Klima und Altern: Wie Risiken für ältere Menschen vermindert werden

Die Folgen von Klimawandel und Umweltverschmutzung betreffen ältere Menschen aufgrund ihrer erhöhten Vulnerabilität in besonderem Maße. Auf dramatische Weise zeigen dies extreme Hitzeereignisse wie 2021 im kanadischen British Columbia: Dort war die durchschnittliche Zahl der täglichen Zugänge in Notaufnahmen wegen hitzebedingter Erkrankungen 69 Mal höher als im gleichen Zeitraum zwei Jahre zuvor – besonders häufig versorgt werden mussten Personen über 75 Jahre. Auch in Deutschland sind solche Szenarien denkbar und die Expertise von Geriaterinnen und Geriatern ist gefragt. In den Fokus rückt dieses bisher noch zu wenig beachtete Thema Professor Jürgen M. Bauer (Foto), Ärztlicher Direktor des Geriatrischen Zentrums am Universitätsklinikum Heidelberg sowie Direktor des Netzwerkes Altersforschung der Universität Heidelberg, mit seiner Keynote „Klima und Altern“ am 12. September beim Gerontologie- und Geriatrie-Kongress in Kassel. Dabei beleuchtet er wichtige Fragen nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen: Welches sind die spezifischen Risiken für ältere Menschen und wie vermindert man diese – zum Beispiel im Kontext der Pharmakotherapie? Wie verhalten sich Umweltbelastungen und das Konzept des Healthy Aging zueinander? Welche Ansätze des Umweltschutzes bedürfen einer Anpassung in Hinblick auf die ältere Bevölkerung?

In seiner Keynote wird Jürgen M. Bauer die Kongress-Teilnehmer für verschiedene Herausforderungen im Kontext des Klimawandels und der Umweltverschmutzung sensibilisieren. Ein mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartbares Szenario basiert auf der Annahme, die Anzahl von Hitzeepisoden nehme ebenso zu wie deren Intensität und Dauer. „Besonders gefährlich für ältere Menschen sind die sogenannten tropischen Nächte, bei denen keine ausreichende Abkühlung stattfindet. Vor allem diejenigen, die zu Hause pflegebedürftig sind oder in Pflegeheimen versorgt werden, sind hier besonders bedroht. Wissenschaftlich fundierte Handlungsanweisungen für Pflegende und Angehörige sollten rechtzeitig kommuniziert werden“, erklärt der Experte. Darüber hinaus ist mit regionalen Extremhitzeereignissen um 40 Grad Celsius, sogenannten „Heat Domes“, zu rechnen. Diese können schnell zu einer Überlastung der Notaufnahme-Strukturen führen. Hier wäre eine Anpassung der Katastrophenschutzpläne an sich erforderlich.

Umgebungstemperatur und Medikation im Blick haben

Präventionsmaßnahmen, um mit diesen Herausforderungen erfolgreich umzugehen, können an vielen verschiedenen Stellen ansetzen. Dazu gehört im konkreten Umfeld zum Beispiel die Sicherstellung einer verträglichen Zimmertemperatur, sachkundige Informationen über die empfohlene Lüftung von Räumen, eine ausreichende Hydratation sowie Anpassungen der medikamentösen Therapie. Neben Diuretika und Antihypertensiva sollten bei transdermalen Systemen sowie bei subkutan verabreichten Medikamenten eine Dosisanpassung erwogen werden.

Umweltfreundliche Ernährung muss altersgerecht sein

Auch sind bestimmte Klima- und Umweltschutzmaßnahmen auf ihre Anwendbarkeit für ältere Menschen zu überprüfen. Das gilt zum Beispiel für die sogenannte „Planetary Health Diet“, die die EAT-Lancet Kommission entwickelt hat, um die Gesundheit der Menschen und des Planeten gleichermaßen zu schützen. Empfohlen wird dabei eine vorwiegend pflanzenbasierte Ernährung, die einen geringen Anteil an Fleisch- und Milchprodukten beinhaltet. Mehrere aktuelle Studien, die Professor Jürgen M. Bauer vorstellen wird, nahmen unlängst die älteren Menschen in den Blick. „Dabei zeigt sich, dass diese Zielgruppe durch die vorgeschlagene Diät einem erhöhten Risiko für eine Unterversorgung mit bestimmten Nährstoffen ausgesetzt wird. Bei Einhaltung der Empfehlung wird unter Umständen zu wenig Calcium, Vitamin B12 und hochwertiges Protein zugeführt. Das heißt, wir müssen auch hier bei unseren Patientinnen und Patienten genau hinschauen und gegebenenfalls diese Empfehlung modifizieren“, so Bauer.

Einbindung geriatrischer Expertise in Aktionspläne nötig

Auf nationaler Ebene sei es zudem wichtig, Geriaterinnen und Geriater stärker in den Umweltschutz einzubinden – zum Beispiel bei der Erstellung von lokalen Hitzeaktionsplänen. „In größeren Städten sind zudem die verschiedenen Stadtviertel in der Regel sehr unterschiedlich von Hitze, Feinstaub- und Ozonbelastung betroffen. Das heißt, man kann auch in der Praxis und im Krankenhaus aufgrund eines unterschiedlichen Einzugsbereichs mit sehr unterschiedlichen Szenarien konfrontiert sein“, erklärt Bauer. Dies betrifft auch die Gefährdung der älteren Menschen durch eine erhöhte Feinstaubbelastung, welche sowohl das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen als auch für einen beschleunigten funktionellen Abbau erhöht. Um zukünftig mit diesen großen Herausforderungen besser umgehen zu können, seien ein gemeinschaftliches Vorgehen und eine entsprechende politische Willensbildung nötig – und zwar mit Unterstützung durch geriatrische Expertise.

Zur Person:Professor Jürgen M. Bauer ist Ärztlicher Direktor des Geriatrischen Zentrums am Universitätsklinikum Heidelberg, Agaplesion Bethanien Krankenhauses Heidelberg, sowie Direktor des Netzwerkes Altersforschung der Universität Heidelberg. Von 2016 bis 2018 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie und im Jahr 2018 Präsident des Europäischen Geriatrie-Kongresses. 2020 bis 2024 durfte er als Fachkollegiat die Geriatrie bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vertreten. Seit 2022 ist er ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften des Landes Baden-Württemberg und seit kurzem versieht er das Amt des Incoming President der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin.

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Professor Jürgen M. Bauer
Keynote-Vortrag: „Klima und Altern“
Gerontologie- und Geriatrie-Kongress
Hörsaal 1 im Campus Center auf dem Campus Holländischer Platz der Universität Kassel
Donnerstag, 12. September, 14.15 bis 15 Uhr