketten an Proteine gebunden, was für die Stabilität und Funktion der Zellen wichtig ist. Die Polymere schädigten außerdem Wände und Membranen der Pilzzellen, wodurch diese abstarben. Zusätzlich unterstützten die Polymere auch Immunzellen bei der Vernichtung von Pilzzellen, wie man in Interaktionstests feststellte.

Hoffnung bei resistenten Pilzen

„Bemerkenswert war auch, dass LH zusammen mit Anti-Pilz-Mitteln im Labor nicht zur Entwicklung von Resistenzen bei C. albicans führte. Das deutet darauf hin, dass solche Kombinationstherapien nicht nur effektiver, sondern auch nachhaltiger als bisherige Therapien sind und so zu einem besseren Behandlungserfolg führen können“, erklärt Vij. Ein weiterer Pluspunkt: „Die Produktion synthetischer Polymere ist relativ kostengünstig. Zudem sind sie im Vergleich zu herkömmlichen Wirkstoffen stabil und lagerfähig. Insbesondere in einkommensschwachen Ländern könnten sie also einen bedeutenden Beitrag zur öffentlichen Gesundheit leisten“, resümiert Sascha Brunke.

Bis es soweit ist, bedarf es aber noch weiterer Forschung. „Getestet wurden die Polymere bisher nur im Insektenmodell. Ob auch Menschen die neue Therapie gut vertragen, muss erst ausführlich untersucht werden“, gibt Brunke zu bedenken. Zusätzlich besteht noch Optimierungsbedarf an der Struktur der entwickelten Polymere. „Wir wissen noch nicht genau, welche molekularen Bestandteile der Polymere welche Teile des Pilzes beeinflussen. Das Zielmolekül fehlt uns sozusagen noch“, so Vij. Außerdem muss geprüft werden, ob die Polymere schädliche Auswirkungen auf den Menschen oder die Umwelt haben. Die Forschungsergebnisse deuten trotz allem schon jetzt in eine positive Richtung und geben Hoffnung auf wirksame neue Therapieoptionen.

Die Studie entstand im Rahmen des Exzellenzclusters „Balance of the Microverse“ und wurde unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Beteiligte Institutionen

Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut, Jena, Deutschland
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland
Universitätsklinikum Jena, Deutschland
Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum, Deutschland
Centre for Structural Systems Biology, Hamburg, Deutschland
University of New South Wales, Sydney, Australien
Macquarie University, North Ryde, Australien

Originalpublikation

Schaefer S, Vij R, Sprague JL, Austermeier S, Dinh H, Judzewitsch PR, Müller-Loennies S, Lopes Silva T, Seemann E, Qualmann B, Hertweck C, Scherlach K, Gutsmann T, Cain AK, Corrigan N, Gresnigt MS, Boyer C, Lenardon MD, Brunke S (2024) A synthetic peptide mimic kills Candida albicans and synergistically prevents infection. Nature Communications 15 (6818), https://doi.org/10.1038/s41467-024-50491-x.

Das Leibniz-HKI

Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet entwickelt.

Das Leibniz-HKI verfügt über sieben wissenschaftliche Abteilungen und drei Forschungsgruppen, deren Leiter überwiegend berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut. Gemeinsam mit der Universität Jena betreibt das Leibniz-HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 450 Personen am Leibniz-HKI, davon 150 Promovierende.

Das Leibniz-HKI ist Kernpartner großer Verbundvorhaben wie dem Exzellenzcluster Balance of the Microverse, der Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio), ChemBioSys und PolyTarget, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics, des Leibniz-Zentrums für Photonik in der Infektionsforschung sowie von InfectControl, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Das Leibniz-HKI ist zudem Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.

Die Leibniz-Gemeinschaft

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 96 eigenständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften.

Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.

Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen knapp 21.000 Personen, darunter fast 12.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei zwei Milliarden Euro.