Rätsel um CAR-T-Zelltherapie gelöst: Krebsforscher der Uniklinik Düsseldorf finden Erklärung für weltweit viel diskutierte Nebenwirkung

Im Patienten bereits angelegte Stammzell-Mutationen können der Auslöser für sekundäre Krebserkrankungen sein. Screening kann Anhaltspunkte für genauere Risikobewertung liefern.

Düsseldorf (ukd).In einer Publikation im renommierten New England Journal of Medicine sind Forscher des Universitätsklinikums Düsseldorf (UKD) der Entstehung einer in den vergangenen Wochen und Monaten weltweit vieldiskutierten Nebenwirkung der CAR-T-Zelltherapie auf den Grund gegangen. Die CAR-T-Zelltherapie ist eine neuartige Behandlungsform, bei der körpereigene Immunzellen, sogenannte T-Zellen, gentechnisch so modifiziert werden, dass sie Krebszellen gezielt erkennen und zerstören können. Diese hochmoderne Therapie wird bereits erfolgreich in der klinischen Routineversorgung eingesetzt und kann bei ausgewählten Erkrankungen, wie etwa bösartigen Lymphomen, zur Heilung führen. Auch in der Behandlung verschiedener Autoimmunerkrankungen konnten erste, vielversprechende Erfolge mit der CAR-T-Zelltherapie verzeichnet werden.

In seltenen Fällen wurden nach der CAR-T-Zelltherapie tatsächlich sekundäre Krebserkrankungen, sogenannte T-Zell Lymphome, beobachtet. Dies hat Besorgnis ausgelöst, da man befürchtete, dass diese sekundären Malignome durch die gentechnischen Veränderungen der T-Zellen verursacht worden sein könnten. Die umfassende Analyse eines Einzelfalls durch Forscher der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Klinische Immunologie am UKD – unterstützt von Kolleginnen und Kollegen aus Kiel, Heidelberg, Berlin und Basel sowie anderen Fachabteilungen in Düsseldorf, legt nun dar, dass nicht die Herstellungsprozedur der CAR T-Zellen verantwortlich für die Entstehung einer weiteren Krebserkrankung gewesen ist. Vielmehr konnten im Patienten angelegte Mutationen in den blutbildenden Stammzellen (hämatopoetische Stammzellen) als Ursache ausgemacht werden. Derartige Mutationen können in Blutstammzellen spontan entstehen, ihre Entstehung wird jedoch durch Chemotherapeutika und Bestrahlung begünstigt.  „Nach unseren tiefgehenden Analysen ist davon auszugehen, dass wir eine wichtige Ursache für die auftretenden sekundären Krebserkrankungen gefunden haben“, sagt Prof. Dr. Guido Kobbe, Erstautor der Publikation im New England Journal of Medicine, Oberarzt der Hämatologie, Onkologie und Klinische Immunologie und Leiter der allogenen Stammzelltransplantation. Klinikdirektor Prof. Dr. Sascha Dietrich ergänzt: „Weniger detaillierte Erfahrungsberichte aus anderen Ländern deuten in eine ähnliche Richtung. Mit unserer Publikation leisten wir einen Beitrag, die Verunsicherung rund um die CAR-T-Zelltherapie zu reduzieren.“

Weltweite Aufmerksamkeit aufgrund sekundärer Krebserkrankungen

Die nach CAR-T-Zelltherapien in seltenen Fällen auftretenden Zweitkrebserkrankungen, insbesondere sekundäre T-Zell Lymphome, haben viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Es gab sogar Befürchtungen, dass das Behandlungsverfahren aufgrund der ungeklärten Erkrankungen nicht mehr zur Anwendung kommen darf. Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA verschickte Ende vergangenen Jahres Warnhinweise und kündigte eine Untersuchung der Fälle an. Das deutsche Paul-Ehrlich-Institut, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, informierte die Ärzteschaft im vergangenen Juli mit einem sogenannten Rote-Hand-Brief und formulierte darin die Empfehlung, Patientinnen und Patienten nach erfolgter CAR-T-Zelltherapie lebenslang zu überwachen.

In der Publikation im New England Journal of Medicine beschreiben die Düsseldorfer Forscher die Entstehung eines T-Zell-Lymphoms, also einer Zweitkrebserkrankung, nach einer CAR-T-Zelltherapie. Zunächst hatte der schwer an einem primären Lymphom des Zentralnervensystems erkrankte Patient gut auf die Immuntherapie angesprochen. Allerdings stellte das Behandlungsteam etwa sechs Wochen nach Verabreichung der Infusion ein peripheres T-Zell-Lymphom fest, welches aus den gentechnisch veränderten CAR-T Zellen entstanden war und wies es im Blut und im Knochenmark nach. Der Patient ist kurze Zeit später trotz intensiver Therapie an diesem CAR+ T-Zell Lymphom verstorben.

Bereits bestehende Mutationen als Ursache

Genauere Nachforschungen mit Hilfe einer DNA-Sequenzierung brachten in den Lymphomzellen neben dem CAR-Vektor auch mehrere Mutationen in den Genen DNMT3A und TET2 zum Vorschein, die mit hämatologischen Krebserkrankungen in Zusammenhang stehen. Diese Mutationen konnten aber mit sehr empfindlichen Nachweisverfahren in sehr niedriger Frequenz bereits in dem patienteneigenen Material nachgewiesen werden, das für die Herstellung der optimierten CAR-T-Zellen verwendet worden war.

Die Untersuchungen legen also nahe, dass in dem beschriebenen Fall bereits vor der Immuntherapie eine Vermehrung mutierter Zellen im Patienten bestanden hatte – eine sogenannte klonale Hämatopoese – die auch die T-Zellen betraf, aus denen das Immuntherapeutikum hergestellt wurde. Es ist davon auszugehen, dass diese klonale Hämatopoese maßgeblich zur Ausbildung des T-Zell-Lymphoms beigetragen hat. Eine weitere Erkenntnis: Mutationen in den oben genannten Genen, können im Fall einer CAR-T-Zelltherapie das Risiko erhöhen, dass sich eine weitere bösartige Erkrankung entwickelt.

„Einen Hinweis darauf, dass der Mechanismus der CAR-T-Zelltherapie selbst die Entstehung des Lymphoms verursacht hat, fanden wir nicht“, sagt Prof. Dr. Guido Kobbe. „Allenfalls kann eine Beschleunigung im Krankheitsverlauf angenommen werden.“

Mögliche Vorsorge im Vorfeld von CAR-T-Zelltherapien

Prof. Dr. Sascha Dietrich sieht in einem Screening auf die jetzt entdeckten Mutationen die Möglichkeit, vor einer CAR-T-Zelltherapie für jede Patientin und jeden Patienten eine hoch-individuelle Risikoabwägung vornehmen zu können. „In Düsseldorf führen wir dieses Screening nun durch und schauen dann – auch mit Blick auf das zugrunde liegende Krankheitsbild und in Absprache mit der jeweiligen Patientin oder dem jeweiligen Patienten – inwieweit die CAR-T-Zelltherapie eine geeignete Behandlungsoption sein kann.“

Originalpublikation

Guido Kobbe, M.D., Monika Brüggemann, M.D., Ben-Niklas Baermann, M.D.,
Laura Wiegand, Heiko Trautmann, Ph.D., Schayan Yousefian, M.Sc.,
Silvana Libertini, Ph.D., Hans D. Menssen, M.D., Harald J. Maier, M.D.,
Peter Ulrich, Ph.D., Jingbo Gao, M.D., Peter-Martin Bruch, M.D.,
Nora Liebers, M.D., Aleksandar Radujkovic, M.D., Marc Seifert, Ph.D.,
Christina Schniederjohann, M.Sc., Nagarajan Paramasivam, Ph.D.,
Donnacha Fitzgerald, Ph.D., Maximilian Seidel, M.D., Irene Esposito, M.D.,
Ulrich Germing, M.D., Ron-Patrick Cadeddu, Ph.D., Kathrin Nachtkamp, M.D.,
Paul Jäger, M.D., Thomas Ulrych, M.D., Johannes C. Fischer, M.D.,
Jutta M. Rox, M.D., Frederik Giesel, M.D., Raphael Koch, M.D.,
Gerald Antoch, M.D., Jörg H.W. Distler, M.D., Sven G. Meuth, M.D.,
Malte Jacobsen, M.D., Daniel Hübschmann, M.D., Ph.D., Junyan Lu, Ph.D.,
Ingram Iaccarino, Ph.D., Simon Haas, Ph.D., Frederik Damm, M.D., and
Sascha Dietrich, M.D.,

„Aggressive Lymphoma after CD19 CAR T-Cell Therapy“, 2024/10/02,

DOI: 10.1056/NEJMoa2402730
https://doi.org/10.1056/NEJMoa2402730