Akute Querschnittlähmung: Antikörper-Therapie kann Nervenregeneration bei bestimmten Patienten verbessern

Können Antikörper die Rehabilitation von Menschen mit akuter traumatischer Querschnittlähmung verbessern? Dies haben Forschende an 13 Kliniken in Deutschland, der Schweiz, in Tschechien und Spanien untersucht, unter Leitung der Universität Zürich, der Zürcher Universitätsklinik Balgrist und des Universitätsklinikums Heidelberg. Erstmals überhaupt konnten gut abgrenzbare Patientengruppen identifiziert werden, die einen klinisch relevanten Behandlungseffekt zeigten. Die aktuellen Studienergebnisse erscheinen jetzt vorab online in der renommierten Fachzeitschrift „The Lancet Neurology“. Eine Folgestudie startet bereits im Dezember 2024. Gemeinsame Pressemitteilung des Universitätsklinikum Heidelberg, der Universität Zürich und der Zürcher Universitätsklinik Balgrist.

Die Expertinnen und Experten untersuchten in einer multizentrischen klinischen Studie (NISCI trial: Nogo-A Inhibition in acute Spinal Cord Injury Study) den Antikörper NG101 (Anti-Nogo-A), der das körpereigene Protein Nogo-A blockiert und damit neutralisiert. Dieses Protein hemmt bzw. verhindert bei einer akuten Verletzung die Regeneration von geschädigten Nervenfasern im Rückenmark, wie mehrere internationale Studien im Tiermodell gezeigt hatten. Eine Behandlung mit Antikörpern soll diese hemmenden Mechanismen im Körper bremsen und so eine Erholung des Rückenmarks ermöglichen.

An der klinischen Studie nahmen insgesamt 126 Personen im Alter von 18 bis 70 Jahren teil, die an einer akuten kompletten bis inkompletten Querschnittlähmung durch eine Rückenmarksverletzung im Halsbereich litten (so genannte Tetraplegie, die auch die Arm- und Handfunktionen beeinträchtigt). 78 Personen wurden mit dem Antikörper behandelt, der direkt in den Spinalkanal injiziert wurde; die übrigen 48 Personen erhielten ein auf gleiche Weise verabreichtes Placebo. Ein vollständiger Behandlungszyklus bestand aus sechs Injektionen parallel zur normalen stationären Behandlung. Die Studie war randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert, d. h. weder die Behandelten noch die Behandelnden wussten, wer den Antikörper und wer das Placebo erhielt. Außerdem wurden die Patientinnen und Patienten nach dem Zufallsprinzip einer Gruppe zugeteilt.

Signifikante Verbesserungen bei inkompletter Querschnittlähmung

Eine standardisierte Untersuchung an Hand-Arm-Muskeln zeigt, ob sich motorische Funktionen bei den Patienten erholen. Diese Muskelgruppen sind für Patienten mit Tetraplegie (hoher Querschnittlähmung die zusätzlich auch die Arm- und Handfunktionen betreffen) von größter Bedeutung im Alltag. Nach sechs Monaten verglichen die Forschenden die Wirkung zwischen den mit Antikörpern behandelten und den unbehandelten (Placebo-)Patienten.

Die Behandlung zeigte bei Patientinnen und Patienten mit einer kompletten Querschnittlähmung keine Verbesserungen der motorischen Funktionen. In der Patientengruppe mit inkompletter Querschnittlähmung führte die Behandlung mit Antikörpern zu signifikanten Verbesserungen sowohl in der willkürlichen Ansteuerung der gelähmten Muskeln als auch in der Selbstständigkeit der Patientinnen und Patienten im Alltag. Darüber hinaus zeigte sich, dass der Antikörper allgemein gut verträglich ist und bisher keine damit verbundenen Nebenwirkungen aufgetreten sind. Damit zeigt die langjährige, unter Federführung der Universitätsklink Balgrist betriebene Forschung zu Antikörpern in der Rehabilitation ermutigende Erfolge.

Weitere Studien müssen nun diese erstmals erreichten klinischen positiven Befunde bei Patientinnen und Patienten mit akuter inkompletter Querschnittlähmung bestätigen. Eine Folgestudie mit einem weiterentwickelten Antikörper wird bereits im Dezember 2024 beginnen. Hierfür werden die Forschenden Patientenuntergruppen auswählen, bei denen aufgrund der bisherigen Ergebnisse das Potenzial für eine signifikante klinische Verbesserung besteht.

Europäische Zusammenarbeit

Initiiert und organisiert wurde die multinationale Studie von der Universität Zürich, Prof. Martin Schwab, und von der Zürcher Universitätsklinik Balgrist, Prof. Armin Curt, in enger Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Heidelberg, Prof. Norbert Weidner, der federführend die Lancet-Publikation betreut hat. Expertinnen und Experten eines europäischen klinischen Netzwerks (www.emsci.org), dem zahlreiche spezialisierte Zentren zur Behandlung von Patienten mit Querschnittlähmung in Deutschland, der Schweiz, Spanien und Tschechien angehören, führten die Studie durch und werden auch die Nachfolgestudie ermöglichen.

Die Herstellung des Prüfantikörpers wurde im Rahmen des CeNeReg Projekts durch die Zusammenarbeit mit der Regenerative Medicine Technologie Plattform des Wyss Zurich Translational Centers ermöglicht. Das EU-Förderprogramm Horizon 2020, das Schweizer Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI, die Schweizer Paraplegiker-Stiftung, die private Forschungsstiftung Wings for Life, das Projekt „CeNeReg“ des Wyss-Zentrums (der Universität Zürich und der ETH Zürich) sowie die Stiftung „International Research in Paraplegia“ finanzierten die NISCI-Studie.

Literatur

Weidner N, Abel R, Maier D, et al. Safety and efficacy of intrathecal antibodies to Nogo-A in patients with acute cervical spinal cord injury: a randomised, double-blind, multicentre, placebo-controlled, phase 2b trial. Lancet Neurol. Published online December 18, 2024. doi: https://doi.org/10.1016/S1474-4422(24)00447-2

Weitere Informationen im Internet

Veröffentlichung der Studie in „The Lancet Neurology“

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