„Ich konnte den Tumor selbst noch nicht tasten“
Brustkrebs kann erblich bedingt sein. Wegen des Verdachts auf eine entsprechende Genveränderung ließ sich Astrid Witte im Zentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs am UKM testen. Wenn das Erkrankungsrisiko wie bei ihr deutlich erhöht ist, können sich nicht nur die Betroffenen, sondern auch ihre Angehörigen eingehend über Möglichkeiten zur Prävention und zur intensivierten Früherkennung beraten lassen. Bei Astrid Witte wurde dank dieser engmaschigen Untersuchungen ein bösartiger Tumor zeitig erkannt.
„Eigentlich hatte ich es schon geahnt“, erinnert sich Astrid Witte an den Moment zurück, als sie 2018 von den Spezialistinnen und Spezialisten des Zentrums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs am UKM (Universitätsklinikum Münster) erfuhr, dass aufgrund einer Genveränderung das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, stark erhöht war. Im Jahr zuvor war bei der heute 55-Jährigen Eierstockkrebs diagnostiziert worden. „Ich hatte damals schon die Vermutung, dass meine Krebserkrankung erblich bedingt sein könnte. Mein Vater ist ein Familienmensch und organisiert regelmäßig Sippentreffen. Da ist mir aufgefallen, dass sich die Krebserkrankungen in der Familie häufen. Ich wollte es wissen – nicht nur für mich.“ Denn wenn eine vererbbare Genmutation bekannt ist, kann nicht nur die Therapie für die Betroffenen individuell angepasst werden – auch Familienangehörige können sich in spezialisierten Zentren beraten und gegebenenfalls testen lassen, ob sie ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben.
„Die Genetik ist relevant, um das Risiko für zukünftige oder erneute Erkrankungen möglichst genau vorhersagen zu können“, erklärt Prof. Frank Tüttelmann, Direktor der Klinik für Medizinische Genetik am UKM. Bei Astrid Witte wurde durch den Test eine Mutation im sogenannten BRCA2-Gen (abgekürzt von BReast CAncer) nachgewiesen, wodurch die Wahrscheinlichkeit für Brustkrebs auf 60 bis 80 Prozent erhöht war. „Ich habe dann an den engmaschigen Untersuchungen zur Früherkennung teilgenommen. Im Sommer dieses Jahres wurde dadurch eine bösartige Veränderung in der linken Brust entdeckt“, erzählt Witte. Es folgten Operation, Chemo- und Strahlentherapie. „Das volle Programm war notwendig. Das kostet Kraft“, beschreibt die gelernte Arzthelferin aus Rosendahl die körperlich und psychisch belastende Zeit. „Aber ich bin froh, dass der Tumor durch die intensivierte Früherkennung zeitig aufgefallen ist. Ich konnte ihn selbst noch nicht tasten.“
„Frauen, bei denen eine der entsprechenden Genveränderungen nachgewiesen wurde, werden engmaschiger bilddiagnostisch überwacht“, erklärt Dr. Joke Tio, Koordinatorin des zum WTZ (Westdeutsches Tumorzentrum) Münster gehörenden Brustzentrums am UKM. Ultraschall-, MRT- und Mammographie-Untersuchungen werden dabei in verkürzten Abständen durchgeführt. Zusätzlich stehen den Betroffenen auch verschiedene medikamentöse und operative Optionen zur Prävention zur Verfügung. „Natürlich ist das Wissen um ein erhöhtes Erkrankungsrisiko auch mit vielen Ängsten und Sorgen verbunden und erfordert oft weitreichende Entscheidungen“, so die Gynäkologin. Daher gebe es für die Betroffenen das Angebot, sich auch psychoonkologisch beraten zu lassen. „Spätestens seit dem offenen Umgang der Schauspielerin Angelina Jolie mit ihrer erblichen Vorbelastung und der prophylaktischen Amputation beider Brüste haben viele schon mal von Veränderungen in den Genen BRCA1 und BRCA2 gehört“, erzählt Tio. Es gebe aber noch weitere Gene, die das Risiko nicht nur für Brust- und Eierstockkrebs, sondern auch für weitere Krebserkrankungen wie zum Beispiel Prostata- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs steigern – es können also auch Männer betroffen sein. „Derzeit untersuchen wir routinemäßig 13 dieser Gene. Und jedes ist ein bisschen anders.“ Je mehr man über die jeweilige Genmutation wisse, desto besser ließen sich die damit verbundenen Risiken einschätzen und im Krankheitsfall die Therapie passgenau planen. „Die genetischen Analysen bei familiären Krebserkrankungen machen kontinuierlich und schnell Fortschritte“, ergänzt auch Prof. Frank Tüttelmann. „Das ermöglicht uns, bei noch mehr Betroffenen eine genetische Ursache zu identifizieren und damit die Behandlung individuell zu gestalten.“
Astrid Witte hat sich inzwischen von der anstrengenden Zeit erholt. „Es geht mir wieder gut. Ich gehe viel spazieren und tanke Kraft in der Natur. Im Herbst möchten wir gerne ein paar Tage mit dem Wohnmobil verreisen“, blickt sie nach vorn. Die Rosendahlerin ist dankbar für die Unterstützung, die sie von ihrer Familie und Freunden bekommt, mit denen sie offen über ihre erblich bedingten Krebserkrankungen spricht, um auf das Thema aufmerksam zu machen.
Info: Für weitere Informationen zu erblich bedingtem Brust- und Eierstockkrebs und den familiären Risikokonstellationen, bei denen ein Beratungsgespräch und ein Gentest empfohlen werden: www.ukm.de/fbrek