Wie gut ist das neue „Gesundes-Herz-Gesetz“?

Interview mit Professor Dr. Norbert Frey, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie des Universitätsklinikums Heidelberg

Herr Professor Frey, Karl Lauterbach, der Bundesgesundheitsminister, hat ein neues Gesetz vorgestellt, das „Gesundes-Herz-Gesetz“. Er sagt, das Gesetz wird zahlreichen Menschen das Leben retten. Glauben Sie das?

Norbert Frey: Ich glaube, dass das Gesetz auf jeden Fall in die richtige Richtung geht. Und ja, ich würde auch zustimmen, wenn das dann auch umgesetzt wird, dann hat es tatsächlich das Potenzial, sogar Leben zu retten.<

Es geht im Gesetz vor allem um die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, insbesondere um die Verhinderung von Herzinfarkt und Schlaganfall. Dazu sollen bereits Kinder und Jugendliche auf erhöhte Blutfette untersucht werden. Halten Sie das für sinnvoll?

Norbert Frey: Da müsste ich vielleicht kurz ausholen. In Deutschland sind die Herz-Kreislauf-Erkrankungen immer noch die Todesursache Nummer eins. Und auch bei allen Erfolgen, die wir in allen therapeutischen Verfahren feiern konnten, ist das eine Tatsache, an der wir leider nicht vorbeikommen. Und deswegen ist natürlich Prävention ein wichtiger Aspekt, der vielleicht in Deutschland bisher noch nicht ausreichend gewürdigt wurde. Insofern kann man nur begrüßen, wenn es Initiativen gibt, die die Prävention stärken. Jetzt speziell zu der Frage: Es gibt auch genetische Risikofaktoren für zum Beispiel Herzinfarkte. Und da macht es natürlich Sinn, diese relativ früh zu erkennen, um dann auch gegensteuern zu können. Ob das nun sofort Medikamente sind oder erst Lebensstilveränderungen, ist nochmal eine zweite Frage, das hängt vom Einzelfall ab. Aber man muss auf jeden Fall sehr früh diese Risikofaktoren erkennen. In der Bevölkerung herrscht immer noch die Vorstellung, Herzerkrankungen kriegen die übergewichtigen älteren Herren, die rauchen und auch sonst einen ungesunden Lebensstil pflegen. In Wirklichkeit ist es so, dass ich selbst gar nicht selten auch junge Patienten, die vielleicht erst 40 Jahre alt sind, mit Herzinfarkt behandle, die schlank sind, viel Sport gemacht haben und dann aus allen Wolken fallen, wenn man ihnen sagt: Kein Wunder, Sie haben ein stark erhöhtes Cholesterin. Das war ihnen nicht bekannt. Insofern begrüße ich es, frühzeitig, zum Beispiel schon im Jugendalter, gerade genetisch bedingte sehr starke Cholesterinerhöhungen zu erkennen.

Wenn man dann die erhöhten Blutfette findet, sollen leichter als bisher Statine, also Blutfettsenker verordnet werden. Die müssen die Betroffenen dann vermutlich lebenslang einnehmen. Hat das auch Nebenwirkungen?

Norbert Frey: Ja, natürlich, jedes Medikament hat Nebenwirkungen. Aber wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf: Das ist wieder eine sehr deutsche Diskussion, dass man erstmal die Nebenwirkungen betrachtet. In vielen Studien ist nachgewiesen, dass Statine lebensrettende Wirkungen haben. Sie verhindern Herzinfarkte, sie verhindern Schlaganfälle und retten damit Leben. Natürlich sind diese Medikamente auf eine dauerhafte Therapie angelegt, und jedes Medikament, auch Statine, können Nebenwirkungen haben. Das sind aber insgesamt sehr gut verträgliche Medikamente. Und bei den meisten Patienten, bei denen man sie verordnet, überwiegt der Nutzen bei weitem die möglichen Nebenwirkungen.

Erwachsene sollen im Alter von 25, 40 und 50 Jahren Herz-Check-ups erhalten. Es wird auf Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht und Blutfette geschaut. Wie viele Menschen sind in diesem Alter denn schon von einem oder mehreren dieser Risikofaktoren betroffen?

Norbert Frey: Da gibt es eine hohe Dunkelziffer. Ich fange mal beim Bluthochdruck an. Bei über 60-Jährigen haben bis zu 50 Prozent der Bevölkerung einen Bluthochdruck. Und dann macht es natürlich auch Sinn, das rechtzeitig zu erkennen, also zum Beispiel in den 30er- und 40er-Jahren. Denn das Problem mit dem hohen Blutdruck ist: Der tut nicht weh. Man hat keine Beschwerden, man fühlt sich gut. Und wenn man nicht regelmäßig zum Hausarzt geht oder vielleicht nicht selber mal in der Apotheke oder bei sich zu Hause den Blutdruck misst, dann erkennt man das möglicherweise nicht. Einen erhöhten Blutdruck kann man heutzutage wirklich sehr gut behandeln, auch mit gut verträglichen Medikamenten. Und es ist dann schade, wenn das zu spät erfolgt und auch erst dann reagiert wird, wenn zum Beispiel ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall eingetreten ist.

Wichtige Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Rauchen, Bewegungsmangel und Alkohol. Auch dagegen soll es per Gutschein Beratungen in der Apotheke geben. Wird das helfen?

Norbert Frey: Ich denke schon. Man kann ungefähr über den Daumen sagen, die Hälfte der Risikofaktoren, die für Herzerkrankungen eine Rolle spielen, sind durch das Verhalten beeinflussbar, eben durch Ernährung, durch Nichtrauchen, durch Bewegung. Und die andere Hälfte eben nicht, die sind durch genetische Faktoren mitbedingt. Und gerade bei diesen Faktoren, die man durch sein eigenes Verhalten beeinflussen kann, ist es natürlich naheliegend und sinnvoll, sie zuerst anzugehen. Ob solche Maßnahmen wie Gutscheine helfen, muss man vielleicht evaluieren, aber die Idee finde ich erstmal gut und würde auch das sehr unterstützen.

Die Krankenkassen sind von dem Gesetz nicht begeistert. Sie sollen das vermehrte Screening bezahlen und rechnen mit Mehrkosten in Milliardenhöhe. Lauterbach entgegnet: Es wird sich rechnen. War hat recht?

Norbert Frey: Ich kann das natürlich auch nicht im Detail nachrechnen. Aber ich würde davon ausgehen, dass sich das langfristig rechnet, denn die verhinderten Herzinfarkte in fünf oder zehn Jahren, die bringen der Kasse natürlich jetzt noch keine Ersparnis, aber langfristig eben schon. Ich finde aber, dass man diese Diskussion nicht nur auf die Kosten beschränken sollte. Das ist ja auch viel menschliches Leid, das verhindert werden kann. Wer einmal gesehen hat, wie jemand nach einem schweren Herzinfarkt kaum noch die Treppe hochkommt, weil er eine Herzschwäche hat, oder wer an den Folgen eines schweren Schlaganfalls zu leiden hat, dem ist klar, dass es doch besser und sinnvoller wäre, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Insofern finde ich das ein schwieriges Argument. Klar, man muss immer auch auf Kosten achten, aber das scheint mir eine sehr kurzfristige Betrachtung zu sein.

In England gibt es bereits ähnliche Maßnahmen seit 2009. Angeblich konnten dort die Raten von Herzinfarkt und Schlaganfall um 20 bis 40 Prozent gesenkt werden. Erwarten Sie das auch für Deutschland?

Norbert Frey: Dazu muss man wissen, dass auch in Deutschland und in fast allen westlichen Ländern in den letzten 10, 15 Jahren die Herzinfarktraten bereits zurückgegangen sind. Das ist jetzt schon der Fall. Unter anderem durch gesundheitsbewussteres Verhalten der Bevölkerung. Aber es ist trotzdem immer noch die häufigste Todesursache, also der Rückgang ist noch nicht ausreichend. Um wie viel Prozent diese Maßnahmen, die jetzt beschlossen wurden, die Sterblichkeit senken werden, das wird man abwarten müssen. Aber ich halte es für realistisch, dass in einer ähnlichen Größenordnung ein zusätzlicher Effekt erzielt werden kann.

Was empfehlen Sie denn persönlich, um dem frühzeitigen Tod durch Herzinfarkt oder Schlaganfall zu entgehen?

Norbert Frey: Erstens finde ich es immer wichtig, wir hatten ja vorhin kurz über das genetische Risiko gesprochen, dass man sich einmal klarmacht, wie es eigentlich in der eigenen Familie steht. Wenn bereits Eltern, Mutter, Vater in jungen Jahren, das heißt in einem Alter unter 60, Herzinfarkte, Schlaganfälle hatten, dann ist leider, auch wenn man selbst sich perfekt gesundheitsbewusst verhält, auch das eigene Risiko deutlich erhöht. Und das wäre dann sicher auch jetzt schon ein Grund, unabhängig von diesem Gesetz, sich zu einer ausführlichen präventiven Beratung beim Hausarzt vorzustellen. Was ich sonst rate, das sind die Dinge, die alle kennen: Jeder sollte versuchen, ein aktives Leben zu führen, also mit viel Bewegung im Alltag, so schwer das vielleicht auch im beruflichen Kontext manchmal sein mag. Übergewicht vermeiden, Rauchen vermeiden. Damit kann man schon einen großen Teil des Risikos, vielleicht ein Drittel, vermeiden. Aber ich wiederhole nochmal: Das reicht eben auch nicht aus. Man muss eben auch gucken, ob man ein genetisches Risiko trägt. Und es ist relativ simpel, den Cholesterinspiegel zu messen und, falls er stark erhöht wäre, rechtzeitig darauf zu reagieren.

Herr Prof. Frey, Deutschland hat in Europa die höchsten Ausgaben für die Gesundheit, aber leider nur die zweitschlechteste Lebenserwartung. Liegt das vor allem an den Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und könnte das neue Gesetz hier die entscheidende Wende bringen?

Norbert Frey: Ich kenne keine Daten, die das nur auf die Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückführen, aber sie sind sicher eine wichtige Komponente. Und ich glaube, die Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist in Deutschland ziemlich gut. Wir haben flächendeckend die Möglichkeit, auf hohem Niveau Patienten kardiologisch und auch herzchirurgisch betreuen. Wir können viele Herzerkrankungen mit hoher Qualität behandeln. Auf der anderen Seite gibt es noch nicht ausreichend präventive Maßnahmen. Auch der Lebensstil in Deutschland ist im Schnitt nicht so gut, wir sind etwas übergewichtiger als der Rest von Europa, und es rauchen noch relativ viele, und auch der Cholesterinspiegel ist vielfach noch nicht so gut behandelt, wie er das laut Leitlinien sein sollte.

Im Fazit begrüßen Sie das neue Gesetz von Herrn Lauterbach?

Norbert Frey: Ja, ich begrüße das. Man kann immer über Details reden und ob da irgendwas noch optimierbar ist, aber es geht in die richtige Richtung. Und vor allem rückt es die Prävention mehr in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Insofern kann ich das nur begrüßen.

Dann ganz herzlichen Dank für das Interview.

Norbert Frey: Gerne.

Das Interview führte Stefanie Seltmann.