Überlebende von Kinderkrebs brauchen spezialisierte Nachsorge

Eine neue Studie des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern, in Zusammenarbeit mit dem Kantonsspital Baselland, zeigt, dass erwachsene Überlebende von Kinderkrebs in der Schweiz mit vielfältigen gesundheitlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Spezialisierte, interdisziplinäre Nachsorgesprechstunden unter der Leitung von Internisten bieten umfassende Unterstützung. Die Studie hebt die Bedeutung multidisziplinärer Betreuung hervor und fordert eine breitere Implementierung solcher Sprechstunden im ganzen Land.

In der Schweiz leben aktuell über 7000 Erwachsene, die eine Krebserkrankung im Kindesalter überlebt haben. Diese sogenannten «Adult Childhood Cancer Survivors» (kurz ACCS) leiden oft an gesundheitlichen Problemen, die sich im Laufe ihres Lebens verschlimmern und zu einer höheren Sterblichkeit führen. Nebst dem erhöhten Risiko einer erneuten Krebserkrankung, stellt die Organtoxizität eine grosse Herausforderung für die langfristige Gesundheit von ACCS dar. Unter Organtoxizität versteht man die schädigende Wirkung, die bestimmte Medikamente, Chemikalien oder Strahlentherapien, die zur Krebsbehandlung eingesetzt werden, auf gesunde Zellen und Gewebe haben können. Diese Schäden an verschiedenen Organen können sofort nach der Behandlung auftreten oder sich erst Jahre später bemerkbar machen. Sie nehmen mit fortschreitendem Alter zu. Deshalb ist eine lebenslange spezialisierte Nachsorge für Überlebende von Kinderkrebs von grosser Bedeutung.

Errichtung interdisziplinärer Nachsorgesprechstunden

Obwohl etablierte Richtlinien die wesentlichen Komponenten von Nachsorgeprogrammen aufzeigen, belegen Studien, dass das Vorhandensein solcher Richtlinien keine angemessene Nachsorge garantiert. Die meisten erwachsenen Überlebenden von Kinderkrebs in der Schweiz erhalten ihre medizinische Betreuung von Erwachsenenkrebspraxen oder ihren Hausärzten.

Um die Betreuung für potenziell multimorbide ACCS zu verbessern, haben Fachleute vom Inselspital Bern und dem Kantonsspital Baselland deshalb zwei umfassende Nachsorgesprechstunden eingerichtet, die von erfahrenen Internisten und pädiatrischen Onkologen geleitet werden. In diesen Sprechstunden erhalten die ACCS nach einer detaillierten Erhebung ihrer Krankengeschichte und ihres aktuellen Gesundheitszustandes einen individuellen Nachsorgeplan basierend auf den Langzeitnachsorge-Richtlinien der Children’s Oncology Group. In einer kürzlich veröffentlichten Studie haben die Expertinnen und Experten nun die Gesundheitsprobleme und die gesundheitsbezogene Lebensqualität von ACCS untersucht, die in einer dieser beiden Sprechstunden behandelt wurden.

Hohe Zufriedenheit trotz häufiger gesundheitlicher Probleme

Die Studie analysierte die Daten von 102 erwachsenen Überlebenden von Kinderkrebs, die die spezialisierten Nachsorgesprechstunden besucht haben. Die Studienteilnehmenden wurden einer umfassenden körperlichen Untersuchung unterzogen, und ihre gesundheitsbezogene Lebensqualität mithilfe eines Fragebogens erfasst. Zusätzlich erhielten die Teilnehmenden drei Monate nach dem Besuch der Sprechstunde einen Feedback-Fragebogen, um ihre Zufriedenheit mit der Nachsorge zu bewerten.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die grosse Mehrheit (94 Prozent) der ACCS gesundheitliche Probleme hatte, die durchschnittlich sechs Organsysteme betrafen. Besonders auffällig war, dass ältere ACCS häufiger schwerwiegende Gesundheitsprobleme hatten und über eine schlechtere körperliche und mentale Lebensqualität berichteten als die Schweizer Allgemeinbevölkerung und jüngere ACCS. Trotz dieser Herausforderungen äusserten die meisten Patientinnen und Patienten eine hohe Zufriedenheit mit der Nachsorge und den bereitgestellten Gesundheitsinformationen in den Sprechstunden.

Finanzielle Herausforderungen

Die Studienresultate unterstreichen die Vorteile einer umfassenden, internistengeleiteten multidisziplinären Betreuung. So profitierten auch Patientinnen und Patienten, die zuvor keine regelmässige, risikoadaptierte Nachsorge hatten, von den Sprechstunden. Dr. med. Eva Maria Tinner, Oberärztin der Kinderklink am Inselspital und Koordinatorin für das Nachsorgeprojekt am Kantonsspital Baselland, erläutert:«Die Ergebnisse unserer Studie belegen die Dringlichkeit und den Nutzen von spezialisierten Nachsorgesprechstunden für erwachsene Überlebende von Kinderkrebs. Eine enge Zusammenarbeit zwischen pädiatrischen Onkologinnen und Onkologen und erfahrenen Internistinnen und Internisten ist entscheidend, um die vielfältigen Gesundheitsprobleme der ACCS effektiv zu adressieren.»

Trotz der positiven Ergebnisse stehen spezialisierte Nachsorgesprechstunden vor grossen Herausforderungen. Aufgrund der erheblichen Arbeitsbelastung und knappen finanziellen Ressourcen sind diese Sprechstunden in der Anzahl der ACCS, die sie jährlich aufnehmen können, begrenzt. Die Expertinnen und Experten empfehlen daher, ähnliche Sprechstunden in verschiedenen Regionen der Schweiz zu etablieren, um die Versorgung von Betroffenen zu verbessern. Darüber hinaus zeigt die Studie, dass weitere Forschung notwendig ist, um die Kosteneffizienz und verbesserten klinischen Ergebnisse spezialisierter Nachsorgesettings aufzuzeigen. Vertiefende qualitative Studien könnten zudem helfen, die Bedürfnisse der ACCS noch besser zu verstehen und das Nachsorgemodell weiter zu optimieren. Die Kohortenstudie, deren erste Ergebnisse in dieser Publikation vorgestellt werden, ist weiterhin offen. Die Forschenden hoffen, dadurch zur Klärung der genannten Fragen beizutragen.

Links

Onkologie – Universitätsklinik für Kinderchirurgie, Universitätsklinik für Kinderheilkunde (insel.ch)
University Cancer Center Inselspital (UCI) – Das Tumorzentrum Bern
Nachsorgesprechstunde Bern – Nachsorge – Survivors – Kinderkrebsschweiz (kinderkrebs-schweiz.ch)

Publikation

Tinner EME, Dogan O, Boesing M et al. Characteristics and feedback of adult survivors of childhood cancer seen in Swiss comprehensive follow-up clinics led by general internists: a prospective cohort study. BMJ Open. 2024 Jul 11;14(7):e081823. doi: 10.1136/bmjopen-2023-081823.

Expertin

Dr. med. Eva Maria Tinner, Oberärztin pädiatrische Onkologie und Hämatologie, Kinderklinik, Inselspital, Universitätsspital Bern und Universität Bern, und Wissenschaftliche Mitarbeiterin Pädiatrische Onkologie und Hämatologie, Kantonsspital Baselland, Liestal.

Funding

Berner Stiftung für krebskranke Kinder und Jugendliche
Verein Bärgüf
Stiftung für krebskranke Kinder, Regio Basiliensis