Transfusionsmediziner warnen: ohne Arzt vor Ort leiden Vertrauen und Spendersicherheit

Blutspende per Telemedizin

Köln Das Bundesgesundheitsministerium hat mit Vorlage eines Entwurfes zur Telemedizin-Blutspende-Verordnung im vergangenen Juni die Einführung telemedizinischer Verfahren bei der Blut- und Plasmaspende forciert. Ärztinnen und Ärzte müssten dann bei der Blutspende in vielen Fällen nicht mehr in Präsenz anwesend sein, sondern würden nur noch digital zugeschaltet. Die Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI) hat auf einer Pressekonferenz am 4. September 2024 begrüßt, dass die Politik die Möglichkeiten der Digitalisierung in der Medizin ausschöpfen möchte. Zugleich befürchtet die Fachgesellschaft, dass der Verzicht auf qualifiziertes ärztliches Personal vor Ort das Vertrauen in das Blutspende-Verfahren beeinträchtigen und die Gesundheit der Spendenden gefährden könnte. Zudem ergäben sich Fragen nach der ärztlichen Haftung.

Am 11. Mai 2023 hat der Deutsche Bundestag eine Änderung des Transfusionsgesetzes (TFG) beschlossen: Diese sieht vor, dass der Einsatz telemedizinischer Verfahren bei der Durchführung von Blut- und Plasmaspenden grundsätzlich zulässig werden soll. Im Juni 2024 folgte der Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zur Telemedizin-Blutspende-Verordnung. Damit will der Gesetzgeber dem Mangel an ärztlichem Fachpersonal Rechnung tragen und dadurch die Durchführung von Spendeterminen und die Versorgung mit Blut und Plasma in Deutschland weiterhin sicherstellen. „Wir unterstützen es ausdrücklich, dass der Gesetzgeber nach Wegen sucht, viele Blutspenden zu ermöglichen, auch über Möglichkeiten der Digitalisierung“, erklärte Professor Dr. med. Holger Hackstein, Präsident der DGTI, auf der Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch. Allerdings sieht die Fachgesellschaft den jüngst verabschiedeten Entwurf unter mehreren Gesichtspunkten kritisch.

Blutspende per Telemedizin: Geht das ohne ärztliche Begleitung?

Bei einer telemedizinischen Blutspende ist kein ärztliches Fachpersonal mehr vor Ort, weder bei der Feststellung der Spendentauglichkeit noch bei der Blutspende selbst. Der Arzt oder die Ärztin werden nur per Video zugeschaltet. Anstelle eines Arztes oder einer Ärztin führt nicht-ärztliches Fachpersonal, unter Umständen auch nicht-medizinisch ausgebildetes Fachpersonal, die Blutspende durch. Die Richtlinie sieht vor, dass Telemedizin insbesondere bei Menschen, die wiederholt Blut spenden, zum Einsatz kommen soll.

„Um die Gesundheit der Spendenden im Vorfeld und Verlauf der Spende und damit die Sicherheit des Blutspende-Verfahrens insgesamt sicherzustellen, halten wir die Anwesenheit eines Arztes oder einer Ärztin für dringend geboten“, sagte Dr. med. Sven Peine, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin am UKE Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Per Videoübertragung können Ärztinnen und Ärzte den tatsächlichen Gesundheitszustand des potenziellen Spendenden schlechter beurteilen: Bekommt die potenziell spendende Person gut Luft, ist sie bleich oder sind ihre Lippen leicht bläulich? Wenn ich der Person gegenübersitze, fällt diese Einschätzung leichter. Hier schließen sich auch immer Fragen nach der ärztlichen Haftung und dem Unterlaufen der ärztlichen Sorgfaltspflicht an – dies ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar.“

DGTI warnt vor Vertrauensverlust durch telemedizinische Blutspende

„Viele Menschen, die regelmäßig Blut spenden, vertrauen dem Verfahren. Das liegt auch am Transfusionsgesetz, das in seiner bisherigen Form klare Rahmenbedingungen für die Blutspende festsetzt. Das Vertrauen fußt auch auf der guten ärztlichen Betreuung und Sicherheit, die bei der Blutspende immer gegeben ist“, so der Hamburger Experte. „Aus Gründen des Gesundheitsschutzes betreuen Transfusionsmediziner die Menschen bei der Blutspende besonders vertrauens- und verantwortungsvoll. Und dazu gehört, dass ausreichend qualifiziertes Personal anwesend ist, um bei Kreislaufproblemen oder anderen plötzlich auftretenden Komplikationen schnell einschreiten zu können“, betonte Peine. Das große Vertrauen der Spenderinnen und Spender in diese gute Betreuung sei die Grundlage dafür, dass Deutschland ausreichend mit sicheren Blutprodukten versorgt wird.

Daher sieht die DGTI die telemedizinische Blutspende und die damit verbundenen Änderungen kritisch: „Als Fachgesellschaft wollen wir das Vertrauen in die Blutspende und ihre Sicherheit erhalten. Auch ohne die Telemedizin-Blutspende-Verordnung ist die Durchführung von Spendenterminen in Deutschland sichergestellt. Zudem gibt es derzeit keine wissenschaftlichen Erkenntnisse dafür, dass die Blutspendebereitschaft in der Bevölkerung steigt oder die Versorgungssicherheit in Deutschland profitiert, wenn Ärztinnen und Ärzten bei der Blutspende nicht mehr vor Ort sind“, sagte DGTI-Präsident Hackstein.

Wenn mit Einführung der telemedizinischen Blutspende ärztliche Aufgaben an andere Berufsgruppen delegiert würden, sei nicht auszuschließen, dass Versorgungs- und Qualitätsstandards absinken. „Damit setzen wir die Bereitschaft zur Blutspende in der Bevölkerung aufs Spiel“, warnte der Experte. Insbesondere Erstspendende könnte dies abschrecken.

DGTI fordert weitere Studien zur telemedizinischen Blutspende

Dabei wird jede Blutspende dringend benötigt. Der demografische Wandel hat zur Folge, dass in den nächsten Jahren viele Menschen aus den sehr geburtenstarken Jahrgängen aus der aktiven Blutspendetätigkeit ausscheiden werden. „Gleichzeitig werden viele dieser Menschen selbst als Patientinnen und Patienten auf Blutkonserven angewiesen sein. Der Bedarf an Blutprodukten wird also wachsen“, sagte der Transfusionsmediziner Peine.

„Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sollte eine so tiefgreifende Änderung im Transfusionsgesetz wie die telemedizinische Blutspende zwingend auf Basis gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse geschehen“, so DGTI-Präsident Hackstein. „Daher fordert die DGTI die Gewinnung weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse gemäß den Grundsätzen evidenzbasierter Medizin.“