Nicht nur Menschen mit Untergewicht sind mangelernährt
Fragen an… Dr. Geraldine de Heer
Frau Dr. de Heer, worauf weist uns der „Nutrition Day“ am 14. November hin?
Dr. Geraldine de Heer: Der „Nutrition Day“ ist eine internationale Aktion, bei der wir für Ernährung von Patient:innen und Mangelernährung sensibilisiert werden sollen. Kliniken und Pflegeheime auf der ganzen Welt können an einer eintägigen Querschnittserhebung teilnehmen, um Ernährungsrisiken einschätzen zu können. Die Daten werden anonymisiert gesammelt und anschließend ausgewertet. Hintergrund dieser Aktion ist, dass bis zu 40 Prozent von hospitalisierten Patient:innen weltweit von krankheitsbedingter Mangelernährung betroffen sind. Eine hohe Zahl – zu hoch!
Was sind die häufigsten gesundheitlichen Probleme, die sich aus Mangelernährung ergeben?
Mangelernährung ist ein komplexes Problem, das leider immer noch häufig unterschätzt wird. Von Mangelernährung können sehr viele Menschen betroffen sein, vor allem ältere Menschen, Menschen mit chronischen Erkrankungen, etwa Krebserkrankungen. Das Thema betrifft aber auch junge Menschen, häufig etwa auch Menschen, die sozial isoliert sind, die sich vielleicht eine gesunde Ernährung nicht leisten können, Menschen mit Über- und mit Untergewicht. All diese Menschen können von Mangelernährung betroffen sein. Mangelernährung schwächt das Immunsystem und wir sehen aus diesem Anlass gehäuft infektiöse Komplikationen bei unseren Patient:innen. Daraus können sich Wundheilungsstörungen ergeben. Langfristige Mangelernährung geht mit einer Verminderung der Muskelmasse und der Muskelkraft einher, was dazu führt, dass Muskeln da, wo sie gebraucht werden, nicht eingesetzt werden können. Das heißt, Menschen sind weniger beweglich, sie sind weniger in der Lage, sich selbst zu versorgen oder können eventuell gar nicht mehr richtig atmen.
Wie behandeln Sie Patient:innen bei einer ernährungsmedizinischen Therapie?
Wir untersuchen die Patient:innen und schauen, was sie brauchen, worunter sie leiden. Dann erheben wir, was sie benötigen, welche Nährstoffe, welche Makronährstoffe, welche Mikronährstoffe, welche Kalorien erforderlich sind. Und dann machen wir einen Plan und überlegen, wie wir das den Patient:innen zukommen lassen können, ob wir besondere Nahrungsmittel verwenden oder ob wir eben auch eine künstliche Ernährung einsetzen müssen. Im UKE haben wir an verschiedenen Stellen hochkompetente Ernährungstherapeut:innen. Um uns noch stärker zu vernetzen, die Kompetenzen zusammenzuführen und Ernährungstherapie sichtbarer und stärker zu machen, wurde das Universitäre Centrum für Ernährungsmedizin 2024 gegründet.
Haben Sie noch einen Tipp aus ernährungsmedizinischer Perspektive für uns?
Das Wichtigste, was wir machen können, ist, dass wir ernährungsmedizinische Probleme, Mangelernährung, das Risiko für Mangelernährung früh erkennen und rechtzeitig gegensteuern. Dazu würde ich mir auch wünschen, dass mehr Aufklärungsarbeit zum Thema Ernährung für Menschen in unserer Gesellschaft geleistet wird – von klein auf, in Schulen, in Kindertagesstätten, damit die Bedeutung von Ernährung möglichst früh für jede:n klar ist. Ich würde mir insbesondere auch wünschen, dass es allen möglich ist, sich gesund zu ernähren. Machen Sie sich bewusst, wie wichtig Ihre Ernährung für Sie selbst ist, für Ihr Leben, Ihre Gesundheit, Ihr Wohlbefinden und das Ihrer Familie!