Warm – wärmer – neuronales Dauerfeuer: Wie sich das Gehirn an Hitze gewöhnt
Forschende der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg beschreiben im Fachjournal Nature Neuroscience erstmals neuronale Mechanismen, die mit Hitzetoleranz einhergehen.
Tiere wie Menschen entwickeln bei anhaltender Hitze eine gewisse Toleranz: Der Körper stellt sich darauf ein, Wärme abzugeben statt zu erzeugen, Stoffwechsel und Herz-Kreislaufsystem passen sich an. Forschende der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg haben nun nach den zugrundeliegenden Anpassungsmechanismen im Gehirn von Mäusen untersucht, die sich 30 Tage lang an eine konstante Temperatur von 36 Grad Celsius gewöhnt hatten. Sie entdeckten, dass eine bestimmte Gruppe wärmesensitiver Nervenzellen in einem zentralen Gehirnbereich, dem Hypothalamus, ungewöhnlich aktiv war und ununterbrochen Signalreize abgab. Welche Mechanismen diese Signale genau in Gang setzen, um eine Überhitzung zu verhindern, muss noch erforscht werden. Da die Tiere allerdings ihre Hitzetoleranz verloren, sobald die Aktivität dieser Neurone unterbunden wurde, scheinen sie essentiell dazu beizutragen, die Körpertemperatur bei anhaltender Hitze im Rahmen zu halten. Die in der Zeitschrift Nature Neuroscience veröffentlichte Arbeit bietet damit einen ersten Einblick, wie Nervenzellen des Gehirns ihr Verhalten ändern, um auf dauerhaft erhöhte Temperaturen zu reagieren.
Leiter der Arbeitsgruppe ist Professor Dr. Jan Siemens, der am Pharmakologischen Institut der Medizinischen Fakultät Heidelberg erforscht, wie Nervenzellen im Gehirn die Temperatur erfassen und in Folge die Körpertemperatur regulieren. Er bewertet die neuen Erkenntnisse insbesondere im Hinblick auf die globale Erwärmung als wertvoll: „Wenn wir zukünftig Menschen helfen wollen, deren Gesundheit unter den steigenden Temperaturen leidet, sollten wir wissen, wie die Hitze-Akklimatisierung im Körper funktioniert und wie wir sie eventuell unterstützen können. Unsere Ergebnisse sind ein erster Schritt in diese Richtung.“
Dauerfeuer aus der Temperaturmesszentrale
Die wichtigste Erkenntnis aus der aktuell publizierten Arbeit: Es gibt eine spezielle Untergruppe der wärmeempfindlichen Nervenzellen im Gehirn (präoptische Neuronen des Hypothalamus), die explizit auf langanhaltende Wärmebelastung reagieren. Anders als ähnliche Zellen in diesem Hirnbereich aktiviert eine wenige Stunden oder einzelne Tage andauernde Wärmephase sie noch nicht. Je länger die Wärme allerdings andauert, desto aktiver werden sie. Bei Mäusen, die 30 Tage bei 36 Grad Celsius gehalten wurden, gaben sie zuletzt in sehr hoher Frequenz Aktivierungssignale an ihre Nachbarn weiter – ein neuronales Dauerfeuer aus der Temperatur-Messzentrale des Gehirns.
Das hatte im Tierversuch konkrete Auswirkungen auf die Hitzetoleranz der Tiere: Mäuse die sich 30 Tage an diese Temperatur gewöhnt hatten, hielten auch Hitze von 39 Grad Celsius im Durchschnitt mehr als 24 Stunden aus, ohne dass ihre Körpertemperatur kritische Werte erreichte. Mäuse, die zuvor nicht akklimatisiert wurden, konnten den höheren Temperaturen dagegen nur maximal sechs Stunden trotzen. Danach gelang es ihnen nicht mehr, ihre Körpertemperatur bei normalen 37 Grad Celsius zu halten. Mäuse nach viertägiger Akklimatisierung kamen immerhin auf 20 Stunden.
Hitzetoleranz dank Thermostat des Gehirns
Dass tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der langsamen Hitzeanpassung und der Hitzetoleranz besteht, zeigte das Team, indem es diese speziellen Zellen im Gehirn lebender Mäuse künstlich aktivierten oder in einen Ruhemodus versetzten. Möglich ist dies durch sehr präzise gesetzte genetische Veränderungen, die dafür sorgen, dass exakt diese Nervenzellen durch die Verabreichung eines chemischen Wirkstoffs aus- oder durch Lichtbestrahlung angeschaltet werden. Deaktivierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Hypothalamuszellen bei akklimatisierten Mäusen, konnten diese der Hitze von 39 Grad nur zwei Stunden widerstehen, bevor ihre Körpertemperatur anstieg. Wurden die Zellen künstlich aktiviert, waren Mäuse, die zuvor nicht akklimatisiert wurden, hitzetolerant, allerdings erst nach dreitägiger Aktivierung der Zellen. „Die Ergebnisse haben wir in Zellexperimenten bestätigt: Es scheinen exakt diese Nervenzellen zu sein, die im Thermostat des Gehirns dafür sorgen, dass sich Mäuse – und wahrscheinlich auch andere Säugetiere wie der Mensch – an Hitze gewöhnen“, so Professor Siemens.
Gesundheitsrisiken durch Hitze vorbeugen
„Überraschend ist die langsame Reaktion der Nervenzellen, die Veränderung braucht mehrere Tage bis sie sich voll entfaltet. Andere neuronale Anpassungen sind deutlich schneller. Biologisch gesehen ist das aber sinnvoll, denn auf kürzer anhaltende Hitze reagiert der Körper mit Schutzmechanismen wie verstärkter Wärmeabgabe durch Blutgefäße in der Haut, bei Menschen stärkeres Schwitzen. Bei langanhaltender Hitze benötigt es zusätzlich andere Strategien wie eine Veränderung des Fettstoffwechsels oder der Herzfunktion“, so der Biologe. „Welche Signalwege dazu aktiviert werden und wie diese Information aus dem Hypothalamus das Zielgewebe erreicht, werden wir weiter erforschen.“
Außerdem möchte Siemens prüfen, ob sich die gewonnenen Erkenntnisse dazu nutzen lassen, gesundheitlichen Risiken durch lange Hitzeperioden, zum Beispiel Kreislaufversagen, besser entgegentreten zu können. Diese Studie wurde im Rahmen des ERC Consolidator Grand (ACCLIMATIZE – Hypothalamic mechanisms of thermal homeostasis and adaptation, Laufzeit von 2018 bis 2025) des Europäischen Forschungsrats (European Reseach Council / ERC) gefördert.
Literatur
Ambroziak, W., Nencini, S., Pohle, J. et al. Thermally induced neuronal plasticity in the hypothalamus mediates heat tolerance. Nat Neurosci (2024). https://doi.org/10.1038/s41593-024-01830-0
Weitere Informationen im Internet
Pharmakologisches Institut an der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg