„Der Körper kann Vieles in Schmerzen ausdrücken“
Die Ferien waren erholsam, doch mit dem Schulbeginn startet der Alltag wieder – für manche Kinder und Jugendliche geht das mit sehr viel Stress einher. Wird dieser im sozialen Umfeld nicht ausreichend kommuniziert oder wahrgenommen, kann das zu Erkrankungen führen. Wenn Kinder oder Jugendliche etwa über Schmerzen klagen, für die sich keine Ursache finden lässt, kann es sich um psychosomatische Beschwerden handeln, weiß Dr. Martina Monninger, die in der UKM-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin den Bereich der Psychosomatik leitet. | lwi
Auch wenn es anders sein sollte – offen über psychische Probleme zu sprechen, ist häufig schwieriger als körperliche Beschwerden zu benennen. Da geht es Kindern und Jugendlichen nicht anders als Erwachsenen. „Es ist viel einfacher zu sagen: ,Ich kann heute nicht in die Schule, weil mir der Bauch wehtut´, als ,Ich habe Angst vor den Fragen der Lehrer oder davor, dass andere Kinder mich mobben´“, sagt Dr. Martina Monninger, die Leiterin des Schwerpunktes „Psychosomatik“ in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im UKM (Universitätsklinikum Münster).
Hinter unklaren Bauch-, Kopf- oder Knieschmerzen, aber auch hinter Ess- oder Angststörungen können Stress oder Unsicherheiten stecken. „Der Körper kann Vieles in Schmerzen ausdrücken, ohne dass diese eine somatische Ursache haben“, weiß Monninger, die sich mit Erkrankungen befasst, deren Ursprung in den Wechselwirkungen zwischen Körper und Psyche liegt. Grundsätzlich können davon Kinder im Grundschulalter genauso betroffen sein wie Jugendliche. Besondere Risikostellen sieht Monninger im Bereich der Übergänge auf weiterführende Schulen, auf dem Höhepunkt der Pubertät, vor Schulabschlüssen, aber auch kurz vor dem 18. Geburtstag.
Häufig werden die Probleme – im schulischen Kontext können das etwa (vermeintliches) Mobbing durch Lehrkräfte oder Mitschülerinnen und Mitschüler, oder aber Leistungsdruck sein –, nicht genügend mit den Eltern kommuniziert, weil keine ausreichende Vertrauensbasis dafür besteht, über emotionales Befinden zu sprechen. In der Folge kann es zur Schulvermeidung aufgrund von Schmerzen oder Übelkeit kommen. „Ab dann dauert es häufig zu lange, bis erkannt wird, dass das nicht hilft“, sagt Monninger. „Mit jedem Tag, an dem es nicht in die Schule geht, bauen sich mehr Ängste auf und die Betroffenen kommen dann irgendwann nicht mehr mit. Das macht es zunehmend schwieriger, sich wieder in den Schulalltag zu integrieren.“ Zumal auch die Nachwirkungen der Corona-Jahre noch immer erkennbar seien. Monninger: „Wir sehen hier mehr Jugendliche, die Schwierigkeiten mit Menschenmengen haben oder damit, überhaupt sozial zu interagieren.“
Was können Betroffene tun? „Ein erster Schritt ist es, als Familie Zeit füreinander aufzubringen, miteinander zu sprechen, damit die Kinder auch erzählen können, was sie beschäftigt – das kann sich positiv auswirken, denn ein vertrauensvolles Umfeld ist eine wichtige Basis, Beschwerden vorzubeugen oder sie zu erkennen“, sagt Monninger. Sie weiß aber auch, dass das nicht immer einfach ist. Entweder, weil die Eltern selbst nie gelernt haben, über Emotionen zu sprechen, weil sie an eigenen psychische Erkrankungen leiden (die mitunter von somatischen Beschwerden maskiert werden) oder, weil es je nach Alter des Nachwuchses durchaus schwierig sein kann, als Familie gemeinsame Aktivitäten oder Urlaube umzusetzen und als Eltern den passenden Grad an Interesse zu zeigen. „Aber auch gemeinsame Mahlzeiten können schon hilfreich sein.“
Natürlich müssen auch mögliche organische Ursachen für die – tatsächlich ja vorhandenen und erlebten – Schmerzen abgeklärt werden, sagt Monninger, doch wenn diese nicht gefunden werden, sei von einem Ärztemarathon ebenso abzuraten wie von „Dr. Google“ oder teuren Behandlungen, um beispielsweise vermutete Nahrungsmittelunverträglichkeiten zu überlisten. Deutet alles schließlich auf psychosomatische Beschwerden hin, ist es wichtig, niedrigschwellige Beratungsgespräche wahrzunehmen, um weitere Schritte zu planen. Dass Beratung in den entsprechenden Stellen aber nicht immer und überall so schnell zu finden ist, wie sie gebraucht wird, weiß Monninger aus ihrem Alltag. „Sollte es keine andere Möglichkeit geben, versuchen wir grundsätzlich auch hier bei uns in der Klinik ein erstes orientierendes Gespräch zu ermöglichen, Lücken in der Diagnose zum Ausschluss somatischer Erkrankungen zu schließen und beratend zur Seite zu stehen.“ Ein stationärer Aufenthalt mit interprofessioneller Hilfe von ärztlichem, pädagogischem und psychologischem Fachpersonal könne dann gegebenenfalls in Betracht gezogen werden, sei aber nicht immer notwendig.