Neurodegenerative Erkrankungen: Fortschritte bei der Diagnose
Im Alltag eines Universitätsklinikums tauchen regelmäßig Patienten mit Erkrankungen auf, die – weil so selten und so speziell – in den Praxen niedergelassener Ärzte kaum bekannt sind. Ein Beispiel: die sogenannten primären 4-Repeat-Tauopathien. Das sind Erkrankungen, die in erster Linie mit Bewegungsstörungen einhergehen, oft aber auch dem klinischen Bild einer Alzheimer-Krankheit ähneln. Das erschwert die genaue Diagnose. Nun haben Forschende des LMU Klinikums Biomarker gefunden, die eine sichere Unterscheidung beider Krankheitsbilder gestattet – aber nur zusammen mit den Daten eines besonderen bildgebenden Verfahrens, der Positronen-Emissions-Tomographie (PET).
„Der von uns entwickelte neue diagnostische Algorithmus ermöglicht eine präzisere Differenzierung zwischen Alzheimer-Krankheit und primären Tauopathien, was eine frühere und genauere Diagnose erleichtert und personalisierte Behandlungsstrategien unterstützt“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Matthias Brendel, Kommissarischer Direktor der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin am LMU Klinikum und Mitglied im Exzellenzcluster SyNergy. Die Ergebnisse wurden jetzt in „Alzheimer’s & Dementia: The Journal of the Alzheimer’s Association“ veröffentlicht.
Sowohl bei der Alzheimer-Krankheit als auch bei den primären 4-Repeat-Tauopathien finden sich im Gehirn große Mengen krankhafter Aggregate des sogenannten Tau-Proteins. Seit Jahrzehnten schon lässt sich das Tau-Protein bei der Alzheimer-Krankheit durch Analyse der Liquor-Flüssigkeit („Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit“) nachweisen.
In jüngster Zeit aber haben Forschende radioaktiv markierte Substanzen („Tracer“) entwickelt, die sich nach Injektion in den Körper an den Tau-Aggregaten anreichern, was auf den Bildern der PET zu sehen ist. „Unsere neue Studie zeigt, dass Tau auch bei den 4-Repeat-Tauopathien mit dem neuartigen Tau-PET-Tracer nachgewiesen werden kann, aber nicht in der Liquorflüssigkeit, sondern in ganz speziellen Hirnbereichen, den subkortikalen Hirnregionen“, erklärt Roxane Dilcher, die Erstautorin der Studie.
Das PET-Signal ist aber nur ein Baustein einer neuen komplexen Diagnosestellung. Die Forschenden haben zusätzlich neue Biomarker gefunden, die auf das Vorliegen einer 4-Repeat-Tauopathie hinweisen. „Richtig gut werden wir, wenn wir die Kombination von Nervenwasser-Untersuchung, innovativen Biomarkern und PET-Signal in den subkortikalen Regionen analysieren“, sagt Matthias Brendel, „dann können wir eine 4-Repeat-Tauopathie mit hoher Sicherheit erkennen.“
„Derzeit werden primäre 4-Repeat-Tauopathien fast ausschließlich anhand klinischer Kriterien diagnostiziert, ohne spezifische Biomarker, die eine eindeutige Diagnose bei Patienten ermöglichen“, sagt Co-Seniorautor Dr. Nicolai Franzmeier, Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD), „die Etablierung einer biologischen Definition und zugehöriger Biomarker-Workflows wird das Forschungsfeld eindeutig voranbringen.“
Originalpublikation:
Combining cerebrospinal fluid and PI-2620 tau-PET for biomarker-based stratification of Alzheimer’s disease and 4R-tauopathies
Roxane Dilcher, Stephan Wall, Mattes Groß, Sabrina Katzdobler, Olivia Wagemann, Carla Palleis, Endy Weidinger, Urban Fietzek, Alexander Bernhardt, Carolin Kurz, Christian Ferschmann, Maximilian Scheifele, Mirlind Zaganjori, Johannes Gnörich, Katharina Bürger, Daniel Janowitz, Boris-Stephan Rauchmann, Sophia Stöcklein, Peter Bartenstein, Victor Villemagne, John Seibyl, Osama Sabri, Henryk Barthel, Robert Perneczky, Florian Schöberl, Andreas Zwergal, Günter U. Höglinger, Johannes Levin, Nicolai Franzmeier, Matthias Brendel
Alzheimer’s & Dementia, 2024
https://alz-journals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/alz.14185